Close
About
FAQ
Home
Collections
Login
USC Login
Register
0
Selected
Invert selection
Deselect all
Deselect all
Click here to refresh results
Click here to refresh results
USC
/
Digital Library
/
University of Southern California Dissertations and Theses
/
Strukturstudien Und Werkdeutungen Zur Kunstprosa Moritz Hartmanns. (German Text)
(USC Thesis Other)
Strukturstudien Und Werkdeutungen Zur Kunstprosa Moritz Hartmanns. (German Text)
PDF
Download
Share
Open document
Flip pages
Copy asset link
Request this asset
Request accessible transcript
Transcript (if available)
Content
T h is d is s e r ta tio n h a s b e en 64— 6242 m ic ro film e d e x a c tly as re c e iv e d M O E L L E R , H an s— B e r n h a r d , 1935— STR U K TU R STU D IEN UNO W ER K D EU TU N G EN ZU R K U NSTPROSA M O R ITZ HARTM ANNS. [G e rm a n T ex t], U n iv e rs ity of S o u th e rn C a lifo rn ia , P h .D ., 1964 L anguage and L ite r a tu r e , m o d e rn University Microfilms, Inc., Ann Arbor, Michigan STRUKTURSTUDIBN UND VERKDEUTUNGEN ZUR KUN3TPR0SA MORITZ HARTMANNS by Hane-Bernhard Moeller A Dissertation Presented to the FACULTY OF THE GRADUATE SCHOOL UNIVERSITY OF SOUTHERN CALIFORNIA In Partial Fulfillment of the Requirements for the Degree DOCTOR OF PHILOSOPHY (German) January 1964 UNIVERSITY O F S O U T H E R N C A L IFO R N IA G R A D U A T E S C H O O L U N I V E R S I T Y P A R K L O S A N G E L E S 7 C A L I F O R N I A This dissertation, written by 11 ana Bernhftrd Moolior..... nnder the direction of h.Xf*..Dissertation Com- mittee, and a p p r o v e d by all its m em b e rs, has been presented to and accepted by the Clraduate School, in partial fulfillment of requirements for the decree of D O C T O R O F P H I L O S O P H Y C l\ Dean Hate JANUARY 196ii D I S S I P A T I O N C O M M IT ^ '.]. Chairman ACKNOWLEDGEMENTS I thank my doctoral committea for their efforts. Professor Harold von Hofe encouraged me in selecting the topic and was generous in continuing as the com mittee chairman during his sabbatical. Professor John M. Spalek made valuable suggestions regarding the form. Finally, I am grateful to my wife for typing the manuscript. H.B. Moeller ii INHALT I. IK RttCKBLICX* BIN UHTERSCHATZTBR BOHKISCHBR BRZAHT.BR 1 Verschollenhelt und falechee Abetempeln migration, Zensur und Vergeseenheit Vert und Pehlen der Verfechter Binsigartige Vita Unbeaehene Ptobb II. SCHEITERN UND ABDANKEN: "Dur und Moll" 19 Verttffentlichung DlBtansierung und Blographie NovelliBtiaohe Bauprlnziplen VechBelvirkungen der Perapektive Dem Leser "ein Bild machen" Wlrkliohkeitsnahe Auffassung Bvokative Oeetaltungen Leiatung dieser Novella III. KURZLEBIOKEIT DBS OLttCKS AUCH IM ABSEITS: "Die Qlooke" 83 Abschattlerung elnee glelehartigen Motive Subjektlvierung Zurttoktreten der Breignisse Bxkuret Durohechl — ern von Hartmanns Schaffeneveiae Held und Gteechelthelt In Spracb- und Denkbereloh Xuflere Porn und Innere Q-llederung Synboltrdchtigkeit und Tragik Daoeln abeelte Antell an Idyll und Dorfgeechlchte 111 IV. SBINSVIBLFALT UND -BBFANGEHHBIT AUF DBM DORFBj Bln strukturallar Vergleich von "Der Krleg vm dan Wald" und Barthold Auerbachs Lucifer Vertrautverden mlt dar Dorfgeechlchte Rebellion la Qevande zweier Fabeln Brlabnla und Eoho/Bekenntnls und Anllagan (Der Stoff) Uasetzung und Tandanz (Die Motive) Soziale Kennzeichnung/lIindlleheB Kolorit (Dae Sprachgeftige ) Flttsaigkelt gegenUber Binhalten Netzverk und Doppalfadan (Dia dramatische Schlcht) Dia unuiagftngllchen Werturteile Letztar Ansatz zu Vergleich und Bewertung V. TRAGIK NACHST MBLANCHOLIB: "Feigheit Aufriegeln dar alnhalaiaohan Walt Farabnlichka1teverhndarung Daratellungawelae und Bagrlfflichkalt Tragieche Zuapltzung WechselbezUge von Schauplhtzen und Brakhlheltung Bine favoriaierte Struktur Velterg&nzung ohna Gott Zaugniaae elner Auaelnandaraatzung Beiordnung von Anteilnahae und zval koaplaaan tKran Temperamentan VI. ZBITTAFBL VII. KRITI3CHB BIBLIOGRAPHIE Sachvarzaichnla iv 160 238 298 301 306 I. IM RtJCEBLICKx BIH UNTERSCHATZTBR BOHMSCHER ERZAHLRR Igrgghollenheit und ialsches Abstemoeln Sohlttgt nan haute eine zeitgem&Re handliche Dar- stellung der Literaturgesohichte auf, etvas Ton Zveck, Rahmen und Reichveite der Verke Martinis1 oder Boeschs2, vird man den tfamen Moritz Hartmann vergeblich euchen. Selbst manche Literaturgesohichte des 19. Jahrhunderta legt man auf der Umachau nach Auskunft unTerricbteter Dinge aus der Hand. 1st also Hartmann heute Terschollen und vergeseen, selbst in der Literarhistorik? In die Gunst dee Publikums spielte er eich an der Mitte des 19. Jahrhunderts durch seine politiaehe lyrik. In die Texts der Literatur- geschichtler gelangte er ebenfalls als Vertreter der vorm&rzlichen, politisch zugespitzten Verskunst. Mit dem Hiedergang des Interesses an der aktuellen Lyrik, sowohl bei der deutschen Leserschaft als auch seitens Hartmanns, gart* 1iSnerXei955TfatUrgeBChlQhte‘ Aufla^°v (stutt“ L l t < r a t u r g e B c h l Q h t < > l n f ly i ln < i l f f l f f f n - (Bern: 1 der eich weniger polenlechen kttnstlerischen Werten und Verken suwandte, rersagte nan ihn zuaehends in den Literaturgesohiohten die Erv&hnung. In den Bntwinir- luagsreihen fristen als Dokumente revolutionbren Tempera- mente der Dichtergeneration vor 1848 nocb einige aktirieti- scbe Oediobte lbr Leben.^ B. Alkers Qeachiohte der dgutacbea Ljteratur von Ooethes Tod bis zur Qegenirart. (Stuttgart, 1950), ein Spezialwerk fttr das Jabrbundert Hartmanns, 1st eine der Beltenen litersturgescbicbt- licben Abhandlungen von beute, die ttber den BtJhaen Bescbeid geben. Be ist nur zu bezeicbnend, dad er dort unter der Kategorie "Lyriker" ia Kapitel "Die iJeter- reicbiecbe Dicbtung la Vormbrz" eingeordnet ist (1,191). Mancbe Llterarhistoriker scbeinen ihn ttberbaupt nur als Lyriker zu kennen.^ Seine ins Auge fallende Abgeordne- ten-Rolle im Frankfurter Parlament ron 1848 war nur zu geeignet, das Elischee ron politiscben Lyriker Hartmann ▼on der Biograpbie ber zu zementieren. , hg. Otto Rommel, und Reyolution. hg. E. tung", (Leipzig Bde. 4 u. 5. 4Vgl. F. Rummer, jgutsobe Llteraturaescbicbte des 1 1 ^ 4 ( 19 0 9; 17-20. Auflage, Dresden: Reis Reissner, 3 Dangaganttbar hat alch Hartmanna Prosa ala labana- fllhlgata Gtattung aalnar Wortkunat ervieaeni dia ffovalla Dar Kriaa un dan Vf\A 1st arat 1932 viader gadruokt vox— e dan und iat zudan auoh hauta nooh in Sortlnent daa Reclan-(Ost-)Verlag8 in UnltuX. Baijnration. Zangur und Yargaaaanhait Hartnann zhhlta nioht zu dan sahn fUhrandan Schbpfarn untar dan dautaohaprachigan Dlchtarn daa 19* Jahrhundarta, vollta nan diaaa auaarlaaan. Allain, ar hat Hovallan von Format verfaBt. Ferdinand KUrnbargar, aalbat Schrift- atallar und tlbardiaa a in Kritikar von Bang, varnag Hart manns Vambgan und Lei stung einzuschMtzen. In aeiner Sannlung "Litarariacha Harzanaaachan* bavundart Kfirnbargar, dad aa dan Bnigrantan galang, . . . in alnan unaufhBrliohan, faat draifiigjXhrigan Vandarlaban Bllchar zu achralban, via aia Haina an ainan atation&ran Sohraibtlaoha auagaarbaitat, und kainaavaga laichtara Vara!® Inviafam nag Hartnanna Schaffen baaintrhohtigt vordan aain von ainan Gaschick, daa dan Dralundzvanzigjllhrigan ^Berlin, (Bttttan und Loaning) • Wepifa- 2.AUF1., (MUnchans Mtlllar, 19U), 11,220* 4 in 4ins Bthr als aval Jahrzehnte vtlhrende Emigration aus der Ssterreichlschen Helmat trieb und das Ihn mehr als fUnfzehn Jahre auoh den stKndigen Wohnsitz lnnerhalb Deutsohlands ▼ervelgerte? Das ist ebensovenlg ermeSbar, vie der Effekt eines mehrjhhrigen Erankenlagers vor Hart manns Ableben lm einundfUnfzigsten Lebensjahr. An Exilschicksalen der Nasi-Ara 1st heutzutage jedoch nur star Genttge ablesbar, velchen Schaden anhaltende Emi gration der Reaonanz elnes Dichters beim Publlkum zu bereiten remag. Desgleichen kann dauerhafte Abvesenheit unschver die Beachtung In den Llteraturgeschlchten In Kitleidenschaft ziehen. Eine bedauerliche Illustration blldet Josef Roth, Hartmanns In mancher Hinsioht ver- glelchbarer ttsterreichischer Landsmann aus dem 20, Jahr- hundertt seinem Hamen foracht man, etwa In den enrithnten Llteraturgeschlchten Martinis und Boeschs, ebenfalls ▼ergeblich nach. Alker erwhhnt ihn In einem Nebensats und in einer Aufztthlung (Qeschiohte. 11,395 u. 486). Be besteht elniger Unterschied In der H&rte, mlt der die autorit&ren Reglerungen des 19. und das totalit&re Regime des 20. Jahrhunderts mlt lhren Bmigranten rer- fuhren. Das polltische Gebilde In Mltteleuropa, das unserem heutlgen Begrlff ron Deutschland hlstorlsch am nllchsten kommt, war urn die Mitte des 19* Jahrhunderts 5 der Deutsche Bund. In diesea Kongloaerat aus 39 Staaten und FreistHdten, das his 1866 fortbestand, gab es, neben den ZentralaKrhten PreuBen und Oaterreich, elnige klelnere, die es alt der Zensur weniger genau nahaen. Trotsdea 1st anzunehaen, daJ3 der Kommentar H. H. Houbens in Verbotene 7 Literatur , der offizielle Bann habe Absats und Bekannt- warden ron Hartmanns erstea Buche ftihlbar beeintrttchtigt— naaentllch bezUglich Oeterreichs-—auch auf weltere Verke O Hartauums zutrlfft. ^2. Auflage, (Dessaut &auoh, 1923)* S.333- ®Houben wttrde zwar eln Dauerverbot der Hartmannschen BUcher als ”AusnahaeaaBregel” ansehen (Verbotene. S.337). Dooh wurde sohon die Blnzlehung von Hartaanns erstea Buch alt eolch ftuflerster Strange von der bsterr. Obrlgkelt betrleben, dafi Houben selbst die behbrdllchen MaSnahaen als geradesu ungewbhnliah beverten auS. Neuerdlngs besohelnlgte erst Julius Marx, Die baterr. Zanyur Voraarz (HUnoheni Oldenbourg, 1959), Hartnann eine ausnehnendunnachsichtige Behandlung durch die Zensur- behbrde und nannte ihn als elnen der venlgen Dichter, deren Verke nloht nur verboten und konfisziert, sondem auch voa Sohedenbezug, dea Verkauf alt Bewllllgungszettel an ver- elnzelte Auserwtthlte, gesperrt waren (vgl. 3.63). Der Oedankengang der nach 1831 entstandenen Hart- aannschen Schrlften 1st nur gelegentlich polltlsch bedenk- 11oh fttr die autorltttren MKohte Ivgl. etva "BruohstUcke revolutionhrer Rrlnnerungen", 1861)* Bs 1st in der Rttck- schau erkenntlich, dafi der Bann ad honlnun. als Repressalie ftlr die frtlhere polit. Bethtlgung la Frankfurter und Stutt gart er Parlaaent von 1848/49* geaelnt war. In eben diese Richtung zlelte auch die Verhaltensweise der bsterr. Behbr- den anllLfillch Hartaanns Aaneetiegesuoh an den Kaiser la Frtlhjahr 1835* Hartaanns Biograph Otto Vlttner berlohtet, "daB nooh whhrend dleser Verhandlungen", die in elner bar- sohen Abweieung resultierten, "eln neues, strenges Verbot seiner sHaatlichen Schrlften erlassen wurde”) vgl. Moritz (Blbliothek dt. SchrijtetejAer aus Bbhaens Praa. 1907). 11,192.Den Ring der Indixien, Jedenfalls ist aus einer brieflichen AuBerung Hart manns ersichtlich, daB seine Dichtungen auch nach 1848 in Osterreich mit Verbot belegt wurden. "Meine BUcher sind alle verboten und nicht anzubringen", schreibt Hartmann, "so daB ich nicht das Gewissen habe, meine Verleger mit q einem neuen Manuskript zu betrtigen". Die AktivitUt der staatlichen tJbervaehungsbehbrden benimmt Hartmanns BUcher von vornherein der Absatzchancen, so dafi der redliche Autor die Drucklegung seiner Schriften als ebenso nach- teilig fUr einen etwaigen Verleger empfindet, als betrUge er diesen. Es war eine Gepflogenheit der bsterreichischen Zensur, Verbote zuweilen nicht nur fUr bereits von der Behbrde geprUfte, sondem auch fUr klinftige Verbffentli- chungen eines miflliebigen Verfassers auszusprechen.^-0 Noch 1859 und 1860, als Hartmann whhrend seiner Italien- reise in den Wiener Rezensionen fUr Literatur und Theater die besthtigen, daB die Zensurbehdrde eine freie Zirkula- tion der Hartmannschen BUcher auch in der nachmarzlichen Periode zu unterbinden strebt, schlieflt das im Text fol- gende Zitat. Q ^Otto Wittner, Moritz Hartmanns Leben und Werke. 11,96., in Reihe Blblloihek deutscher Schrlftsteller aus Bbhmen. (Prag, 1906-XVIII-Bd.I; Prag, 1907-XII-BdTlI)7 ZukUnftige Bezugnahmen unter Leben. ^Die Bewertung hieB dann, z.B. fUr Gutzkow: "Damnatur. auch fUr alle nachfolgenden B&nde", Vgl. J. Marx, "Die amtlichen Verbotslisten", Mlttei3»ngftn da« bsterr. Staatsarchlvs. 1956,11,157. 7 Uber das italienische BtUmenleben berichtet, chiffriert er seine Berichte oder sieht ganz davon ab, sie zu zeichnen (Vgl. Wittner, Leben.II.379). Das erste Anzeichen ftir eine Rehabilitierung des Dichters in dBterreich ist eine AuffUhrung seines Lust- spiels "Gleich und Grleich"^1 mit Nennung des Autors, im Mai 1864 in Wien. Im G-efolge der Niederlage des deutsch- bsterreichischen Krieges von 1866 erl&flt die neue tisterreichische Regierung schliefllich jene Amnestie, die Hartmann 1868 auch persbnliche RUckkehr nach Wien erlaubt. Sein dichterisches Schaffen ist aber zu diesem Zeitpunkt am Auslaufen; schwere Krankheitsanfalle, die ihm bis zum Tode 1872 periodisch oft jegliche schriftstellerische TStigkeit untersagen, verstatten nur noch gelegentliche feuilletonistische Abrisse und mithselige Weiterarbeit an einem unvollendet gebliebenen Roman. Die andauemde Abwesenheit Hartmanns wSLhrend der Emigration trug vermutlich zum langen Ausbleiben einer Sammlung seiner Werke bei; 1866 vereitelte Bankrott, eine Begleiterscheinung des deutsch-bsterreichischen Krieges, ^Moritz Hartmanns flflnnmmelte Werke. hgs. Ludwig Bamberger-W. Vollmer, (Stuttgart, 1873-1874),X,427-478. Fortan zitiert als Werke. 8 12 obendrein derartige PlfiLne eines deutschen Verlegers. Allein: bedurfte nicht eine gerechte Bewertung Hartmanns, dessen St&rke die kleine Form ist, der Sammlung seiner Werke? Konnte die Kritik seine Uberall verstreut erschei- nenden Erzahlungen andernfalls vollst&ndig verfolgen? Geschmackserwartungen der Kritik und des Publikums wechseln; oft gibt die Kritik die Leitsignale, die das Publikum zum Werke eines Dichters fUhren. Als Hartmanns Gesammelte Werke 1873-1874, nach dem Ableben des Dichters, endlich zusammengestellt wurden, waren die Rezensenten und Geschmackstrhger, die aus einem umfassenderen Komplex von Hartmanns Aussagen Anregung gesucht und diese weiter- geleitet hatten, abgeldst worden. Beim groBen Publikum fehlte die Beachtung. Damit war dem Werke des Dichters aber ebenfalls eine UnterstUtzung entzogen, welche die Literarhistoriker hfitte auf ihn achtsamer warden lassen. Und wiederum blieb ihm die Sanktion der Literaturvissen- schaft versagt, die heute noch zum Beispiel die Besch&f- tigung mit den Werken von Hartmanns Landsmann Stifter in Universitat und Schule nahelegt. 12 Vgl. L. Bamberger-W. Vollmer, "Vorwort" zu Werke. X, iii-riv. tfert und F<=»hlen der Verfechter 9 Stifter ist uns unter den Dichtem des 19. Jahr- hunderts ein Begriff. Jedoch liegt es noch nicht fern, daB man sich mit ihm voraehmlich regional im iister- reichisch-bbhmischen Raum befaBte: Seine stilistisch ausgegl&tteten und zumeist ruhestrahlenden Novellen waren lange auBerhalb seiner Heimat verkannt worden und unbe- achtet geblieben. Nach 1918 stieg sein Stem, aber erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er dem gesamten 13 deutschsprachigen literaturbetrieb vergegenwfcLrtigt. Nietzsches Beitrag zur rechten Einschatzung des BtJhmen wird vielfach beifallig in Erinnerung gebracht. Dergleichen drUckt eine Anerkennung sowohl Stifters als auch Nietzsches aus. Auf der anderen Seite finden sich verbreitet Anwfclte der Forderung, die Verschollenen und Vergessenen ruhen zu lassen. Mit Verwunderung gevahrt man die WidersprUchlichkeit in diesem Verlangen und im gleichzeitigen Preisen Nietzsches fiir sein Bahnbrechen zugunsten von Stifters WUrdigung. Als eigentliches Fazit aus dieser Aufwertung Stifters leitet sich ein Mifltrauen gegen die landlaufige Vorstellung 15Vgl. B. Alker, Geschichte. 1,201. 10 vom Auslesevermdgen de^ Zeit ab. Verkennt und Uber- schhtzt man nicht diesen Wahrspruch der Zeit? Henri Peyre hat in seiner Monographic WriterB and Their Critics. (Ithaca, N.Y*, 1944), mit einer erschreckenden Anzahl von Belegen aus der Literaturgesohichte die Autoritht des Tests der Verghnglichkeit untergraben. Er hat weiterhin in seiner Studie ermittelt, daB dieser nebelhafte Urteils- spruch nicht eben derart unperson!ich gefhllt wird, wie anscheinend fast allenthalben angenommon. "... the verdicts of time are man-made" (S. 265)» folgert Peyre aus der Flille seines Materials, "The 'verdict of time* is in fact the judgment of very few enthusiasts" (3. 266). FUr die Mtiglichkeit des EinfluBnehmens mag Nietzsches Eintre- ten zugunsten Stifters als ein Beispiel stehen, das sich den beweiskrhftigen Unterlagen Peyres hinzufUgen liefle. Ein imponierender Gelst lenkte Blicke auf Stifters Verk; eine versthrkte Untersuchung und Begutachtung wurde in Gang gesetzt, wo sie bislang ausgeblieben war Oder meist versagt hatte. Stifter ist jedoch nicht der einzige lange vernach- lhssigte biihmische Erzhhler des 19. Jahrhunderts von Rang. Augenscheinlich hat man die Hartmannsche Prosa im Verhalt- nis zu den eilfertig gertLhmten politischen Gedichten nicht der gebtlhrenden kritischen Betrachtung ausgesetzt. Johan nes Kleins Geschichte der deutschen Novelle. 2.Auflage, 11 (Wiesbaden, 1954), 1st ebenso als Spezlalarbeit wie als Beatandsaufnahne dar Sekundbrllteratur, auf die slob eine Qattungsgesohichte beutsutage sttltzen nuB, eln Beleg fttr die nangelnde Aufnerksankeit gegentlber Hartnann. In die- sen unfangreiohen Koupendiun der deutschen Novella, wo relatir Unbekannte vie August Kopiacb, Friedrich Hala und Ferdinand von Saar bebandelt warden, sucht nan ergebnislos Hartnanns Nanen. Die kritische Bibliographic ausgangs neiner Arbeit zelgt, vie wenig bislang Uber Hartnanns Prosa gearbeltet wurde. Vittners Biograpbie, die einzige lMngere deutsch- spraobige Studie, liegt auf der Grenze zur reinen Ge- sohicbtssobreibung. Das Buch ist nur schwer zugbngllcb und wirkt durcb seinen Unfang von uehr als tausend Seiten abschreokend. Politiscbe Zeitgescbicbte und Sosiologie drkngen Hartnann seiten- und gar kapltelweise aus den Gesichtskreis. Vo Vittner auf den Dicbter eingebt, stebt er noob in Fabrwasser einer oft von ethlsoh-politlscben Standpunkt geleiteten Llteraturgeschlcbte und konzentrlert sich zuden auf die Biograpbie. Den Kunatverk als bstbe- tlsoben Gebllde und seiner Binbeit ervelst er nur wenig Beacbtung. Binen Zugang zu Hartnann konnte er desbalb nicht fbrdern. Zuneist nacberzfthlt er die Fabeln, extra- biert den Stoff und zelgt Parallelen zun Leben Hartnanns auf, wo dlese exlatleren. 12 Binzigartjge Vita Vermutlich wird die biographische Betrachtungsweise gegensthndlicher Kunst sich nie vbllig Uberleben. Erhfi.lt sich nicht in Leserschaft und Universitatsunterricht das Interesse an der Person des Dichters neben der Anteilnahme an seinem Werk? Bekrfiftigen sich nicht beide gegenseitig? Mit dem Anerkennen der Literatur auch als Werk eines dich- terischen Individuums, das dem, wo immer ererbten Oder er- leraten, erlebten oder erfundenen, Stoff erst die Elnheit gebende Form verlieh, wollen wir keineswegs in Fehler der Vergangenheit verfallen. Ein verspfiteter Geniekult, wie er von den Biographen der Geistesgeschichte, von Bertram zum Beispiel, vertreten wurde, liegt uns nicht im Sinn. Fast mit Unbehagen gewahrt man den Akzent auf der Klinstler- biographie in Benedetto Croces Prfigung, . . • daB ein Kunstwerk nur durch seinen lyrischen Charakter Vert zu haben scheint und hat, und durch den persdnlichen Stempel, den die Persdnlichkeit des KUnstlers seinem Werk aufgedrilckt hat.14 Hartmanns Lebensgeschichte ist ebenso interessant als AbriB der Irrfahrten und Leiden eines Abenteuerers und Emlgranten, wie einnehmend als Zeugnis eines ftir ^ Philosophic der Praxis. Ubers. H. Feist, 3.Aufl. (Tubingen,1^29 JTS-1^5. 13 demokratische, humanItare und kiinstlerische Werte einste- henden Menschen. Der Zwanzigjhhrige hungert aich um sei nes Kunstinteresses willen als kaum beschaftigter Tutor 15 durch den Wiener Alltag der Jahre um 1840. Der Frank furter Delegierte von 1848 begibt sich unbewaffnet im Gewehrfeuer auf eine exponierte Barrikade, tun Blutver- gieJ3en zwischen BUrgera und Truppen des Deutschen Bundes einzustellen.1^ Der von der orthodoxen osterreichischen Obrigkeit Verfolgte lehnt jedes Ansinnen eines Amnestie- gesuchs an die bsterreichische Krone empSrt ab— erst in der Betroffenheit durch den nahen Tod seiner Mutter wird er nach Jahren des Exils zu einer spaten derartigen Ein- gabe getrieben (Wittner, Leben.11.192). Der Leidende beweist auf der Schwelle seines ftinfzigsten Lebensjahres den Mut zu einer unzeitgemaBen und unpopularen AuBerung gegen den Frankreich-Feldzug von 1870 in den "Zeitge- 17 dichten". Hartmanns Leben ist abweichend und fesselnd, es offnet ihm und, wo er nicht absichtlich auf Heimatliches 15 Vgl. 0. Wittner, hg., "Briefe aus dem Vorm&rz", in Bibliothek deutscher Schriftsteller aua BBhmen.(Prag,1911)* Bd.XXX,106-101* " . . . Ich habe durch 10 Tage . . nur ein- mahl (sic) des Tages um 5 Uhr abends . . gegessen . . 3.186-187: "Ich hungers mehr als ich esse . . . , ich esse . . viel schlechter als jeder Hund . . . , Vgl. auch S.117, u. 3.179. ^Vgl. "Frankfurter Septembertage", Werke.X.34. ^Vgl. "Genug", Werke.II.446. 14 zielt, stofflich auch seiner Kunst die Welt tiber die der- zeitige deutsche ProvinzialitSLt hlnaus. Seine Vita ver- mag wegen ihrer Gegebenheiten und ihrer charakterlichen Vorbildlichkeit anzuziehen und zu bereichern. Doch ist die DichterpersSnlichkeit hier lediglich genetisch von Belang, d. h. insoweit die Elemente des Kunstwerks: Stoffe und Stil, Wertsystem und Stimmung, mit ihr zusammenh&ngen. Kunstwerke kdnnen entspringen sowohl aus einem Streben nach Welt-Nachahmung als auch aus einem subjektiven AusdrucksbedUrfnis. Haben nicht die Dogma- tiker, die je einen der beiden Antriebe doktrinhr und ausschliefilich zur Regel erhoben, uns mit ihrem ewigen Widerstreit bereits die Gultigkeit beider Pole dieBer scheinbaren Alternative belegt? In Hartmanns "Der Krieg um den Wald" jedenfalls ver- mischen sich Ausdruckswilie und Nachahmungsverfahren. Der Emigrant greift 1851 in nostalgischer Stimmung in der Premde zu heimisch-ddrflichem Stoff. Die Gestaltungen enteprechen vielfach sowohl der den Novellisten einst um- gebenden Auflenwelt als auch seiner Gestimmthelt bei der Konzeption des Kunstverkes. Aber beides, Konterfei wie Temperament, sind im Kunstwerk Selbstzweck geworden. Sie sind angelegt auf die Einheit einer fisthetischen Schcipfung. 15 Ist diese Abstimmung der Vorstellungen und des Tons auf eine kUnstlerische Einheitlichkeit Hartmann Immer ge- 1 u n g e n ? Es soil nicht verschwiegen werden, daB Hartmanns Schrlften tells von sehr unterschiedlicher Quailtat sind. Elnige anspruchslose Erzhhlungen lieBen ihn zum Mitarbei- ter der "Gartenlaube" werden. FUr den helmatlosen Emigran- ten ist die st&ndige Betatigung fiir Zeitungen und Zeit- schriften oft die einzige Erwerbsquelle; das wirkt sich manchmal auf seinen Stil aus. Immerhin setzt die Produc tion fiir die c5ff entlichen Organe an sich noch keine Min- derung llterarischer Qualitat voraus. Etwa zur gleichen Zeit schreiben ja auch ein Balzac und Dickens fUr Zeitun- gen; Dumas und Sue belegen allenfalls, daB man nur selten ein Niveau wie Balzac beachten kann. Unter den litera- risch GroBen des 20. Jahrhunderts befinden sich ebenfalls Schriftsteller, die Namhaftes im Dienst der Presse schrie- ben. Eingepr> hat sich besonders Hemingway durch seine Reisebilder, vor allem seine Berichte fur den Toronto Star TO aus Paris, Spanlen und Italien. Hartmann selbst gibt gelegentlich seine finanziellen Note und die Erwartungen eines unkultivierten Publikums 18Vgl. The Wild Tears. (N.Y., 1962). 16 In einem Brief an Paul Heyse erklart Hartmann, daB . . . unsere ganze Litteratur familienhaft verflacht u. (sic) wir nicht ein einziges Organ oder Blatt haben, in welchem Schriftsteller wie z.B. Balzac, Merimee, 0. Sand, Alfred de Musset heranwachsen oder heimisch wer den kbnnten. Alles fein biirgerlich, glatt, Unterhal- tungen am hhuslichen Herde. Ich habe 1angst die Idee, etwas Weiteres, Preieres zu schaffen, aber wo einen Buchhhndler fiir dergleichen zu finden?20 Indessen verleiten nicht nur pekuni&re Bedrhngnisse und unerfreuliche Geschmackserwartungen bei dem derzeitigen deutachen Publikum und den Verlegern Hartmann zu gelegent- lichen minderwertigen Produktionen: persbnliches Enga gement, Heimweh und Mutterliebe verfiihren ihn zuweilen ebenfalls. Kritik, Invektive oder Sentimentalitats-Im- pulse dr&ngen dann gelegentlich jenseita aesthetischer Kontemplation. Hartmann hing sehr an seiner Mutter, der 21 zahlreiche Gedichte und Skizzen gelten. Der Wunsch,das Wesen seiner Mutter zu fixieren und dem Verhaltnis zu ihr Ausdruck zu verleihen, bewegte den Schriftsteller noch in ^Die literarieche Produktion hatte schon friih fiir Hartmann die Haupterwerbsquelle dargestellt. Vgl. Wittner, Briefe. S.179s " . . . ich schreibe keine Zeile mehr um- s on si, sonsi nrtiQte ich verhungern" • Kinkel best&tigt, dafi Hartmann "von seiner Feder lebte". Vgl. Allgemeine Zeitung. (Augsburg, 1875) Beilage, 3.5644. R. Wolkan, hg, Moritz HArtmann. Briefe.(Leipzig. 1921), S.137. Brief v.1^.4.1^64. 21Vgl. u.a. Werke. 1,14-17,524-325,329-531,539-340; V,110-122; IX,1-240. 17 den letzten Lebenejahren, als er melst das Krankenlager hUtete, zu dem unvollendet gebliebenen Roman "Das Andenken der Mutter" (Werke. IX,1-241). Hier ist ein solches ttber- maB an GefUhl und Schvarz-WeiB-Malerei, eine solche melo- 22 dramatische Pseudosymbolik und "Kumulatlon der Reize" , daJ3 man zu Recbt von Kitsch sprechen darf. Unbesehene Prosa Aber das Vorhandensein anfechtbarer Produkte recht- fertigt nicht, daB man automatisch an Hartmanns niveau- volleren Novellen vorbeigeht. Auch bedeutenden Dichtern vom Range und von der Schaffensweise eines G. Hauptmann oder eines Rilke sind unausgeglichene, schwache und pseudo- kiinstlerische Schriften unterlaufen. Es ist bezeichnend, daB Texte beider in Killya Anthologie des deutschen Kitschs erscheinen (S.156-158; S.159-160). Der Unterschied zwischen den gelungenen Novellen Hart manns und den Werken, die in den Literaturgeschichten und im Universit&tsunterricht das 19. Jahrhundert repr&sen- tieren, 1st in manchem Fall so unerhebllch, daB ein Auslb- schen des elnen und ein Bewahren des anderen in unserer literarhistorischen Tradition willktirlich und fragwtirdig ^Vgl. W. Killy, Deutscher Kitsch. 2,Aufl.,(Gbttin gen, 1962), 3.14. 18 anmutet. Die biographisch, hlstorisch-soziologisch und geistes- geschichtlich orientlerte Llteraturwissenschaft zu Leb- zelten Hartmanns und um die Jahrhundertvende hat sich eine kritische und strukturelle Durchleuchtung der Hartmannschen Novellen nicht angelegen sein lassen. Dem Dritten Reich vhren seine Schriften als Schdpfungen eines Juden ohnehin tabu gewesen. Eine kritische Aufhellung und strukturelle Erforschung einiger Hartmannscher Novellen soil Anliegen dieser Arbeit sein. Hiermit verbunden ist ein Vergleich mit einer gleichlhufigen zeitgendssischen Erzhhlung, Auer bachs Dorfgeschichte Lucifer. Auf die Hartmannsche Lyrik soil nicht elngegangen werden— es sei denn, sie erlautere stoffliche Elements. Es gilt hier nicht, eine Revision unserer Vorstel- lungen der Literatur des 19. Jahrhunderts vorzunehmen: das Hinlenken auf BUchner, Gotthelf, Mdrike und Stifter hat die entscheidenden Korrekturen gebracht. Im Range steht Hartmann diesen nach, doch gebUhrt ihm ein Platz in der Literaturgesohichte— vor allem auf Grand seiner Novel len und Kurzgeschichten, jedoch auch kraft seiner satiri- schen Mhrchen und Reiseschilderangen. II. SCHEITERN UND ABDANKEN: "Dur und Moll" Verdffentlichurac Hartmanns Werke bestehen aus zehn Banden, die, im Band X, auch eine Reihe biographischer Skizzen auBerdeutscher Ktinstler sowie etliche memoirenhaft ge- pr>e politische Chroniken miteinschlieBen. Die Sammlung wurde nach des Dichters Tod 1874 von Ludwig Bamberger und Wilhelm Vollmer herausgegeben. Nicht alle Schrlften Hart manns wurden berUcksichtigt. In den BSnden IV bis IX sind die Novellen untergebracht. Eine abwagendere Sonderung bei deren Aufnahme ware dem Ansehen der Hartmannschen Prosa wohl zugute gekommen. Nachtrhglich wtinschte man eine glttcklichere Hand fUr die Bearbeitung. Hoffentlich trifft unsere Auswahl von vier Novellen fiir die Strukturanalyse einige Scheitelpunkte Hartmannschen Erz&hlens. Um beim Querschnitt durch das Werk etwaige Entwick- lungen Hartmanns als Prosa-Schriftsteller einigermaBen reprhsentativ zu erfassen, ist eine zeitliche Streuung bei der Auswahl fiir die Untersuchung zweckm&Blg. Sieht man von einer anonym erschienenen frUhen Erz&hlung ab, fiir die 19 20 Hartmann dffentlich keine Urheberschaft beanspruchte,1 so erstreckt sich seine Novellenpublikation Uber fast zwei Dekaden: von 1850 bis zur Verschlimmerung seiner Krankheit, JSnde 1868. "Der Krieg um den Wald" (Werke.IV.5-176) liegt am Anfang dieser Periods, 1850; "Dur und Moll" (Werke, IV, 492-570) folgt 1855; "Die Glocke" (Werke.V.125-169) wurde 1858 fertiggestellt; "Feigheit” (Werke.VI.564-415). eine der zablreichen Novellen aus den weniger im Stil eines Nomaden verbrachten schaffensreicben Jahren nach Hartmanns Heirat, erschien 1863. Diese Novellen entstanden s&mtlich in der Emigration. "Der Krieg inn den Wald" mag einem spateren Vergleich mit elner Dorfgeschichte Auerbachs vorbehalten bleiben; chronologisch folgt darauf die Novelle "Dur und Moll", die 2 zuerst betrachtet werden soli. "Dur und Moll" gibt ein Beispiel ab fUr die Streuung und Methods der Verttffentlichung Hartmannscher Erzhhlungen. Anfang 1855 berichtet Hartmann brieflich von seinem ^Ein Tag aus der bohmischen Geschichte. gezeichnet "K.3.": vgl. L. Hirschberg. i?er Taschengoedecke. (Stutt gart, 1961), S.245. 2 Werke, IV,492-570. Innerhalb dieses Kapitels werden ktinftige Bezugnahmen auf die Novelle durch eingeklammerte Seitenzahlen angegeben. 21 Krankenlager in Konstantinopel das Fertigstellen der No velle. ^ Im September 1856 wird sie in der Kblnlachen 4 Zeitimn; dem Publikum zum erstenmal vorgelegt. Sp&ter eracheint sie als Teil des zweib&ndigen Sammelwerka Erzahlungen eines Una ta. ten. Die Keime zu dieser Sammlung legt Hartmann 1853 in der unfreivilligen MuJ3e einer Inhaftierung ala politisch 5 Verdachtiger in einem Pariser Gefangnis. Damals begt er die Absicht, "persbnliche Erlebnisse aus verschiedenen Epochen und Gegenden" als eine Polge von "Reiaememoiren" zu verdffentlichen, was teils auch in der Kdlnischen Zel- tung geschieht. 1858 erscheint dann die Aneinanderrei- hung in Buchform. Dlatanzierung und Blogranhie A. Symptomatischer unschlusaiger Zyklus und Wechsel der Erzahlhaltung Bin geschlossener Zyklus, wie ihn Keller 1856 mit 'Sfolkan, Briefe. (Leipzig, 1921), S.66. ^Vgl. Wittner, Leben.II.220: o. 11,308. 5Vgl. M.H. "Le mie prigioni", Verke IV, 179-180. u. IV,190. 22 Die Leute von Seldwyla anstrebt, in der Zweitfassung von 1874 abrundet und In einheitlicherer und zentrierterer Form im Alter mit "Das Slnngedicht" schafft, eind dlese Hartmannschen "Erzalilungen eines Unstaten" allerdings nicht. Eher kbnnte man von einer Novellenfolge sprechen. Keller war offenbar die einzelne Novelle nicht mehr reprh- sentativ genug: er bemlihte sich um Totalitht, verband seine Novellen und vereinigte sie zu Teilbildern eines sozialen Raums (Seldwyla) Oder machte sie zu sich ergan- zenden Aspekten eines Gegenstandes. JBtwas Ahnliches mag Hartmann vorgeschwebt haben, als er 1853» eine Spanne vor dem Erscheinen von Kellers erstem Zyklus, die "Reisememoiren" begann. Interessante auto- biographische Zwischenfalle und Begegnungen waren als Episoden eines Schicksals gedacht. Als Schicksalstrfiger, als "Unstater" verstand der Autor sich selbst— ein seltener Fall von klarer Identifikation eines Autors mit einer Figur auBerhalb von echten Memoiren. Die durchweg gegen- wartige und vortragende Gestalt des "Unstaten" sollte mithin den Hauptfaktor der Integration voratellen. Aber Hartmann behielt das Vorhaben nicht bei; er selbst gesteht in der Vorrede, er habe "im Verlauf der Arbeit den ursprttnglichen Plan geandert" (Werke,IV,179). Vielleicht hatte ihm die frtihere Intention zuviel 23 Modellieren der persiinlichen Erfahrung abverlangt. Viel- leicht sollte man seine Rechtfertigung erastnehmen, er habe Indiskretionen vermeiden wollen. Wittners Einwande hiergegen scheinen nicht ganz stichhaltig (Leben.11.126- 127); schwerlich liegt auf Seiten Hartmanns eine bequeme Ausrede vor, wie der Biograph unterstellt Hier existiert schon ein echtes Problem. Bereits bei frtiherer Gelegenheit, in seinem "Tagebuch aus Languedoc und ProvenceM sinnt der Autor Uber "dieses die Feder beengende Gefiihl der Delikatesse" nach. Dort ruft er Goethes Autoritat zum Zeugnis filr die eigene Empfindlich- keit auf und zitiert: Ueber den Ort, wo man gewohnlich sich aufhalt, wird Niemand wagen etwas zu schreiben . . . ebenso geht es mit Allem, was uns noch einigermaflen nahe ist; man fUhlt erst, da£ es eine Impietat ware, wenn man auch sein gerechtestes, rnhBigstes Urtheil Uber die Dinge dffentlich ausprechen wollte . . . Wittner verwechselt bei seiner Uberlegung offenbar das Verwenden erotisch gefarbten Stoffs mit Indiskretion. Zweifellos spielt Hartmann in "Das Nessuskleid" (I7,412ff.) mit IntimitMten. Aber w&hrend dort Uber eine flUchtige, touristische, ohnehin ein wenig bizarre Episode im Ausland fab\xliert wird, schOpft "Dur \ind Mo3J.", das spatere Bei- spiel fUr das Aosbrechen aus dem Zyklus, aus langjhhriger, tiefergehenderer und zehrender Erfahrung in Wien, wohin der Dichter eines Tages zurUckzukehren hofft. tfbrigens erweist sich gerade "Das Nessuskleid" als unpassend fUr Wittners Argumentation, wie sofort ausgefUhrt werden soli. Und "Wirkung in die Feme" gehbrt nicht zu der in Frage stehenden Novellenfolge, besagt also wenig, wenn es um deren Anlage geht. 24 Im AnschluB berichtet Hartmann Uber die gleichlaufige ei- gene Reaktion, "dafl ich vollkommen jene BeengniB fiihle, die der Alles Vor- und Nachempfindende", Goethe ist ge- meint, "in jenen Worten ausgedriickt" (Werke.Ill.312-313). Anzeichen von Distanzierung und Stilisierung legen nahe, daS diese Scheu, nachbarliche und intime Verh<- nisse blofizulegen, den Schriftsteller auch beim Abfassen seiner "Erzhhlungen eines Unstaten" merklich begleitete. Denn zu Beginn von Buch III dieser in vier Bucher unter- teilten Novellenfolge verrat sich eine Wendung von bio- graphisch zu fiktiv gehaltener Erzahlsituation. Aus- gerechnet eine Geschichte vor der Pikanterie "Das Nessus kleid" (Werke, IV,412ff.) beginnt eine Binlage, die sich uber drei Novellen erstreckt. 7 Seit dem Modell von Platos Gastmahl ist die gesell- schaftliche Erzahlsituation klassisch geworden und erfreut sich gerade in der Novellenkunst groSer Beliebtheit (Decamerone, Unterhaltumcen deutscher Ausgewanderter). Ein Wandel zu solcher Darbietung erlaubt dem "Unstaten"- Autor, im Zuhdrerkreis Unterschlupf zu finden. Somit spielt der Unsthte nicht mehr automatisch eine Rolle als Handelnder in den Vorgangen der Erz&hlung, wie zuvor. ^Vgl. Bruno Snell, libers., 3*Auflage, (Hamburg,1949). 25 AuEerdem w«nn jetzt statt der in den "Belsememoiren” notvendigan Ich-Brzhhlung die Br-BrsMhlung vervandt verden, vie z.B, in "Dae Wort einer Frau" (Buch 111,3). Biese Darbietungsf ora aber zeichnet aich ebenfalls duroh das Abatandvahren zvischen Handlung und Erz&hler aus: der "allvlsaende Zeuge" gibt sich eben nicht ale Beteiligter, nicht ala Held, Venn Hartmann die Bpiaode geaellachaftlichen Erzhh- lena anfanga Ton "Ein froomer Betrug" (Buch 111,4) been- det, inden er die Zuaammenkunft der Saigranten auf It) at, knllpft er nicht vieder an den rorherigen Stil der Raise- memoiran an, vie es doch normal gewesen vttre, Vielaehr beharrt er zun&chst in der diatanzierenden Br-Brzghlung und bei der fiktiren Baratellungsveiae. Einer durohgftnglgen inhaltlichen OeaetzmlLBigkeit Oder einem streng eingehaltenen formalen Prinzip vUrde man mi thin rergeblich als gemeinsaaem Benner dieaer Folge nachapUren. Baa Trachten nach Distanzierung veranlaBt ein JLuaacheren aus der memoirenartigen Baratellungaveiae, velohe direkte Beziehung zviaohan dem "UnatMten" und den wiederzugebenden Ereigniaaen erfordert. Auf denaelben Gerund lhfit aich das Abstehen Ton einer uniformen Brzhhl- haltung zurttckflihren. Bieae beiden Folgerungen beatMtlgen aich Ubrigena an "Dur und Noll", vie noch zu zeigen ist. 26 Den centrifugalan Kr&ften in der Novellenfolge wird bestan- falls durch die, shmtlichen Novellen elgene, Atnosphllre das 19. Jahrfaundsrts und dia allsn gaaainsaaa unnittelbare Zeitn&he sin einheitliches Gegengewicht gesetct. Ub sin Mehr von Verbindung benttht sich der Sohrift- staller, wo nicht der fiktive Zuhbrerkreis und dssssn Reaktion auf die sincelne Ers&hlung ohnehin eins Yar- knttpfung beraitstallt, durch tfberleitungen. Das geschieht durch motlviache Sntsprschungsn, cuireilen durch Mhnlichs Sohaupl&tce der Brelgnisae, Oder gslegsntlieh sogar, wie in "Sins indo-geraanisohe Qeschichte", durch das vorgebliche Bekanntsein won Figuren der ainan Novelle nit Psrsonsn der anderen (Vgl. Vsrke- IV,511). Die ttberleitungen waren bei der Brstverbffentlichung in Zsitungsn oder -schriften noch nicht angsbracht, weil sa sich Jewells nur urn das Publisisren einer einzslnen Novelle handelte. Birgt dieses Hinarbeitsn auf Einxel- verbffentlichung in Zsitschriften in sich eine waiters Ursache dafUr, dafi die "ErsMhlungen eines UnstNten" shsr das Gesicht einer Novellenfolge als eines honogenen Zyklus* seigen? Die Binzelnovelle nacht sich leicht eelbstherr- lioh, wenn nicht der groBe Plan als erstes Ziel vor Augen steht. Fortan hat es Hartnann an Anreis su abrundender Form gefehlt. Die "BrsMhlungen meiner Fraunde" fWerke. 27 V,3-124), slnd nur noch durch den Titel der 1862 zuaaaaen- geatellten Sammlung und durch Elnleitungafloakeln von Satzlttnge locker anelnandergerelht. Danach blelbt In Hartaanne Schaffen die Einzelnorelle autonoa; hie und da reiohen allenfalls noch elnaal aotlvlache Bezlehungen Uber den Rahaen einer elnzelnen BraMhlung hlnaue. Ale "Dur und Moll" 1856 In der Kdlnlacfrfn erachelnt, erfolgt das ohne den kurzen Vorapann Uber die Heldln der vorherlgen Fabel. Bret ep&ter, la Kontext der "BrzMhlungen elnea UnatHten", achl> der Prolog Uber Honor die BrUcke von der vorherigen Kurzgeachlohte "Kon- traate”. Velterhln welcht die Pasaung der Werke durch elnlge gerlngfUgige Textabwandlungen von der Lesart In der Zeitung ab.8 WKhrend Hartmann aich erst In "Kontraate" vlader In die anfhngllohe autobiographlache BrzUhlwelee der Relae- aeaolren zurUckbegeben hat, aacht aich In "Dur und Moll" 9Vgl. raiwimnha Zeltuag. Hr.263, 21. September, 1856: "curloa"— "kurloa” (Werke.IV.496)t "Viollnkaaten . . . verrleth, dafl er wahraenelnlich ein Mualker war”— "Violin- kaaten verrleth lhn ala Mualker” (497). Dae Fehlen dea folgenden Satzea in der Zeltungaveralon dUrfte vohl ala Tllgung dea Redakteura la Hlnbllck auf das Zeltungapub- llkua anzuaprachen aeln: "In dleaea hatte Boabaatua Paracelsus ah WnhyiWe aeln Lebenaellxlr ge- braut und nacn dea Stelne der Welaen geforacht” (494). 28 das Trachten nach Ab stand wiederum geltend. Er 1S.I31 daher die unverhtillte Ich-Erzahlung, welche das eigene Erleben des "Unstaten" referiert, abermals fallen. Eine Mittlerfigur wird eingeschaltet, so dafl der "Unstate" nicht mehr direkt mit dem Erlebnistrager zu identifizieren ist.^ B. Erlebnis und Fabel Gerade bei "Dur und Moll" ist die Distanzierung nur zu verstandlich. Hartmann mag durchaus Bedenken gehegt haben, sich selbst Oder Freunde zu kompromittieren. Die Gegentiberstellung der Novellenhandlung und des folgenden Zwischenfalls aus dem Leben des Schriftstellers wird den Anlafi fiir derartige Befiirchtungen von sich aus erl&utera. Zwanzigjhhrig lemt Hartmann in Wien Therese Klaus kennen. Zuneigung bewegt den jungen Hauslehrer und Stu- denten sogar zu Gedanken an HSuslichkeit und Familie. Er nimmt bei der unbemittelten Familie Quartier. Aber das Mhdchen ist krank und bereits todesgezeichnet• So reiflt q Die ursprUngliche Ausgabe der "Erzahlungen eines Unstaten” (1858), enthielt abschliefiend noch drei kurze "WestUstliche Geschichten aus der neuesten Zeit"; 1874 wurden diese in Werke.V placiert. Auch diese Kurzge- schichten sind in Abstand wahrende Er-Erzahlungen ge- kleidet. Nur "Abdallah", Werke.V.440-448.. hat einige Passagen in der Ich-Form als aktualisierende BinfUhrung. 29 er sich 1842 los und untemlnunt eine Soaaerreise. Zua Zeitpunkt der Rttckkehr besteht schon Zweifel, ob Thereee den folgenden Frtthling noch erleben wird. Sie etirbt schliefllich la MHr* 1843.10 Nun, zu* Verglelch, die Fabel der Novelle: Vom Krankenbett aus vertraut ein lebensUberdrtleslger, abgezehrter Mualker einea Studenten seine Lebensgeschlchte an. Beethovens Anziehungskraft leitet den Norddeutschen nach Wien, aber ehe er eintrifft, 1st der Komponist ver- sohieden. Da er die Muslklehrerln Therese kennenlernt, sohiebt Ferdinand die sofortige Heiareise auf. BemUhungen ua eine Bxistenz als Tonsetser oder Musiker zersohlagen sich. Aueh die Hoffnung auf FQrderung durch eine Aristokratln scheitert. Br wird von einea Freunde Thereses, dea Blldhauer Alexis, aufgenoaaeni BlnkUnfte als Oelegenheitsauslker einer Zunft ambulanter Musiker be- streiten notwendigste BedUrfnisse. Therese 1st Ferdinand nhhergekoaaen. Durch ihre Vermlttlung erh< er Stunden als Musiklehrer. Eine Verleuadung koatet aber beide fast alls Schiller. Da Thereses Familie voa Bribe der Tochter abhlngt, beschlleBen sie in der Notlage, ihr Talent als fahrende Muslkanten ia Wiener Land aussubeuten. Uhterwegs erfreuen sie sich eine Welle freuadlicher Aufhahae. Weil Therese sich den AnnKherungsversuohen eines Aataannseohns wider- set zt und Ferdinand sie tatkrhftlg in Schutz niaat, werden beide aber schliefllloh ungerechtfertigt als Landstreloher eingekerkert• Dieser Vorfall bringt Thereses latente Krankhelt sun Ausbruch. Nach der Heinkehr verfhllt sie rasoh. Rosa, eine angesehene Ballettlnzerln und Freund in der Ver- ■ohiedenen, veraag fttr Ferdinand eine Anstellung in einea Orchester eu verschaffen und selbst Thereses Mutter zu sich zu nehaen. Ferdinand versorgt eine alts Tante, die einst durch den Leichtsinn von Thereses Bruder all ihr Habe ver- lor. Anaoneten ist des Musikers Leben nach den Tod Thereses inhaltslos und lsollert. ^■°7gl. Hartmanns Briefe an MelSner, bes. voa 9. April 1842, Winter 1842, 20. MNrz 1843, in Wittner, Briefs. 175- 220. 30 Aus Hartmanns Einbildungskraft rUhren die Handlungs- elemente um Beethovens Tod und die Idylle. Angesichts der Sommerreise des jungen Schriftstellers mag die Idylle sich aus der Wirklichkeit als Zugabe angedient haben. In den iibrigen grofien Umrissen stimmt manche Phase aus Hartmanns Erleben mit der Novellenhandlung weitgehend Uberein. Fol- gende Analogien drhngen sich besonders auf: Ein unbe- guterter junger KUnstler liebt ein Mhdchen, das flir den Lebensunterhalt der eigenen Familie verantwortlich ist.^ Therese, das ist der Name der Geliebten im leben wie in 12 der Novelle, spielt ein Saiteninstrument. Der Werbende versucht, ins Haus ihrer Familie aufgenommen zu werden, um mit seinen Einkiinften beisteuern zu kbnnen, gerat unver- 13 mittelt aber selbst in Hilfe heischende Lage. Bei nhherer Bekanntschaft nehmen den jungen Mann Bildung und Vgl. "Dur und Moll1 * 11"Nun war es an Theresen, nicht nur die Mutter und den jtingeren Bruder, sondern auch die Tante zu ernahren ..." (509). 12 Therese spielt Harfe (546 ff.). . . daB man mich wenigstens fiir den Tisch auch als Hausgenossen aufnehmen und ich auf diese Weise Gelegen- heit haben werde, die ganze Ausbeute meiner Arbeit in ihr Hauswesen flieBen zu las- sen . . . " (512) Wittner, Briefe "Die Famille ist sehr arm, die zwei TSchter emfihren sie". (S. 176.). "ich hore sie Guitarre spielen" (S. 176). "... ich suchte in ihr Haus zu kommen, spater nur, um der Familie zu helfen." (3. 176) "Ich hungere mehr als ich esse .... In diesem Mo ment . . . nach 2 Uhr, saBe ich noch mit leerem 31 14 Stole ein, velche die Familie trots ihrer Armut besitzt. Bine schvere Krankhelt rersehrt Therese nach Ende der Inkubationsseit alt Symptomen des nahenden Todes, mehrere Monate lang 1st sie bettl&gerlg, dann erfolgt ihr Ableben IS Anfang des Frlibjahrs. Der Llebende blelbt nach dem frtlhen Tode Thereses resignierend surttck.^ "Bach elnlger Zelt war Ich selbst In einer httlflosen Lage. Die Folge war, daS sloh . . . der Hunger ein- stellte." (513-514) . . . sie (Mutter u. Tochter) hatten etwas ru- hig Stolses In lhrem Wesen . . . - (507) " . . . die ernste und tiefe fiildung lhres Qeistes . . . diese mannigfache Bildung bei Ihrer Armuth ..." (508) ^"Mehrere Male mufiten wir sie In elnem Lehnatuhl an das Penster tragen, durch das sie auf die kelmende junge Welt des Lenses hlnaussah." (570) ^"Mein Ehrgeis und meine Hoffnungen sind mit Theresen su Grabs gegangen. Meine Geschlehte endet mit lhrem Tode." (570) Magen, h&tte mir nicht Therese ein Schhlchen Suppe gebraoht." (S.186- 187.) "Bine edle Bildung des Geistes zeichnet die Familie aus, der edelste Stole bei tiefer Armuth" (S. 176) "Heute frtth morgens ist sie gestorben . . . den 20. Mhrs" (S.198) "Die schttnate Zeit meines Lebens geht mit ihr su Grabe." (3.198) 32 C. Versionen Neban dlesen Parallelen Icouen Ahnlichkeiten in aanohen zustttzliehen EinzelzUgen Tor. Sogar einzelne Formulierungen geaahnen gelegentlich aneinander— wie ana den vorangebenden Zltaten ersichtlich. Und das 1st er- ataunliohs elnaal liegen zwblf Jahre zwiachen dea Erlebnis und der Konzeption der Novelle; aufierdem bewegt sich der UhaetzungsprozeB, der aus dem privaten Ereignis geeignete Beatandtelle als Stott fUr ein Kunstwerk auaaondert, Uber eine Zwlachenphase. 1847 versucht sich Hartmann an einea bUrgerlichen Trauersplel, das ebenialls vlele Einzelheiten seiner Begegnung mit Therese Klaus verarbeitet. "Sie sind arm" ist weder aufgefUhrt noch verttffentlicht worden. Folglich l&Bt sich nur ein skizzenhafter Vergleich ait der Novelle vornahmen. Eine Basis dafttr liefert der Abrifi ▼on Hartaanns Biograph Vittner, der den Bntwurf im Nach- laB einaah (Leban»I.91-93). Die Entartung eines labilen KUnstiers wird in "Sie sind arm" dargestellt* In der Hanier der populhren Zeit- atUcke ist eine Reihe von bUhnenwirkaaaen Nechanlsaen eingefQgt: der Held hat eine Liaison ait einer Qrhfinj ein Spiel von Verwicklungen entateht: die Orftfin soil aich ait einea Baron verloben, der wiederua die Schwester dee KUnatlers, Therese, begehrt; um sie wlllftthrlg zu aachen, 33 manipuliert der Baron mit Wechseln des leichtsinnigen Kunstler3. Es gibt einen Mord: der Held tbtet den Baron, da dieser sich Thereses zu bemhchtigen strebt. Kehren nicht manche dieser Figuren aus dem Trauer- spiel in der Novelle wieder? Freilich sind sie modifi- ziert, denn Hartmann hat bei den Rollen Gewichtsver- schiebungen vorgenommen. Zum Beispiel kommt der Held des Dramas nur noch in der Vorgeschichte von Thereses Familie vor: als Mitschuldiger an der Verarmung. Nachdem Thereses Vater, ein Goldschmidt, durch einen UnglUcksfall sein Vermbgen verloren hat und stirbt, vermag auch der Sohn, jung und kaufmhnnisch unbegabt, das Geschaft mit von der Tante vorgestreckten Mitteln nicht wieder flott- zumachen. Er kann den Bankrott nicht abwenden und flieht vor Glaubigern und Gerichten ins Ausland, so dafi Therese die Versorgung aller Angehbrigen zuf&llt. Anstelle des Bruders ist von den Familienmitglie- dern Therese in den Mittelpunkt gerUckt, und Ferdinand, ihrem Bewerber, ist die ausschlaggebende Rolle zuteil geworden. Insgesamt bedeuten die Abwandlungen eine Verinner- lichung. Laute und auBerliche Zlige, die Mord tat, die Verwicklungen, die Liebeaaffhre, sind fortgefalien oder radikal beschnitten. Die Grhfin taucht noch als 34 vermeintllche Mhzenin Ferdinands auf (530-531> 535-538)* Das Verh<nis der Gtosahlechter 1st bttrgerlich-tugendhaf t, fast prttde, dargestellt, obwohl die Nelgung zvisohen 17 Therese und Ferdinand doch nit In Zentrum steht. Das Blld des EUnstlere erschelnt venlger labll und minder amblr&lenti Ferdinand 1st gevlssenhaft und vertrauene- wUrdig, wenn auch glttcklos und zuletzt demoralislert. Schliefillch ist die Lyrisierung, als Resultat des Idylls und kraft der Erhebung der Musik In eine Zentralstellung, eine gevichtige Neuerung. Nunmehr richtet sich der Bllck des Autors kaun noch auf grelle Eonflikte; der Nachdruck zielt minder auf die Interaktionen, Der WandlungsprozeB Ferdinands stellt alle anderen Verzvelgungen der Handlung in den Schatten. Allardlngs scheint es Hartmann nur In einer bestlamten Hlnsicht darum zu tun, verBchiedene Aspekte der Fsycholo- gie des Musikers in den elnzelnen Situationen zu Tari- leren. Die Qestalt ist dem Leeer, durch den Rahmen, in Ihrer endgUltigen Verfassung schon zu Anfang gegeben. Sie irird nicht Brlebnlssen und ElnflUssen ausgesetzt und aus diesen akkumulativ, analog einer Endsumme, entvlckelt. 17 Vgl. die kurze, unausgespielte Schilderung des IdebesbekenntzilSBes (543); ebenso die Neuerung in der Nebenfigur der Tante, die frtther als Eupplerin auftrat, jetzt aogar gegen die gemelnsame Vanderung Thereses und Ferdinands Einspruch erhebt (547)* 35 Hartmann wahlt den umgekehrten Weg: Wie in einer Gleichung, deren Resultat vorgegeben ist, deren unbekannte Glieder jedoch noch zu suchen sind, rekonstruiert der Autor die VorgSnge, die zu dem Resultat gefilhrt haben. Die Rekon- struktion des "missing link**, des fehlenden Mittelglieds, interessiert ihn. Erst nachdem die Figur in ihrem end- gUltigen Zustand dem Leser vorgestellt ist, wird das Ratsel geliiftet, wie diese bestimmte Verfassung der Ge stalt heraufbeschworen wurde. Stofflich legt der Vergleich den Gedanken nahe, bei der Novellenfassung habe sich Hartmann wieder mehr an die eigene Erfahrung angenhhert als im Schauspiel. Zu dieser Wendung dtirfte die neue Form beigetragen haben, die nicht mehr nach Btihneneffekten heischte. Im Verein damit wirkte zugunsten einer ausgeglichenen kUnstlerischen Behandlung vermutlich die in der Zwischenzeit gewachsene Fahigkeit zur Objektivation der eigenen Brlebnisse. Diese hufiert sich in einem Brief des Dichters an einen Freund, den Musiker und Komponisten Ferdinand Hiller, dem Hartmann beiM Abfassen von **Dur und Moll” mitteilt: Ich diktiere jetzt eine . . . Novelle, deren Hel- den, einen Musiker, ich Ihnen zu Ehren Ferdinand getauft habe, doch ist die Geschichte, wenn Sie, anstatt Musik Literatur hindenken, zum groflen Teile meine eigene Wiener Leidensgeschichte .... 18 ^Brief v.15.1.1855» zit. bei Wittner, Leben.1.94. 36 Hartmann gibt In diesen Brief ununvunden su verete- hen, dafl er autobiographischen Stoff vervendet. Wie ist das ait der Einleitung zu den "JSrztthlungen eines Unsthten” ▼ereinbar? Dort betonte der Dichter doch, er habe den Zyklus aus Qrlinden des Takts andere anlegen nttssen als ursprUnglich geplant. Ob aan einem intinen Freund derar- tige Verkgeheimnisse anrertraut oder dem Publikun— das sind zveifellos zwei grundversohiedene ttberlegungen. Venn Hartaann daran lag, in den "Reiseneaoiren" die Hlhe des ErzMhlten zur eigenen Vergangenheit zu verhtlllen und die Identifikation Ait sich selbst und Ait Personen seines Bekanntenkreises zu verneiden, reraochte er das bei "Dur und Moll" durch das Einbeziehen eines Informan- ten. Durch das Einschieben dieses Hittlers stehen Vor- gMnge und Autor nun auf untersohiedlichen Ebenen. Angeb- lioh referieren nun weder der NUnstttteN noch der Student, der an der Rahaenhandlung der Novelle beteiligt ist, aus Hartmanns eigenen Erfahrungen. In Vahrheit ist der Student freilich ebenso nit Spuren aus der Lebensohronik des Novellisten behaftet, vie der Held der Novelle, Ferdinand. Der Dichter kennt den Federlhof gut aus eigener Anschauung; v&hrend seiner Studienzeit war er dort Hauslehrer bei einer Familie Lieben (Vgl. Wittner, Briefe. S. 258 u. 572). 37 Engstirnlger biographisoher Interpretation, die im Auffinden Ton glelchJLAufigen Begebenheiten im Leben und Werk eines Dichters ihre Erfttllung findet und solohe tJber- einstimmungen gleichfalls fUr Erkl&rungen des Kunstwerks hhlt, wird schon im letzten Zitat ihre Unsinnigkeit be- scheinigt. Es ist eine der vesentlichsten und erquick- lichsten Merkmale der Kunst, da£ sie dem Austtbenden Wahl und Eomposition des Stoffes weitgehend in sein Belieben legt. So kann Hartmann willktirlich einen Musiker sum Helden seiner Novelle machen und ihm Zttge seines Freundes Hiller verleihen. Ebenso vermag er frttheres und spilt eres Srleben auf zwei oder mehrere Personen zu verteilen und ein flktives Treffen einzurichten zwischen einem Studenten, einer Metamorphose des Erzhhlers der "Brzhhlungen eines Unsthten"v und einem bettlhgerigen Musiker, wobei der letztere, Ferdinand, dann seine Lebensgeschichte vorbringt. t? mia* iisha .S&iMXlPZivlin AllerdInge ist die Freiheit des KUnstiers nicht unein- gedttmmt: die Gattung leitet den Flufl seiner Gedanken in bestimmte Bahnen. Das fiktive Treffen ist obendrein durch die Novellenform geboten, fttr die im 19* Jahrhundert ein einleitender Rahmen beliebt ist, Durch ein solches vorangestelltes Portrht des Binnenerzhhlers und indirekte 38 Angaben Uber seine Lage scheinen Wendungen, velche die ErzMhlung erfllhrt, unnittelbarer aus seinen Stlnnungen und seiner Lebenshaltung zu entspr Ingen. Ferdinand lebt in einen verfallenden, abbruchreifen Geb&ude, Resignation und Krankheit haben lhn bettlhgerig gemacht: vie ein Omen steht sein Zustand an Anfang seiner Geechichte. Ein drei- undzvanzigj&hriger Hauslehrer, vom rein sachlichen Inter- esse an Turn eines historischen Geb&udes geleitet, findet bei lhm "zufhllig" Einlafi, wird von dem auff&lligen Kranken angezogen und erlebt, vie sich dessen Geschick und Befinden in der Brztthlung entrhtseln. Nooh in einer anderen Hinsicht machen sich die imnanenten Forderungen der Novellenfom geltend. Sie legen den Dichter nahe, aeinen Stoff in bestlnmte Struk- turen einnUnden zu lessen. Die unerhdrte, nicht unvahr- scheinliche und entscheidende Begebenheit vemochte in der Novellentheorie und -deutung des 19* Jahrhunderts nooh nehr an Ansehen und Einflud zu beanspruohen als zu Zeiten eines Kafkas, der Bxpressionisten oder bei deren Vachfolgem. Den Bauprinzip des unvorhergesehenen Ere ig nis bob , das alle folgenden Aktionen der Gestalten ohne ihr ausdrUokliohes Zutun auf einen letzten Richtungspunkt zuleitet, untervarf auch Hartmann seinen Stoff bei der Heuabfassung als Bovelle. Der entscheidende Vorfall in 39 "Dur und Moll" ist die Begegnung mit Therese. Ihretwegen vershumt der Musiker, Wien zu verlassen und stellt sp&ter sein ganzes Lehen auf ihre Verhaltnisse ab. Am SchluJ3 sind seine "Hoffnungen mit Theresen zu Grabe gegangen", seine "Geschichte endet mit ihrem Tode" (570). Es wurde deutlich, wie sich derselbe Stoff bei unter- schiedlichem Gestaltungswillen des Autors und unter den FormbedUrfnissen verschiedenartiger Genres ganz abweichend umsetzen und zuspitzen lafit. Das lange Fermentieren des Stoffs Uber die Zwischenstation eines Trauerspiels und auch die Mufie des Krankenlagers in der TUrkei haben zu einer sorgfaltigen Komposition der Novelle beigetragen. Die Novelle ist in zwolf Abschnitte unterteilt. Der Auf- bau ist im Mittelteil symmetrisch und l&fit sich auch hin- sichtlich des Beginns und des Endteils faBlich gliedem. Die Abschnitte 1-3 enthalten drei Expositionen: 1. die Begegnung zwischen Rahmen- und Binnenerzahler, die fiktiv Uber die Quelle der Novelle Aufschlufl gibt und den Anspruch auf Wahrhaftigkeit aufstellt. 2. die Vorgeschichte des Binnenerzahlers Ferdinand und seine Begegnung mit Therese. 3. die Vorgeschichte Thereses samt Ferdinands Begegnung mit ihrer Familie und Umwelt. In Abschnitt 4-6 wird das BemUhen Ferdinands um eine 40 Exiatenz als Mualker in einer achelnbar aufsteigenden Phase entfaltet. Die Stationen sind: 1. der Mifierfolg als aabulanter Qastst&ttenmuaikant. 2. die Aufnahme in die Mueikanten-Zunft als bevorrech- tlgter Gelegenheitamuslkant. 3. die Entdeckung aeinea Talents und vermeintllche Protektlon in der "groBen Veit" Wiens. Die Abschnitte 7-9 entvickeln entaprechend die abatei- gende Phase: 1. das AbreiBen der Verblndungen zur gesellschaftllchen Oberschioht. 2. der Versuoh als priTater Musiklehrer. 3. der Verlust aller Stunden und Oelegenheltsbesch&fti- gungen. Diesem Mittelteil elnd, ebenso vie dea Anfang, wieder drei Abschnitte angegliedert (10-12). Auf die Bntmutigung folgt im Tell 10 nooh einmal ein kurzer Auftrieb: die Idylle dea Auszugs von Perdinand und Therese als fahrende ttualkanten. Abschnitt 10 iat mit elf Selten der lttngate der Novelle. Er schafft ein Oegengewlcht gegen die belden, zuaammen etva gleioh langen, SehluBabschnitte 11 und 12, in denen aich der abrupte Abbruch der Idylle und der Umachlag zu MiBklang und Erankheit, sowie, in Tell 12, der Tod Thereses vollzieht. 41 Auch im TJmfang stimmt die Komposition mit diesem Schema weitgehend Uberein: der anbahnend und aufsteigend angelegte Teil, Abschnitt 1-6, nimmt fast genau die Hhlfte der 77 Seiten der Novelle ein. Ab9traktion ist Vorbedingung eines Kompositions- Schemas. Unser Aufrifl sttitzt sich auf die Gegebenheiten, denen der Binnenerzahler Ferdinand unterworfen ist. Die Begegnungen und Entwicklungen um Therese sowie eine Rtick- blende, anfangs von Abschnitt 7, auf die Bekanntschaft mit dem Bildhauer und stillen Rivalen Alexis, Uberlagern die durchdachte Anordnung und versehen sie mit dem Anschein der NatUrlichkeit. Das szenen-reiche JSrz&hlen in dieser Novelle gestaltet die Handlung, beispielshalber den Auf- tritt der Tante (498-499)» die Begegnung mit Therese (503- 504) und die Orchesterbeverbung (518-520), anschaulich und abwechselnd. Wechselwlrkungen der Perspektive Gleichzeitig befreit das haufige szenische Kompo- nieren von einer der Beschrankungen, welche die Darbietung in der Ich-Form mit sich bringt. Abgesehen von den Abschnitten 2 und 3* wo die Vorgeschichten Ferdinands und Thereses referiert werden, und von Abschnitt 7, wo eine RUckblende die Bekanntschaft mit dem Bildhauer Alexis 42 nachtragt (551-534), stbfit man immer wieder auf szenische Einheiten. Mehr als ein Drittel der Fabel wird dergestalt vorgetragen. tfber fttnf Seiten erstreckt sich z. B. die Nahaufnahme von Ferdinands Bekanntwerden mit Vogel, dem Zunftobmann der ambulanten Musikanten (520-525). Be- schreibung, Bericht und Dialog werden zu Gesamtheiten verknttpft, die den Lebenscharakter und das Anschaulich- machen der Begebenheiten mehr hervorheben als die Ich-Er- zahlung sonst zul&fit. Angesichts der Beteiligung des Ich- Erzhhlers an den Vorghngen vermag das freilich schwerlich so weit gelingen, wie in der Sr-Erzahlung. Immerhin be- willigt der Wechsel vom Prhteritum, der typisch epischen Zeitform, zum Pr&sens, in der direkten Rede, grbfiere Un- mi ttelbarkeit. Es ist nur zu versthndlich, dafi gerade die Vorghnge, die Ferdinand und seine Partner beim Musizieren zeigen, in solch szenenartiger Fassung eingerichtet sind. Hier hat sich Hartmanns Fabulierlust entziindet und diese Einheiten zu den langsten Szenen anschwellen lassen (520- 525; 556-559). Eine andere Beschrhnkung, welche dem Autor von der Ich-ErzShlung auferlegt wird, vermag Hartmann freilich nicht zu umgehen, und das dtlrfte zum Vorteil dieser No velle ausgeschlagen sein. In der Ich-Brzhhlung entgeht dem Schriftsteller im allgemeinen die MtSglichkeit, selbst- herrlich und abgelost von seinen Charakteren, sich mit 43 iq einem Kommentar einzuachalten. Hler breltet aich die Erfahrung dea Ich-ErzMhlers aua und ein Einblenden dea lutora vttrde gewaltaam anmuten. So fehlen der Norelle ■orallalerende oder reflektierende Kommentare dea Autora. Daa folgende verelnzelte Belaplel aua dem Referat dea Ich-Erz&hlers Ferdinand apannt die Mbglichkeiten dleaer Erz&hlweiae achon bla an die Grenzent Der gute Schulmelater fUhrte uns (Ferdinand und Thereae) in aeln Haua und bereitete una aua Stroh und elnlgen Decken nach Vermttgen ein gutea Lager .... Sie hlillte aich In ihr Tuch, legte aich hln und aagte mlr auf die unbefangenate Velae: Gute Vacht. Bin relnea Velb kann muthlg aeln, denn ea 1st unnahbar. Ba bedarf nicht jenea Schwertes, daa In der alten Sage zwlaohen die LIabenden gelegt wird. Die Reinheit ▼ertheidigt aich mit hbheren Waffen, ja, ale bedarf der Yertheidigung nicht, (552) Ferdinand rtihmt in den drei rtLckachauenden Sktzen gegen Bndea dea Zltata voller Pathos Thereaea Eeuachheit. Entapricht aezuelle Sprttdlgkelt, wie bei den Helden dleaer Nowelle zu flnden, einem Credo, nach deaaen Prin- ziplen Hartmann seine Figuren idealiaiert? Die Antwort lautet auf nein— den Beleg werden sptttere Eapitel nach- tragen. Der Autor paflt aich je den Erfordemiaaen einer Gestalt und eines Stoffea an und richtet seine Schbpfungen nicht nach gewlasen unrerrttckbaren Morallehren aua. 19 Vgl. ala Paradigms einea derart aelbatherrllchen Einwurfa Balzac, Die Frau m dyiflig Jahrnn. (roro, Ham burg, I960), 3.88-89* (Sittenphlloeophle belm Treffen lfme. Aiglemont-Yandeneaae.) 44 Der Anflug von Prtlderie gehtirt vielmehr zu den Charak- terztlgen des Helden der Novelle: daait der Laser eine prhg- nantere Vorstellung von der Persdnliohkeit Ferdinands eapf&ngt, vird die btlrgerlich-redliche Meinung von The reses Lauterkeit und Reinheit an dem Musiker wlederholt herausgestrlchen (489,499). Das kann aber In der Binnen- geschichte nur indirekt durch die Art und Velee der Aus- sagen Ferdinands geschehen* Befindet sich dieser doch, als Ich-Brz&hler, auf einer Ebene alt dea Oeachehen— wenn er auch nunaehr die Dlstanz der Erlnnerung gewonnen hat* Veil seine Bemerkungen aus der RUckschau und dea Vissen ua Thereses ganzes Leben kommen, dtirfen sie zus&tzlichen Anspruch auf den Scheln der Wahrhaftlgkelt erheben. Ferdinands Bemerkungen stehen zudem im engen Blnklang mit der Situation, dem Zurllsten fllr die Nacht* Bei jenea letzten Zitat aus NDur und Moll” dringt nicht der Autor alt eigenea Koamentar in den FluS der ErzNhlung ein* Dea Leser "ein Bild aachen" Venn sloh Ferdinands scheue Steifheit la Zitat aus- sprlcht, vird dea Leser eins der Mosaikteilchen vorgelegt, aus denen er sich eine Vorstellung von dea Musiker blldet* Vie verden dea Leser in der Novelle im allgemeinen Vor- stellungen von den Qesohbpfen signalisiert? 45 Der Zuschnltt der untergeordneten Figuren 1st zumeist auf allgemeine Angaben abgeetellt, die dam Anachaulich- maohen venlg fbrderlich slnd (Direktor dss Poaaentheaters, Parvenu-Familie usv.)• Oft zielen auoh die risuelien Impulse eigentlich auf das BewuBtmachen elner bestlmaten Eigenachaft, elnes oharakterllchen Prinzipa oder elner soslalen Placlerung (die alte Tante, 498; Ferdinands Schtilerinnen, 535-538). Dlese Beteiligten fallen im Ent- vurf ganz der dkonomie der Novellenform zum Opfer. Auch wenn slch der Autor bei Vogel mehr urn plastische Stimuli bemUht, tlbermlttelt er nooh nlcht lndividuierte Zeichen. Was bel der Beschreibung gegeben wird, slnd Requlalten, die eln Musterblld, elnen Ausbund beschvttren (520-521). Solch eln Inbegrlff begegnet ferner mlt Theresee Mutter. Obwohl ale lm Verlauf der Novella lamer vieder auftaucht, wird ale noch weniger geaichtig als der Direk tor der MuslkantenTerelnlgungs ale wird ttberhaupt nle bildlich skizeiert. Man kennt ihre Bxlstenz, beatenfalla ihre Stinmungen, vor allem aber ihre mlltterlichen Quali- t&ten, (Mite und VeratMmdnis, die sie alien entgegenbrlngt. Allerdinga bietet aich bei lhrem eraten Auftritt eine BlgentUmllchkeit dea Hartmannschen Daratellungs- verfahrens dam Zugriff. Nlcht die Mutter, aondern daa 46 Zimmer, lhr Zuhause, das gerade als Schauplatz dient, wird detaillierter dargeboten (507). Ahnliches kann man bei der Vorstellung der Grhfin und deren Residenz beobachten (534-535). Auch die ins einzelne gehenden Angaben ftir Alexis' Atelier und dessen Ausstattung zeigen Hartmanns Neigung, Gestalten mit einer bestimmten Baulichkeit zu umgeben. Und zwar ist diese Statte stets von einer sprechenden Beschaffenheit; allein die Beschreibung der noblen graflichen Villa macht das deutlich: Sie (die Grhfin) bewohnte auch im Winter eine Villa am Rennwege, die obwohl nur aus einem Erdgeschosse be- stehend, doch palastartige Pracht entfaltete. Mit zwei Seitenfltigeln und einem hohen Gitter bildete sie vorn einen schbnen Hof, whhrend zwei andere Flhgel rlickwhrts in den Garten liefen und ein groflartiges Gewhchshaus, das unmittelbar an den Salon stieB, umgrhnzten. Ja, die ganze Villa hatte etwas von einem Gew&chshause; in alien Salons und Zimmern standen siidliche Baume, BlUthen, Blumen aus alien Zonen und wanden sich Epheu, Lianen und andere Schlingpflanzen von Wand zu Wand. Mitten im Winter hatte man hier ein grofles Stllck Frtih- ling, zu dem die Lenze aller Lander ihr Schbnstes bei- steuerten. . . (534-535). Die Fortsetzung dieser Textstelle verrht Geschmack und Eunstinteresse der Grafin, doch weist das Zitat allein hinlhnglich auf die Herausgelbstheit dieser Dame aus den allt&glichen Lebensbedingungen hin: sie lebt in einer Welt, die einem Gewhchshaus gleichkommt und einem "Winter" nicht unterworfen ist. Ktinstliche und kiinstlerische Normen bestimmen ihr Verhalten und ihren Horizont; die Unterscheidungsgabe fur soziale Nbte mangelt ihr. 47 Es ist leicht erkenntllch, dafi dasselbe Gestaltungs- prinzip dsr sprschsndsn Baulichkeit bsi der Vorstellung Ferdlnsnds in der RahaenerzHhlung ebenfalls angevandt vurde. Den alten Federlhof, in velchea der Kranke haust, erwartet keine Zukunft mehr: bis zua Verschwinden von der 20 Bildflttche soli nur noch eine kurze Veile verstreichen. Das Spiegeln von Ferdinands Befindlichkeit an seinem Domizil geschleht in der Rahaengeschlchte. In der Blnnenerzfthlung ftihrt der Nusiker selbst das Wort, folg- lich elgnet diese sich wenig fUr das Darbieten seiner ttagebung und schon gar nicht ftir sein Portr&t: es vkre ein Unding, sollte er selbst sein lufieres beschreiben. Der Ich-BrzMhler verrftt nur seine innere Elnstellung. FUr die Ioh-Brz&hlung, das erbellt dieses Beispiel, eap- fiehlt sich eine rahaende Einftthrung, solange tlberhaupt eine Vorstellung von der Physiognomic des Erzt&hlers bezweckt vird. Daher Uberniaat es der Student, ale Visavis der Rahaenhandlung ait seinen Angaben Ferdinands 20Vgl. die bezeiohnenden Wendungen: "nur noch venig von den alten Sohaucke tlbrig . . . "j "Thtiren varen vie die Qalerleen von Alter sohief gedrtLokt"; "Die Fens ter, • • . von denen die obersten ait Brettern verschlagen, . . . starrten aus ihrer steinemen Uarahaung vie er- blindete Augen in die Gassen" (494). Schauplatz fttr den Vortrag der BrsiLhlung ist eln "Haus, das verdammt war, nledergerlssen zu verden • . • " (495)* 48 UmriB sichtbar zu machen. Eine Apparatur von anschaulichen Wbrtern, welche die Personen vorzeichnen, existiert im Grunde nur fiir die Zentralfiguren Ferdinand und Therese (Vgl. 497, 503). Die Sinnfhlligkeit, mit welcher auch der krlippelige Bild- hauer Alexis ausgestattet ist, stellt eine Ausnahme dar. Die Beschreibung einer Figur von abnormer Korperbeschaf- fenheit wird an sich eher Eingehen aufs Detail verlangen, um die Verformungen darzustellen. Und eben das ist er- forderlich, da es spaterhin in der Novelle gilt, Paralle- len zvischen dem Bildhauer und seinen Skulpturen, die auffallende Ahnlichkeiten zu seinem Wuchs besitzen, zu ziehen. Was nun die charakterliche Vorstellung von den Gestal- ten angeht, so entbehren diejenigen Figuren, die eich nicht durch Plastizitat auszeichnen, ebenfalls der Ent- faltung des Charakters. Es handelt sich namentlich um einschichtige Geschbpfe, die einer Funktion wegen ent- worfen sind. Die alte Tante, zum Beispiel, wlrd lebens- lang von ihrem SicherheitsbedUrfnis geleitet und unter- streicht als Gegenfigur nur noch die altruistischen Qualithten Thereses. Die Behandlung dieser Nebenfiguren zeigt allenfalls, dafl Hartmann eher bei den charakterlichen Eigenschaften 49 ale bei der Veranschaulichung der Physiognomic zur De- taillierung neigt. Der Autor verfahrt hier nicht eehr bildlich, sondem projlziert seine Kreaturen vornehmlich mittels Stimmungen, Motivationen oder VUnschen. Blieb etwa der alte Vogel in der Anordnung der viauellen Signale das Musterbild eines vernachl&ssigten SpieBers, eben ein Urbild, aber nicht mehr, so erhalt er durch Angaben uber Stimmungen und Bmpfindungen erst etwas Individuelles. Es paBt noch zu dem Inbegriff. daB Vogel sich als Kaffee- und Pfeifenliebhaber, als Wein- und MusikgenieBer entpuppt (520, 556). Jedoch aus seiner Abneigung gegen das hoch- deutsche Idiom; aus seiner Angesprochenheit von Ferdinands talentiertem Violinspiel; aus seiner Betroffenheit beim Vorausahnen, daB auch diesem Talent, wie einst ihm selbst, Bffentliche Chance und Anerkennung sich versagen werden, bauen sich langsam Umrisse einer eigenwertigen Persdnlich- keit auf. Vogel bleibt sich als Mensch im Verlauf der Handlung treu. tfbrigens sind die Q-eschbpfe mit wenigen Ausnahmen von solcher gleichbleibenden QualitS.t. Bei den einschich- tigen Randfiguren ist das nicht venrunderlich, wohl aber bei Therese, der veiblichen Zentralfigur. Sie 1st darge- stellt als eine reife und ausgleichende, natUrliche und gUtige, gebildete und in sich selbst beruhende Persbnlich- keit (Vgl. 505,508,510,527). Ihre Lage als Erafthrerin 50 einer mittellosen und vervitweten Familie 1st deprimierend, aber sie behB.lt Fassung und Lebensmut und ttbertrMgt sie auf ihre Unrwelt. Der Blllese einer tugendverkdrpernden Held in der Kiteohliteratur lftfit ihre Klugheit im Alltag und ihr MenachenverstBndnia eie nie nahekommen. Sie iat eigentlich veniger sprOde als Ferdinand sie, im vergangenen Zitat, darstellte: die Titelaucht ihrer neureichen Auftraggeber ist ihr bekannt und sie vergibt sich nichts, wenn sie von diesem Vissen ihr Verhalten gegentlber der Familie be st immen lHJt. Solange sie noch eine Chance fUr Ferdinands Fortkommen als Musiker sieht, verhUtet sie auch insgeheim, daS er Musikstunden erteilt, damit seine Zeit nicht ander- veitig absorbiert vird (539)* Was ihre Persdnlichkeit vollends verdichtet und in LebensnMhe rttokt, ist Ihr Ver- sagen und ihre Hilfsbedttrftigkeit unmittelbar naoh dem Freiwerden aus dem Arrest (569*566). Aber auch darin tut sich kein eigentlicher Wandel kund, es handelt sich mehr um einen momentanen Span- nungaabfall. Obwohl sie sich nunmehr mit der Brkenntnis ihres baldigen Todes abfinden muS, gewinnt sie ihre ge- wohnte Fas sung zurUck. Besonnanheit und Seelenruhe be- vahrt sie gleichermaBen wkhrend ihrer letsten Lebena- stunden. Die Auffasaung von der Welt, die sie in den 51 Tod mitnlmmt, "lasset . . . die Meinen . . . in dieser schdnen Welt nicht elend sein” (570), wirkt von ihrer Seite glaubhaft. Diese Aussage vervollst&ndigt Thereses Gestalt und schafft zugleich in der Gegentiberstellung zu Ferdinand und der dominierend hoffnungsfernen Tonung des Schlusees der Novelle einen der paradoxen ZUge, die zum Reiz, zur ErfUllung und zum Range der ErzSLhlung beitragen. Gegentiber diesen statischen Figuren steht einmal Rosa, Vogels Tochter. Sie ist weder auf Sichtbarkeit noch auf Betonung individueller charakterlicher Ztige angelegt (523*526). Stattdessen spricht Hartmann den motorischen Sinnesbereich an: sie ist ein musikallsches Quecksilber. Bewegung ist dermaBen mit ihrem Wesen ver- knlipft, dafl ein blofles Anhalten der Beweglichkeit genligt, um den Eindruck eines charakterlichen Wandels aufkommen zu lassen. Ihre Agilitat weicht gegen finde der Novelle der Ruhe und dem Ernst. Vorher vermochten keine Umsthnde sie vom Tanzen abzuhalten, jetzt muB sie sich "losreiBen” (569), wenn ihr Auftritt beim Ballett sie zum Tanzen zwingt. In der Beschaffenheit der sinnlichen Vorstellung rundet sich hier der Charakter einer Person und wird gleichzeitig ein ReifungsprozeB verdeutlicht. In erster Linie kommt bei der Kontrastierung mit den statischen Figuren jedoch Ferdinand in Betracht. Im 52 Vergleich zur Bestandigkeit Thereses let der mannllche Protagonist mancher Wandlung unterworfen. Die Rllckblende auf seine Jugendzeit zeigt ihn als Kunsteleven, dem Begabung frtihzeitig Beifall und Dirigentenstab in der Musikvereinigung der norddeutschen Heimatstadt eintrhgt. Anspielungen in seiner ErzfeLhlung beweisen seine Vertraut- heit mit Literatur und Bildender Kunst (500,501, 531). Aber die Musik ist die Kunst, die ihn zutiefst ergriffen hat: "Was varen mir Sophokles und Euripides neben Grluck und Haydn!" (500), Sein personlicb.es inneres Wachstum glaubt er vollst&ndig der Kunst zu verdanken. In Beet hoven verehrt er den "Meister meiner Kunst". Mehr noch; der groBe Komponist gilt ihm als "mein Sittenlehrer, mein Weltweiser, mein Erldser" (501). Kunst ist Ferdinand zum Surrogat der Religion ge- worden. Er ist umrissen als Zeitgenosse der S&kulari- sation. Darum die pseudoreligidsen Titel, die er seinem Idol Beethoven zulegt. Daher die Herkunft aus einer protestantischen Sippe, in welcher "die geistliche Wlirde als ein FamilienerbstUck betrachtet vird". Nach dem Herkommen war auch er "diesem Stande bestimmt", aber er fUhlt sich zur Kunst als seinem hochsten Lebenswert hingezogen (499-500). Religion spielt im Laufe der Novelle kaum jemals eine Rolle. Einmal wird Therese im 55 Gebet dargestellt; aber es ist bezeichnend, daA Hire Andaeht nioht wirklich rellgiBsen GegenstlLndan, sondera indirekt abemala der Eunst, nhmlioh Beethovens Ange- denken, gilt (3*503-504). Bs paBt zun historisch-soziologischen Klims des 19* Jahrhunderts, dad die Eunst nicht mehr nur absolut, d.h. als isoliertes hsthetisches Anliegen aufgefaflt vird, sondem auch einen sozi&len Anstrich erhhlt. In Ferdi nands Darstellung ist Kunst ein herrorragender Faktor zur Selbaterziehung und Persttnlichkeitabildung. Allerdings hat das nichts mit materiellen Vorteilen zu tun. Ferdi nands EunstausUbung vird sorgfhltig gegen die der neureichen Familie abgegrenzt, insofera als dort das Musizieren nur als ein Statussymbol und Mittel zur Gleich- stellung mit den Patrizierfamilien Wiens benutzt vird* Im Yergleich zu diesen Gegenfiguren erscheint Ferdinand im Alltag venig lebensgelenk, Solange der Musiker sich kUnstlerisch betktigen kann und solange er ein Qukntohen Hoffnung auf eine Earriere hegt, vergifit er alle Lebens- ntJte und Yersohuldungen (555-537). Mit der Abreise der Grkfln Termindem si oh die Aussichten auf eine Laufbahn als EUnstler, und die Wand- lung, die Ferdinand durchmaoht, vird offenkundig. M • • . mit groflen Idealen im Herzen kam ich in Wien an", heifit 54 •a eingangs der Binnenersilhlung (502). Ala einige Monate n&oh d«r Ankunft in Wien das Geld ausging, war er noch "▼oiler Hath” (511)* nloht die aaterielle Seite, eondern dae Bestreben, als Xftnstler su virken und Anerkennung zu finden, bestiamte tiber sein Lebensgeftthl. Aber langsaa rerlegt er ait dem Schwinden der Hoffnung auf Erfolg in der Kunstwelt seine Lebenserwartungen auf die Liebe su Therese. Kurz nach Beginn der lttndlichen Wanderung ait Therese, das aufi sich der Musiker sphter eingestehen, war "in air aller Ehrgeiz erloschen, und es schien air thb- richt, in der Stadt nach Ruha und Brfolgen zu jagen . . . (552). Er empfindet Zufrledenheit ait dea Los als wandernder Landausikant. Der Uaschwung, der mit dea Kennenlernen Thereses und dea Vachsen seiner Zuneigung zu ihr elntrat, begibt sich nur allahhlich, aber so aussohliefilich, dafl der Tod des Mudchens fUr Ferdinand die Bklipse der Lebensenergie be- deutet. "Meine Geschichte endet ait ihrea Tode", (570), berichtet er leidenschaftslos, depriaiert und fatalistisoh Dabei gibt sich Ferdinand rorher gelegentlich durchaus beherzt; wo persOnliche Gegner auftreten, ent- wlckelt er aerklich Tatkr&ft. Die Brstthlung ist, obvohl die Ausleerung Ton Ferdinands Leben ia allahhlichen Fortsohritt stufenweise Tor sich geht, also nicht 55 konfliktlos. Das Hadern alt der neureichen Faallie (540-542), dis handgreifliche Beschvichtlgung dss Bildhauers Alexis (446) und dsr Strelt alt dsa aelbetherrlichen Antaannssohn, zeigen Ferdinand In Auselnandersetsunken* Sie slnd in der unalttelbaren Brz&hlveise der Ssene dargeboten und ent- halten, als Ausdruck Ihrer draaatischen Koaposition, Rollengespr&ohe. Inhaltlich 1st bezeichnend, daB Therese jeveils der Q-rund ftir die Konfllkte 1st. Im ersten und letzten Fall vird Ferdinand provoziert, vo er sich als ihr Besohtltzer fUhlt. HKlt dieses Oebahren Ferdinands seinem ander- veitlgen Betragen entgegen, offenbart sich, vie er sachte aller sonstigen Vervurzelungen entkleldet vird: Therese vird zusehends sein elnzlger Halt: zuerst hat er die Helaat verlasaen, dann muB er alle Hoffnung auf die musikalische Karriere schvlnden sehen. Solange Therese bei iha ist, kann er in Zufriedenheit leben, solange iha nur das Musizieren erlaubt 1st. Als er sie verliert, 1st iha der Lebensville genoamen. Nur die Verzveiflung, in die ihn das state HIBlingen hineingesenkt hat, bleibt iha zurttck. Diese Brnttchterung Ferdinands ist einer der HauptgegenstMnde der Jforelle* Obvohl Ferdinand als Ich-BrsKhler fungiert, verden 56 die Mosaikteile, voraua sich der Leser von der Gestalt ein Bild aachen soil, weitgehend profiliert und duroh Eigentttaliehkelten abgerundet. Vir erfahren rom Auf und Ab seiner Stimmungen bei den Beatthungen ua einen Broterwerb. Seine Furcht vor dea Verlust von Ansehen und vor der ungevohnten Deafltigung vird hervorgehoben, ale PI er sum erstenaal ale Cafehaus-Muaikant auesieht. Seine vorgefaSte hohe Heinung von Redlichkeit und Reinheit der Frau (499) koaat seinem Zuhttrer, dem Studenten, aonderlich vor. Die Eigenarten Ferdinands warden auch bei seinea Sichtbaraachen durch den Referenten der Rahaenh&ndlung betont. Kleidung und Physiognomie verden im Detail ent- vorfen, und sorgf<ig vird jener Ver&nderungen und jener Altereepuren gedacht, die aufgetreten slnd, seit der Besuoher den kranken Musiker suletzt nahe der Uni versity t a ah. "Vie der Stifter einer neuen Religion" habe er danals auageashen, behaupteten die Kommilitonen. Und der Student selbst belegt den Kranken in seiner Brin* nerung ait dea Attribut "eine auffallende, stehende Figur" (497). 21 " . . . ein GefUhl von Schaa, das aich zuerst versteoktere Vorstadt-Gegenden aufsuchen lieB" (514). 57 Wlrklichke^iifrfr* ^ In der Beschreibung Ferdinande ▼errfi.t eich an aua- drtteklichsten, dafi ee eich bei den Figuren der Hovelle zuneist nioht un allunfassende Erecheinungen, sondem un Typen, d.h. Vertreter einer bestinnten Gruppe handelt. Ferdinand, Therese, Theresas Bruder Raphael, eln Bildhauer, die exzentrischen Figuren Rosa und Alexis, sowie Vogel— sie sind shntllchst KtLnstler* Und, nit Ausnahne der Ballett&nzerin Rosa, KUnstler ohne Brfolg und in dtirf- tigen Lebensunst&nden; nit ihren AngehSrigen ame oder ▼erarmte Rand figuren dee BUrgertuns und nit diesen ror alien un des Brotenrerbs willen in Kontakt. Hier haben wir praktisch einen abgesohlossenen sozialen Kreis. Aus diesen heraus erfolgen die Interaktionen nit anderen Sehlohten oder StMnden, Ferdinand unterhhlt zeitveilig Besiehungen zur "groBen Veit" Vlens, sein kleines Orchester splelt auf deren Veranstaltungen und bringt ihn sohlieBlioh deren Ungang und Teraelntliohe Protektlon in Person der GrMfin. Diese Sph&re vird aber ledlgllch in wenigen Personen gegenvkrtig, Auf der musikalischen Vanderung duroh das Wiener Land begegnen Therese und Ferdinand allenfalls noch einnal Hitgliedem der Ari- stokratie— indessen gehttren diese zum drltten in der Mo- ▼elle eingefangenen sozialen Raun: den des Landes oder 58 Dorfes. Im Sinbeziehen und Differenzieren dieser drai SphMren sprioht sich ain dautlich raalistischar Gestaltungsvilla aus. Via die einzelnen Stdnde dazu neigen, ainan eigenen Menschentypus mit standes-orientierten Verten heranzu- bilden, vird am Beispiel dar Grhfin und ihras Zirkals junger Daman deutlich, als diese sich vor der Abreise in die Sommerrasidanzan bai Ferdinand fttr die erhaltana Unterveisung in Musik und Husikgaschichte bedanken wollen: Man sprach von der Hoffnung eines fraudigen Wieder- sehens im nhchsten Vinter, von dar Dankbarkeit fttr dan ganossanan Unterricht und lud mioh andlich ain, in ainan Neben-S&lon zu treten. Da varan auf einem Tische zvan- zig BMLnde Musikalian, sMmmtlich in fainan Maroquin ge- httllt nnd mit mainar Chiffra in Gold varsehan, zu einam Pledestal aufgestellt, auf valcham eine bronzane Kopie dar antiken Euterpe stand. Rings um das Piadestal lagan BBrsen, eine Eappe, ain gesticktes Gilat und andere sahr kostbare und gaschmackvolla Handarbeiten, mit dan Earten dar jungen Daman varsehan. Dazu aina kleine Rolls, valcha ain Lobes- und Dankgedicht an dan Maistar anthialt. Die Gesichter dar jungen Daman glKnzten vor Freuds und innerer Bafriadigung, und sia batan mich, diese Gesohenke als ain Andanken an sie und als Zaichan ihrar Dankbarkeit anzunehmen. Xch gestaha, dad ich gartlhrt var, und dafi mir dlasa Gaschanka ftir dan Moment grofie Freude machtan. Abar als ich nach Hause ging und air ain Badianter ait dar ganzen Last folgte, vurde ich iaaer trauriger, und ich konnte nicht mitlaohan, als mich Alexis mit grofiem Gel&chter eapfing. Da, sagta ar, iB davon! (538) Die Gaschanka sind allasamt verbr&mt, maist unpraktisch, heutzutage mutetan sia vielleicht selbst ftlr einen Zirkel musikbegeistarter Junger Daman aus bemittelten Schichten gesucht an. Bier vollzieht sich, analog zum 59 Gesamtgeschehen der Novelle, eine Desillusionierung la Kleinen. Die Freude am Detail, mit we1eher der Autor die Gaben aufskhlt und beschreibt, unterstreioht dieeen Ein- druck zus&tzlich. Bin Gedicht, Handarbeiten, eine Saaualuog mueikaliacher Literatur in zeitgem&Ber Aufma- chung— das enteprioht den anerzogenen Voratellungen der adeligen Demoiselles vom Dankaussprechen. In ihrer eoziologisch determinierten Lebeneferne eind ihnen die alltggliohen BedUrfnisse Ferdinands kein Begriff, die in dem Schluflsatz des 4itats abrupt gegenUbergestellt warden, ▲uf der anderen Seite nehmen die Grhfin und ihre Gesell- schafterinnen Ferdinand als KUnstler auf, ohne kleinlioh auf Standesunterschiede achtzugeben. Wie ihre Mienen verraten, sind sie voller Beteiligung. Kunst und Geld jedoch, das kommt auch an anderer Stella im Verhalten der Grttfin sum Ausdruok, gehttren ftlr das Denken und die Brziehung junger Daman in den Viener Salons, nicht zusammen (535). Und der KUnstler, der sich als Tanz- musikant seinen Lebensunterhalt verdient, verliert das Privileg des Umgangs mit den Aristokraten. Als Ferdinand nach der Beemdigung eines kleinen Konzerts, das er auf einem Ball infolge einer Aufforderung eines Kunstver- stdndigen gegeben hat, sich wieder unter die Tanzmusiker einreiht, empfindet er, dafl "die Schranken des Orchesters vie vorher eine untlberschreitbare Grttnze (sic) sveier 60 Welten waxen" (550). Auch das Stadtbiirgertum, das sich nur durch den Kon- takt mit der neureichen Familie im Verlauf der Novelle einmal verdichtet, vertritt eigentumliche Normen. Ge- geniiber den Kunstlern ist man tolerant, solange man sie zur Belehrung der Kinder heranziehen kann. Umgang mit Kunstlern vom Ballett macht aber die Musiklehrerin sus- pekt (544). Dai3 Geld zum Aufstieg in diese Volksschicht qualifiziert, man aber weiterhin auf gewisse Status- symbole, wie Brziehung und Titel# achtet, legt die Be- schreibung des Binporkommens der neureichen Witwe nahe. In dieser Sphare konzentriert sich der Unverstand, dem die Helden der Novelle von seiten der Gesellschaft ausgesetzt sind. Aber auch die Landbevblkerung geht nicht immer glimpflich mit ihnen um: willkUxlich lhfit der Amtmannssohn die umherziehenden Musikanten schlieSlich festnehmen. Und den Bauern ist die Unterordnung unter die traditionellen landlichen Autoritaten so eingeimpft, daB sie blindlings deren Befehlen Folge leisten— selbst wider diejenigen, welche eben noch zu ihrem Vergmigen bei- trugen und ihnen selbst nichts angetan haben (562-564). Die realistischen Merkmale erschdpfen sich nicht in der Wahrnehmung und Sonderung dieser verschiedenen 61 sozialen Wirklichkeitsbereiche. Detaillierte Beschrei- bungen finden sich, soweit die raffende Form der Novelle 22 sie gestattet, des dfteren. Erich Auerbach hat in seiner Monographie Mimesis. 2.Auflage (Bern, 1959), die Stilmischung als eine hauptsachliche Pragung des neuzeit- lichen Realismus ermittelt. "Dur und Moll” bietet reich- lich Belege fUr eine Verbindung hoher und niederer Stillagen. Ferdinand berichtet, ihm habe der verwachsene Bild- hauer Alexis, sonst ein betonter Einzelganger, bald nach der ersten gemeinsamen Begegnung Freundschaft angetragen. Er fahrt fort: Oft, wenn wir spat in der Nacht von Theresen gingen, forderte er mich auf, noch einen Spaziergang mit ihm zu machen, und Stunden lang wanderten wir unter den Baumen am Josepha-Kanal auf und nieder. Da erfuhr ich denn, was in dieser so schlecht eingehtillten Seele vor- ging. Er hatte einen groBen Begriff von seinem Talente und tr&umte von ungeheuren Erfolgen, von Ruhm und Glanz. "Wie Chsar fiir seinen kahlen Kopf," sagte er einmal, "so brauche ich den Lorbeer fUr meinen Buckel. Einen Wald von Lorbeern", rief er, "um mich ganz darin zu verstecken!" Es war seine Schwhche, Uber seine MiB- gestalt zu sprechen, als hatte er den Gedanken Anderer zuvorkommen wollen. So sagte er eln anderes Mai: "Je welter man vom Idealen entfemt ist, desto grbBer ist der Drang danach, und desto machtiger enfaltet sich der Sinn daflir; ich hoffe darum, sehr Bedeutendes zu leisten" (S.532). 22Vgl. 494, 496, 507, 534, 538, 565-566, 569-570. 62 Die eigentliche Erzhhlung ist hier, wie iiber groJ3e Strecken der Novelle, in einer mittleren Stillage geftihrt, die gelegentlich etwas in ttberhdhung verfhllt. Im Zitat l&St sich eine gev&hltere Ausdrucksweise etwa identifi- zieren an den Satzen "in dieser so schlecht eingehtillten Seele"; "einen groflen Begriff von seinem Talente"; "Je weiter mam vom Idealen entfernt ist" und, im AnschluB an diese Textstelle, in der Formulierung "Vermdgen, dessen er Herr war". Im Vergleich hiermit offenbart sich ein Gradunterschied in Alexis' erstem Ausspruch. Die gro- teske Analogie des Verunstalteten zwischen sich selbst und Casar, gibt sich im niederen Stil: "... so brauche ich den Lorbeer fur meinen Buckel. Einen Wald von Lor- beern, . . . um mich ganz darin zu verstecken." Eine Vielzahl von Paragraphen ist durch hhnlichen Stilwillen gepragt. Die Darstellung des Konflikts zwischen Ferdinand und der Parvenu-Familie mag als zu- satzlicher Beleg hinreichen. Deren eigenwilliger Sohn ist beim Einiiben einer Donate unfahig, mit seiner Schwe- ster Takt zu halten. Als Therese die Rolle der Partnerin zeitweilig Ubemimmt, gelingt ihm das Zusammenspiel nicht besser. Er beharrt, die Partnerin trage die Schuld und wird zuletzt ausfhllig: "Das ist nicht langer auszu- halten, Sie spielen ja wieder zu langsam! Sie sind eine 63 Gans!" (341) Ferdinand l&£t sich su elner Uberreizten t&tlichen Reaktion hinreifien, welche die Hutter auf den Plan bringt. Sie "stente die Hhnde in die Seiten und riefi "Was! Solches Volk wagt es, meine Kinder su schlagen und in meinem Hause, vor den Augen neiner Kinder sich zu lieben?!" (342) Ferdinand verlKflt eilenda mit Therese das Haus; draufien erl&utert er ihr den Grand seiner Heftigkeit: 3r (der junge Parvenu) erschien mlr plbtslich als der Vertreter des gesammten hodusiithigen Unverstandes, dessen H&rte und Rtlokaiohtslosigkeit so gem die Besten und Edelsten verwundet und der desto unversoh&mter vird, je grSBere Milde und Geduld nan ihm zeigt . . . . Da flel mlr pldtslich eln, vie der Junge in seinem Grimms "Er llebt sie!" ausgerufen und Theresen ein Ge- heimnifi verrathen, dem ich niemals Vorte zu geben ge- vagt hatte . . . . Ich drUckte ihren Arm an mich, ohne auch nur eines Wortes fdhig zu sein. Schveigend gingen wir lange Zeit ttber das Glacis, bis sich nach und nach unsere auf- geregten GefUhle aussusprechen im Stande varen. Wir vergafien die Welt und die traurige Gegenvart. Stunden- lang vanderten wir auf und nleder, von elner schOnen Zukunft sprechend, und der Tag, der so stttrmlsch be- gonnen hatte, war einer der schttnsten meines Lebens. (542-543) Telle der Erkl&rung Ferdinands ("der Vertreter" etc*) und seiner Reflexion ("Worte su geben gewagt hktte”) fallen in den Bereich des hohen Stils* Der letste Para graph des Zitats tendiert in seiner Schlichtheit auoh sur tfberhtthung* Demgegenttber sind die Ausrufe des Jungen und seiner Hutter in unbestreitbar salopper, selbst vulg&ren Umgangssprache abgefaSt ("Gans, solches Volk"). 64 Die Rolle, die hier der Mutter zufhllt, umfaSt nicht genUgend Text, um zu ermitteln, ob die Fhrbung der Sprache sich zur Individualsprache einer Gestalt zuspitzt. Im Rahman dessen, was eine Ich-Erzahlung erlaubt, finden sich Ansatze zu einem personlichkeitsgerechten Idiom in den Aussagen des Kellners, der Ferdinand Uber die Gepflogenheiten der Restaurateure gegenUber herumzie- henden Musikanten belehrt. . . . Euer Gnaden, das ist natUrlich* Wenn die Kellner und Kaffeewirthe gewuBt hatten, daB Euer Gnaden sich nur einen SpaB machen wollten, so hhtten sie Euer Gnaden gewifi mit grdlBtem Vergnugen spielen lassen; aber sie haben Euer Gnaden fUr einen von den landstrei- cherischen Musikanten gehalten und darum Euer Gnaden zurlickgewiesen. Denn wir Kaffeehhuser und Gasthauser erlauben nur den Musikanten des Kreuzer-Vereines, die sich das bei uns ausgewirkt haben, aufzuspielen. . . . Da weifi man doch, an wen man sich, wenn es ndthig ist, halten kann, und da ist man im Stande, dieses Volk ordentlich zu beaufsichtigen. (515-516) Einige Formulierungen in diesem Absatz bezeugen deutlich, daB ein bestimmter Typus dem Autor vorgeschwebt und an der Konzipierung der Shtze teilgehabt hat; vor- nehmlich "Da weiB man doch, an wen man sich . . . halten kann, und da ist man im Stande dieses Volk ordentlich zu beaufsichtigen" und "wir Kaffeeh&user und Gasthhuser", natUrlich auch das stereotype "Euer Gnaden". W&hrend diese Formulierungen namentlich auf Jargon, also berufskennzeichnende Sondersprache, abgestellt sind, 65 heben sich aus den Bemerkungen des Zunftobmanns Vogel einige recht persbnliche Redensarten ab: Zu dem Wiener pafit: "Na, Sie Hannoveraner, Preufie, Sachse, Lippe-Det- molder, oder was Sie sonst sind ..." und "... ich kann die Leute aus dem Reich nicht leiden " (521). (Dia- lekt verwendet Hartmann Ubrigens nicht.) Dem Gelegen- heitsmusikanten kommt das "noch eine Flasche guten Un- garischen, da3 wir uns gehdrig begeistem" (556) zu. Und, daB er zum Vorspiel eines guten Violinisten "auch eine Tasse Schwarzen trinken" (522) muB, glaubt man dem Musiker wie dem genieBerischen hlteren Herrn gleicher- 23 maBen. Solche ZGge der Darstellung zeigen Neigung zu induk- tiver Gestaltung an. Auch die autobiographische Stoff- herleitung entsprach derartiger Anregung aus der Wirk- lichkeit des Alltags. Bine Stelle aus einem Brief Hart manns mag noch einmal vor Augen ftlhren, daB ihm ein Ge- schick, wie Ferdinand es in der Novelle zwischen dem adeligen Salon und seinen eigenen und Thereses armseligen Verhaltnissen ftlhrt, nicht fremd war. W&hrend der Autor sich 1841 als Hauslehrer mit dem Brteilen wehiger Privat- stunden bei der Familie von Wertheimstein, 23 Vgl. auBerdem: "... dieses Strampeln in der Luft, das du Pirouetten nennst . . . ", u. " . . . graset die fette Weide ab." (560) 66 Geschfiftspartnern der Rothschilds, durchschl> und nicht selten in grofle Bedrangnis gerat, beklagt er sich brief- lich liber sein "elendes Leben in den nobelsten aristo- kratischen Gesellschaften" (Wittner, Briefe. S.105). Detailbeschreibungen, wie der Blick in Alexis' Bildhauer- studio, machen ebenfalls vernehmlich, daB sich der Autor bei seinem Schaffen gem an die Vorbilder der Wirklichkeit halt.24 Es steht hiermit im Einklang, wenn Hartmann die Vor- ghnge der Novelle im Rahmen unserer konventionellen Zeit- rechnung und Geographic ansetzt. In Wien, im Jahre 1844, beraumt der Autor das Treffen des Rahmenerzahlers mit Ferdinand und den Bericht des kranken und isolierten Musikers an (493-494). Die Bekanntschaft mit Therese soil sich an einem Marzmorgen wenige Tage nach Beethovens Tod anbahnen. Auch hier h< sich Hartmann an die Wirklich keit: Beethoven starb im M&rz 1827— und daB nach der Freundschaft mit Therese, deren Dauer mit der erz&hlten Zeit der Novelle ttbereinstimmt und etwa 4 Jahre betrftgt, eine geraume Weile verstrichen ist, deutet Ferdinand am 24 W&hrend seines Genfer Exil8, 1849, hatte sich der Emigrant im Umgang mit italienischen KUnstlera mit der Atmosph&re der Studios vertraut machen kdnnen. Vermutlich hat er sich sogar selbst im Metier versucht. Vgl. Brief- zitat in Wittner, Leben.11.15. 67 SchluS mit den Wendungen "damals" und "von alten Zeiten sprechen" an (570). Mit Beethoven wird eine historische Persbnlichkeit am Rande mit den Vorfallen der Novelle verbunden. Der fiktive soziale Bereich der Brzahlung zeichnet sich aber- mals durch Geschichtlichkeit aus. Die Geschichte eines wahrhaftig existierenden Wiener Gebaudes, des "Federlhofs", wird im Rahmen vom Anfang des 16. Jahrhunderts, von der Lebenszeit des Paracelsus, bis zur Mitte des 19. Jahr hunderts abgespult. Historische Figuren, die hier angeb- lich Herberge nahmen, dienen als Fixpunkte, an denen die Jahrhunderte abgezahlt werden: Paracelsus, Wallenstein, und Leibniz. Jetzt haben die Zeiten sich dem Aufieren des Turms aufgeprhgt und auch das Publikum verhndert: das Gebhude ist heruntergekommen, wird "von einem reichen Spekulanten angekauft \ond sollte einem neuen, eintrag- lichen WohngebfeLude weichen" (494). Der Flug der Zeit in der Verganglichkeit eines vermeintlich stabilen Gebaudes gespiegelt, und der Wandel des Menschenschlags im Wechsel von den geachteten einstigen Bewohnem zum neuen Besitzer, dem reichen Spekulanten, verzeichnet: Spuren der Mentali- tat Wiens und des 19. Jahrhunderts. GespUr fUr die soziale Dynamik ist auch aus dem Kreis der Gestalten der Novelle vernehmlich. Die neureiche 68 Fanllie hat ihren sozialen Rang eben ervorben und bemtiht sich noch alt alien Mitteln, ee den Alteingesessenen glelehsutun. Thereeea Fanllie hingegen hat eret durch das Debakel la eftterlichen Geschttft ihre gesellschaftliche Stellung eingebtifit. Bbenso vie ftlr Therese vird ftlr Ferdinand Herknnft und Famlllengeechlok unterlegt) das Bedtlrfnls des Autors, das Vorleben der Hauptflguren elnzubezlehen und die Ge stalt en daraus su entvlckeln, aacht sich beaerkbar, Be hebt die geschlchtliche Auffassung hervor, wenn dlesea ProzeS, obvohl die Vorgeschlchte la Referst vorgetragen vird, so viele Elnselhelten gevtthrt verden* Selbst die Herleltung von Kuliesenfiguren vie den Emporkttnmlingen IttSt deren Vorgeschlchte nlcht unaufgekl&rt. Auch Vogels Leben vird In die Vergangenhelt vert left: Iha viderfuhr elast das glelohe Los vie jetzt Ferdinand, er hllrate sich ebenfalls gerauae Zelt als KUnstler ohne Anerkennung und hinl&ngllches Auskoamen (524-525), Der Konnez, den Hartmann in der Rahaenerztthlung svlschen Doalzil und Bevohner, Federlhof und Ferdinand, kntipft, unteretreicht die Geschichtlichkeit. Die Beaohrdibung des hlstorlschen Federlhofs und der AbrlB von dessen ehrwUrdigen elnstlgen Funktlonen selgen, vie der Verfasser in alien GegenvtLrtlgen sugleloh das Gestrlge und welter ZurUckliegende einzubegreifen sucht 69 Manohe Bigen tilmliohkei ten der Darstellung, wie ele sich oilt dem Erscheinen der Realisten In Deutschland ver- binden, slnd in der Norelle rorhanden. Trots alien realistischen Merkmalen— raum-zeitllcher Qebundenheit und sozlologisohem BewuStseln, induktirer Gestaltung und Stilmischung— ist die Norelle allerdings nicht frei won romantischen Elementen. Romantlsch ist elnmal die Wahl des Wandermuslkanten-Motirs: Ferdinand und Therese ziehen mit Instrumenten auf l&ndllche Bettelfahrt. Wohlgemerkt, eine unbeschwerte Reise und ein hoffnungsvoller Ausklang im Stile des Taugenichta ist Hartmann nicht mehr annehm- bar; die Desillusion ist besiegelt« Romantlsch ist aber blsweilen auch die Benutzung ron, an sich betrachtet, realistischen Einzelheiten und Detail- Besohreibungen, well diese nicht Selbstzweck bleiben. Die "sprechenden Bauwerke” fallen in diese Rategorie. Die eingehende Information tiber den "Federlhof besagt, aufler ttber die Baulichkeit an sich, ebensoviel ttber den Muslker, der dort krank und isoliert neben unwillkommenem Gesindel wohnt. Menschlieher Organismus und hlstorisches Bauwerk erwarten die Vernichtung. Das Zelohen der Ruine und der 70 dadurch ausgelcSste Affekt begleiten den intelligenten Leser durch die gesamten Ablhufe des Kunstwerks. Derar- tige Unterordnung von Einzelteilen unter eine allgemelne Geftthlsgerichtetheit 1st im Grunde ein romantisch.es Ver- fahren. (Sines der ErbgUter des modernen Romans wie des Symbolisnrus von seiten der Romantik, kdnnte man hinzu- fUgen. Teils handelt es sich um ein Einverleiben lyri- scher Technik in die Spik, wie es als "Universalpoesie", das aber heiSt eben auch Wiedervereinigung der Gattungen, von Friederich Schlegel und Novalis postuliert wurde. Vgl« 116. Athenaeum-Fragment.) Die Binnenerzahlung verzeichnet ein hhnlich gela- gertes Bild, das liber seinen Selbstzweck hinaus ebenfalls die Funktion der Einsti miming wahmimmt. Das erste Treffen Ferdinands und Thereses bildet die Hentscheidende Begeben- heit" der Novelle. In deren Gestaltung ist dem Leser unter der Schwelle seines BewuBtseins eine veranschau- lichte Ahnung des Novellenendes mitgegeben: Die Begegnung findet nach Beethovens Tode auf einem Kirchhof statt; die Beziehung Thereses und Ferdinands beginnt unter dem Zeichen des Grabes und endet ebenfalls dergestalt (503-504, 570). Knieend am Grabe, so wird Therese in die Handlung einge- ftihrt und auch von Ferdinand zum erstenmal wahrgenommen. Eben sie ist am SchluB zu Grabe getragen. 71 Noch einmal bringt der Dichter Therese mit der Be- grabnisstatte in Verbindung und erneuert damit den Hinweis auf die Rolle, die dem Madchen zugedacht ist. Links von unserem Wege lag der Kirchhof, wo wir uns vor beinahe drei Jahren zum ereten Male gesehen. "Hier", sagte Therese sanft lachelnd, "kbnnen wir auf jede Weise von unserem geliebten Meister Abschied nehmenM. Sie fuhr mit der Hand durch die Saiten der Harfe, die ich trug, und melancholisch zitterten die Tbne dem Grabe Beethoven's zu. (549) Diese Zeilen befinden sich an einer strategischen Stelle der Novelle: sie leiten die idyllische Ausfahrt Thereses und Ferdinands als Wandermusikanten ein. Vor dem Offnen eines neuen Raumes und einer kurzfristigen Aufwartsbewegung im Leben der beiden glUcklosen Wanderer stellt der Dichter somit erneut das Wamzeichen auf: die Musik verklingt hiniiber zum selben Friedhof, das Grab Beethovens wird erwahnt und auBerdem wird ausdrlick- lich noch einmal auf den Anfang der Bekanntschaft an eben dieser Stelle aufmerksam gemacht (" . . .wo wir uns vor beinahe drei Jahren zum ersten Male gesehen”). Auch die Wendung ”auf jede Weise . . . Abschied nehmen" spielt auf Thereses Tod an. (Meine Heraushebung). Die Geftihlsbefrachtung wird hier durch eine aber- malige Assoziation mit dem Grabe intensiviert. Gleich- zeitig l&3t sich aus der Wiederguakntipfung an gerade diesem 72 Knotenpunkt der Hand lung entnehaen, daJ3 dieses Symbol such inhaltllch gliedernde Funktionen wahrnlmmt. Ib ▲ufbau der Hovelle setsen alt der Bekanntschaft alt Therese und ebenso alt der Verlagerung des Schauplatsss auf das Land jevells neue Phasen der Handlung ein. Bs 1st vohl nur tells gereohtfertigt, die veran~ schaullchte Grab-Vorstellung als Symbol su bezelchnen. Es handelt sich Tlelaehr um ein Verkseug einer affekt- anrelohemden Omen-Teohnik, die sich kaum ganz zur Symbollk ▼errollstkndlgt. Das Blld des Grabea hat zvar die Punktion, auf etvas anderes hinzuveisen, indessen 1st der Bereich, auf den es ansplelt, sehr beschrknkt fUr Symbolcharakter. Symbole reiflen in lhrer Auadehnung ge- wtthnllch Ideelle Berelche an. Das Blld des Grabes in "Dur und Moll" begnUgt sich damlt, auf ein konkretes Ereignis rorauszuveisen: den Tod Thereses und das Ende der Liebe zwischen Ferdinand und Therese. Es besltzt folglich ftlr den Inneren Ablauf der Novellenhandlung die Dlaension des ZukUnftigen, aber 1st merkllch linear und eindlaensional und erfafit venlge auBerhalb der Novelle exlstierends allgeaelne Tatbesttfnde Oder Ideelle 7orstellungen. Der Charakter der Elnstlmmung, der solchen Struk- turen lm Rahmen der Novelle llbertragen ist, Terrht sich auch In der Vorbereitung des 3ohlusses in den Abschnltten 73 11 und 12. Unmittelbar vor dem verhiingnisvollen Zu- sammenstoB mit dem 3ohn des Amtmanns, der das Ende der Wanderung herbeifUhrt, erfahren wir vom Ableben von Ferdinands Vater (561). Im letzten Teil der Novelle wird durch Rosa der Tod des alten Vogel mitgeteilt. Es gehort zu den Praktiken der traditionellen Epik und Dramatik, am Ende der Handlung Uber den Verbleib der beteiligten Gestalten Rechenschaft zu leisten. Deshalb wird die Handlung wombglich fUr den AbschluIB reduziert. Sollten solche Erwartungen des Publikums und Regeln der Konvention das Ausscheiden Vogels gegen Ende der Handlung erklhren? Eher ist die Todesnachricht als einstimmendes Signal eingebaut. Der funktionelle Gebrauch zur Einstim- mung ist besonders einleuchtend, wo man vom Ableben von Ferdinands Vater erf&hrt. Denn es handelt sich bei diesem um eine episodische Randfigur aus der Exposition, Uber deren Verbleib weder Handlung noch Leser weiteren Auf- schlusses bedurfen. Zu dem einstimmenden fieiwerk gehoren noch einige weitere Strukturen. Ahnlich der leitmotivischen Wieder- holung sind mehrfach im Ablauf der Novelle Hinweise auf Thereses Blasse eingeflochten, nach ihrem Bluthusten 74 2*5 auf die Rbte als Variante. In Verbindung mit den Symptomen von Thereses Krankheit findet sich eine Vor- ausdeutung, die ehenfalls in erster Linie beitragt, den Leser ftir das Kommende empfhnglich zu machen (561). Desgleichen steht die Naturbeschreibung gegen Ende der Erz&hlung im Dienste der Einstimmung. Nach Thereses Bluthusten l&Bt Ferdinand die Erschbpfte eine Zeitlang ruhen . . . und betrachtete ihr schlafendes Gesicht, das mit der ruhigen, halbverhiillten melancholischen Herbstwelt, die oins umgab, so grofle Aehnlichkeit hatte. Traurig blickte ich vor mich hin. Die einsame Blume zwischen den Stoppeln auf dem Felde, der Kranich, der klagend liber meinem Haupte der Feme zuzog, das Blatt, das vom Baume fiel . . . (566) Hier geht der Schriftsteller sogar so weit, dafi er das Herbs tgefiihl, das die Bilder (Stoppelfeld, klagender Kranich, fallendes Blatt) auszeichnet, ausdrlicklich auf Therese richtet. Nur strichhaft werden Teile aus der umgebenden Natur angedeutet und jeweils besitzen alle den Charakter von Stichworten, die Assoziationen an Herbst und Sterben fbrdera. Ausgedehnte Naturbeschreibungen sind am SchluB der Novelle, wo die Raffung zunimmt, nicht mehr am Platz (Vgl.567). ttberhaupt ist ja die Novelle zielstrebig in 25Vgl. 505, 510, 544, 545-546, 550, 561, 567, 568. 75 ihrer hergebrachten Form, der sich das 19. Jahrhundert meist bedient, und beschneidet eingehendes Verweilen bei Randerscheinungen des Gegenstandes. Vielleicht ist es auf diesen Urnstand zuruckzuftihren, wenn "Dur und Moll" innerhalb der Darstellung selbst wenig psychologisch vorgeht. Bin sich versenkendes Eerfasern der Gemtits- und Gedankenwelt der Helden, wie es bei Balzac Oder den groBen Russen oft den HandlungsfluB unterbricht und die Erzahlung in die Bewegungen und Bilder der Innenlebens eintauchen laBt, fehlt dieser Novelle. Nur hier und da legt der Held (und Ich-Erzhhler) dem Rahmenzuhdrer einmal ein Be- kenntnis seiner ethischen oder aesthetisch-psychologischen Leitgedanken vor (Vgl. 499;500-501). Lelstung dieser Novelle Psychologisch.es BrschlieBen auf dem Wege begriff- lichen Denkens vollzieht diese Novelle nicht. Ferdinands Mentalitat und Lebensgefiihl, das Ratsel ihres Werdens und der Selbstauszehrung sind stattdessen in den Ereignlssen veranschaulicht. DarUber hinaus leistet die Novelle eine souver&ne Urasetzung und Pointierung von Hartmanns bio- graphischem Material. "Dur und Moll" ist eine Erlebnis- novelle im Sinne der Erlebnis- oder Bekenntnisdichtung— aber es gelingt dem Autor, die private Basis seines Ge- bildes und die Belange, die in erster Linie eine Gruppe 76 (die KUnstler) betreffen, in eine relativ differenzierte Gesellschaft einzubauen. Der soziale Bereich ist ent- worfen unter Beachtung wirklicher Gegebenheiten. Die Personen der Novelle gehbren vorwiegend zu einer Welt der Wachexistenz. Keineswegs schlieBt die Abwesen- heit mythischer oder irrationaler Kr&fte aus, dafl die Individuen in dieser Wachexistenz nicht trotzdem der tfberwaltigung anheimfallen. Gerade diesem Geschick wird Ferdinand mit Thereses Tod ausgeliefert. Affekte sind durchaus von Belang, so etwa Ferdinands Paroxysmus nach Thereses Bluthusten und Alexis' Zornausbruch; aber die triebhafte deite des Menschen ist bis auf die Spisode um den Amtmannssohn fast ausgeklammert. Der Gexus wird sublimiert oder verdrangt— es mutet an, als lage Ferdinand jede AnnsLherung an Therese aus ethischem BewuBtseln fern. Die Traumsph&re wird nicht bervicksichtigt. Die Novelle spiegelt mithin vomehmlich die bewuBte Wirklichkeit. Aber auch diese ist keine Region des be- quemen Dahinlebens und der gelbsten Probleme. Der Problematik alles Menschlichen: Unverl&Blichkeit des Daseins, MiBerfolg und Tod, ist nicht zu entrinnen. So reprasentiert die Novelle in den GrundzUgen das Schei- tern eines Musikers. Der Gegenstand ist nicht neu, doch 77 erzeugt die Wahl der Bchauplhtze und des spezifischen sozialen Raumes eine eigene Note. K>nm ein Jahrzehnt zuvor, 1848, beschaftigte sich Kierkegaard begrifflich mit Ph&nomenen, wie Hartmann sie hier in der Darstellung anrtihrt. Der Dhne hatte sicher an Ferdinands Befindlichkeit Die Krankheit zum Tode 26 diagnostizieren miissen. Des Musikers Verzweiflung scheint einer Veranderung seiner Umwelt zu entspringen und somit von auBen zu kommen. Ein Schicksalsschlag entreiflt ihm Therese, seinen Anhalt am Leben. Liegt die Ursache der Verzweiflung indessen nicht trotzdem in Ferdinands eigenem BewuBtsein? Kierke gaard gebraucht den Verlust eines geliebten Menschen, eben das Geschick, das Ferdinand widerf&hrt, um zu illustrieren, daB die Verzweiflung "Uber etwas" im Grunde ein Verzweifeln an der eigenen Person bedeutet. Er reflektiert: Ein junges Madchen verzweifelt aus Liebe, also sie ver- zweifelt Uber den Verlust des Geliebten . . . Das ist keine erklhrte Verzweiflung, nein, sie verzweifelt Uber alch selbst. Dieses ihr Selbst, welches sie, wenn es die Geliebie von "ihm" geworden whre, auf die liebens- wtlrdigste Weise losgeworden ware . . . ist ihr nun eine Plage . . . eine widerw&rtige Leerheit geworden, weil "er" tot ist . . .27 26Ubers. E. Hirsch, (DUsseldorf, 1957). 27 Krankheit, S.15-16. Eigene Heraushebungen. 78 Ersetzt man im Zitat nur den weiblichen durch den m&nnlichen Partner, so ist die Verfassung Ferdinands er- staunlich getreu getroffen. Am Ende der Novelle und in der Rahmenhandlung gleicht Hartmanns Held dem Prototyp des Verzweifelten. Der kranke Musiker gehort, in Kierke- gaardsche Denkart Ubertragen, zu jener Kategorie von Verzweifelnden, die ''verzweifelt nicht man selbst sein wollen" (Krankheit. S.8ff.). Kierkegaards ganz auf das Selbst ausgerichtete Fragestellung laflt sicherlich manch.es auBer acht, was in einem liebesverhaltnis durch gegenseitiges Erghnzen Bereicherung bedeutet. Dennoch bleibt seine Aussage fUr Ferdinand im hohen Grade zutreffend. Nach Thereses Tode ist Ferdinands Zerfall mit der Welt komplett: es handelt sich nicht mehr blofi urn eine Entmutigung Uber den Tod Thereses. Auch die Umkehrung dieses Satzes ist unbe- streitbar: Therese verkorperte, vor ihrem Tode, eine Insel des Lebenswerten in einer Welt, mit der Ferdinand bereits zerfalien war. Das Madchen barg seine ganze Hoffnung— und Illusion: in sie hinein projezierte er sein ganzes Selbst und seine Lebenserwartungen. Das ist genau der Tatbestand, den Kierkegaard im vorhergehenden Zitat beschrieb. Ferdinand unterliegt zusehends in seinen BemUhungen urn eine Selbstverwirklichung 79 als Musiker oder Komponist. Seine Wechselbeziehungen mit der Welt schlagen zu 3einem Nachteil ausi seine Reise nach Wien zu Beethoven, dessen vorzeitigen Tod er bei der An- kunft erfahrt; seine Versuche, Kompositionen bei Verlagen anzubringen; seine Bestrebungen, bei einem Orchester An- stellung zu finden; sein Anlauf, liber die Protektion der Grafin als Klinstler Anerkennung zu erlangen und sein Abenteuer, mit Therese als fahrender Landmusikus sein Leben zu fristen. Je aussichtsloser seine Selbstver- wirklichung scheint, desto mehr lehnt sich sein Selbst an Therese an. Deren Tod bringt folglich vollstandiges Verzagen: "Mein Ehrgeiz und meine Hoffnungen sind mit Therese zu Grabe gegangen. Meine Geschichte endet mit ihrem Tode" (570), gesteht Ferdinand ein. Der Musiker ist lebendig ist seiner Verzweiflung ein- gesargt. Und seine Verzweiflung ist nunmehr so unliber- brlickbar, da!3 auch eine verspatete Orchesterbeschaftigiang ihn nicht mehr aus seinem Dahinvegetieren zu erlosen ver- mag. Eine Therapie ist fur diese fatalistische Seelenver- fassung nicht mehr gegeben. Es scheint bezeichnend ftir das geistige Klima des 19> Jahrhunderts, daB eine Heilung oder Mildearung der Verzweiflung aus religiosen Quellen nie in Betracht steht: Gotteshilfe, Erlbsiing, existiert ftir den sakularisierten Helden Ferdinand nicht. Das Bild 80 der Gebrechlichkeit, das er dem Beeucher der Rahmenhand- lung darbietet, ist Ausdruck der "Krankheit zum Tode", aus der flir ihn kein Ausweg existiert— der Verzweiflung. Der Leser wird Zeuge der Abtakelung eines Lebens- schiffes, das am Ende als untiichtiges './rack zuruckbleibt. Was der Brzahlung dabei eine belastende Schwere verleiht, rUhrt vom Wissen um den Ausgang der Novelle, das man, durch die Rahmenerzahlung, von vornherein mit in die Lek- tUre hineinnimmt. Von besseren Tagen wird angesichts eines Wracks berichtet: die kleinen Konflikte und Er- freulichkeiten des Lebens verlieren dabei an Gewicht ein- gedenk der vor Augen schwebenden Katastrophe. Die Enttauschungen Ferdinands in der Derufswelt und in der Intimsphare sind trotz aller Betonung der Armut und der Krankheit, der Verlassenheit und des Blends, von Rtihrseligkeit ferngehalten. Die Betroffenheit des Autors verbirgt sich nicht, aber sie ist im Geschehen latent und wird nicht explizit vorgetragen. Eher aufiert sich Hart manns Teilnahme durch die Wahl des Gegenstandes. Vo es um die Hauptpersonen geht, alltagliche, unvorragende Figuren, wird ihr Schicksal als denkwiirdig xind gewichtig behandelt. Der raffende Bericht gegen Ende und Thereses r&t- selhaft gefafite Herausforderung des Lebens, wenn sie noch 81 im oterben von "dieser schonen Welt" spricht (570), liegen in einer Richtung mit der gesamten Darstellung. Die Dialektik zwischen Thereses noch unmittelbar vor dem Tode wachem Lebensoptimismus und Ferdinands Lebensmtidigkeit und Verzweiflung schafft erstaunliche, paradoxe und bewegende Effekte. Jie Lyrisierung vermeidet unechtes Gefiihl und ge- mlitvolle Geschwatzigkeit. Zudem werden Empfindungen meist durch Objekte oder Vorgange ausgedrUckt, wie beispiels- weise in der Rahmenerzahlung. Deren Schatten fallt auf die gesamte Novellenhandlung. Ominose Bilder, die Werk- zeuge der Omentechnik, etwa des G-rabes, reihen sich an diesen Schatten. Mittel der Einstimmung, Todesnachrichten, leitmotivisches Verfahren und Vorausdeutung, erhalten die Intensitat der erzeugten Gefuhlslage: Melancholie als Ausdruck und Verfassung einer Welt— nicht als deren auf- getragene Glasur. Wie Melancholie, so ist auf dem Wiener Schauplatz Musik angemessen. Sie belebt die Gedankenwelt und Motorik der Novelle, solange solche Bewegung angebracht ist. Gegen Ende rauB sie mehr und mehr zurlicktreten. Sie ist keine aufgepfropfte Zutat, sondern erganzt als ein bestimmender Faktor das Portrat Ferdinands und das Milieu 82 no der Novelle. Sie dient ebenso als eins der Bindeglieder, welche die Wirklichkeitsbereiche zusammenhalten. Die musikalische Betatigung ftihrt Ferdinand in die Gesellschaftswelt Wiens, bringt ihn, zusammen mit Therese, in die Hauser der BUrger und verschafft itun Erwerb in der Wiener Provinz. Es rechnet zu den Verdiensten der Novelle, dafi sie die Ver- schiedenheiten in diesen sozialen Bereichen sichtbar macht, in der Ausfxihrung aber die verschiedenen Welten so ineinander £Ugt, dafl die Novelle eine abgerundete Einheit ergibt• 28 Die kleine Ausdeutung Beethovenscher Musik verrat Hartmanns Vertrautheit mit der Materie; vgl. S.501-502. Ill* KUBZLBBIGKEIT DES GLUCKS AUCH IM AB5EITS: "Die Glocke" Abschattierun*: eines gleichartlgen Motive Wir wollten ungesehen aua dem Dorfe kommen und den Tag in Wald und Feld verbringen. Das ganze Dorf lag noch im tiefsten Schlafe, als wir an den letzten Hausern dahinhuschten; nur die Brunnenrohre murmelte und die Schwalben zwitscherten. Ein Kalb, das man im Dorfe die Nacht durch weiden liefi, blbkte uns freundlich an und machte uns einige Freudensprtlnge vor. Marie drUckte mir den Arm und lachte vor Seligkeit . . . Laufend kamen wir ins freie Feld, wo schon die Lerchen sangen und die Thaue zu glanzen anfingen, obwohl der kleine Bach noch so laut plauderte, wie er nur in dunkler Nacht zu thun pflegt. Wir eilten, so fern als mbglich vom Dorfe zu kommen, und sprachen wenig; nur dafl wir ions von Zeit zu Zeit ansahen und lachten . . . (150). So beschreibt Hartmann in "Die Glocke" den Beginn einer Wanderung.^ Die Situation ist dem Leser gelaufig aus "Dur und Moll". "Es regte sich noch nichts in den Gassen", heifit es dort anl&Blich Thereses und Ferdinands Ausfahrt auf das Wiener Land: die gleiche unnachbarliche FrUhe, da die Menschen noch aus dem Wege bleiben. In der Natur eine hhnliche eLkustische Kulisse: die Laute des Wassers und Vogelstimmen. Beidemal sind die Wandemden nicht zum Sprechen aufgelegt. Werke. V,124-169. Innerhalb dieses Kapitels be- ziehen sich eingeklammerte Seitenzahlen stets auf "Die Glocke". 83 84 Die Bllder tthneln sich; das iat nicht ungevtthnlich, da dasaelbe Motiv vorliegti die Wanderung einee Liebes- paares. Dieee wiederxun atellt nur ein TeilsttLck der grttfieren Struktur dar, der Liebesgesohichte, die beiden Novellen geaeinsaa ist. Bine Confrontation ait einer veiblichen Gestalt bildet, ebenfalls entaprechend, je den Wendepunkt ia Leben der nftnnlichen Hauptfigur und aacht zugleich je die entscheidende Begebenheit der Novellen aus. GleichlMufig serbricht dae Schicksal beide Liebesverhttlt- niase durch Erkrankung und Tod der Held in und fUhrt den Verbenden in die Erise. Trota dieser Parallelen hebt sich die Anfang 1839 2 erstaalig verBffentlichte "Glocke" ab von der frtiheren Novelle "Dur und Moll" durch eine Nuancierung. Der Unter- achied 1st schon unhand der korrespondierenden idylliachen Bilder auasuaachent "Die Glocke" aeichnet sich durch vitalere Tbnungen aus. "Marie drtickte air den Ara und lachte vor Seligkeit", hleB ea in dea Zitat. Das Schveigen der beiden Auafltlgler ist frbhlicher Natur; ihnen Braunachveig, Januar 1859,773 59-376. wittner sufolge unterrichtete Hartaann ia Oktober 1858 brieflich Bekannte in Paris von der Vollendung der Novelle (Leben. II. 306). 85 ist so wohl zumute, dafi sie sich "von Zeit zu Zeit ansahen und lachten". Soviel tlberschwang war Therese und Ferdinand in "Dur und Moll" nicht vergdnnt. "Therese war es, die zuerst das Schweigen brach und die Wolken von meiner Stira zu verscheuchen suchte" (IV,549)— so entsann sich Ferdi nand seiner damaligen bedrlickenden Einsilbigkeit. Qben- drein verlieh der Seitenblick auf Beethovens Grab dem idyllischen Bild in "Dur und Moll" vollends freudlosere ZUge. Wie diesem bildmaBigen Motiv der Ausfahrt haftet in "Die Glocke" gleichfalls manchen inhaltlichen Fugungen eine unbeschwertere Farbung an. Der Komplex um die Existenznbte und Anstellungsbemuhungen des KUnstlers, in "Dur und Moll" in mehrfachen Abwandlungen veranschaulicht, ist ausgeklammert. Vergleichsweise hat man es in "Die Glocke" nur mit jenem Abschnitt der Handlung aus "Dur und Moll" vom Binsetzen der Wanderung bis zum AbschluB der Novelle zu tun. Die Ausfahrt jedoch bot in "Dur und Moll", im Verhaltnis zum Ubrigen der Novelle, eine auf- steigende Phase. Diese Aufwartsbevegung des Temperaments wohnt auch der ersten H&lfte der "Glocke" inne. Ferner wirkt Max' Konflikt privater als derjenige Ferdinands. Nach der Krise, welche dem Tod der Geliebten folgt, verbleibt Max somit der Spielraum einer materia- 86 listisch-praktischen Wendung zum gesellschaftlichen Wirken und alltaglichen Leben. Hierin offenbart sich, wie auch anderweitig, eine grdSere Amplitude der Stimmungskurve in der Novelle. Das Pendel schwingt weiter aus zum positiven Pol. In "Dur und Moll" hatte das Schwergewicht auf der Darstellung von Ferdinands Desillusion gelegen. Die mann- liche Rolle wurde deshalb in einer im wesentlichen ab- fallenden Geftihlskurve gegeben. na Ferdinands Gebrochen- heit in der Rahmenhandlung eindrticklich ausgemalt war, entstand kaum der Eindruck einer Veranderung. Es ent- sprach den gedampften Tonen, dafi auch seine Liebe durch Zurtickhaltung gepragt war. Max dagegen ist wandelbarer. Gleich zu Anfang findet ein ostentativer Umschwung in seiner Binstellung zum Landleben statt. Mit der Entwick- lung der Liebe zu Marie schwingt sich sein Temperament auf, bis dann mit dem Bersten der Glocke, dem Tode des Pachterskinds und Maries Erkrankung der Weg abwhrts ver- lauft. Der Gefuhlslage wohnen derartige Toleranzen inne, daB die Situation, woraus spater Schuld und Verderben ftir Marie erwachsen, zun&chst aratisant vorkommt. Ausgerechnet wenn Maries Vormund, der Ortsgldckner, sich auf dem Wege zur Kirche befindet, halt das Phrchen Rendezvous. Wie der Onkel regelma3ig mit dem Einsetzen seines Lautens un- freiwillig die jungen Leute zusammenftihrt und sie mit dem 67 AufhiJren warnt und auseinanderscheucht, das hat zweifellos "sogar etwas Komisches" (139)- Diese humoristische Note, die zeitweilige jugendliche Unbeschwertheit, das Fehlen der finanziellen Misere und der lebensbejahendere Ausblick am SchluB entsprechen den positiveren Fhrbungen, welche sich bereits bei dem Ver- gleich der beiden Bilder von der Ausfahrt vorfanden. Hs mutet an, als habe der KUnstler dasselbe Motiv und das umgreifendere Thema diesmal auf eine positiver abgetonte Weise geldst. Wenn "Die Glocke" als eine Variation des Themas von "Dur und Moll" zu verstehen ist, dann folgt mit Max' Wendung diesmal ein kurzer und raffender "Dur"- Ausklang. 3ub.1 ektivierung Marie und Max sind nicht die einzigen Beteiligten, aber der Figurenkreis der "Glocke" ist verhaltnismaBig klein, und neben Maries Vormund, Haller, vrerden kaum noch andere Akteure deutlich umrissen. Der Akzent liegt oft eher auf den Stimmungen als auf dem Sichtbarmachen der Gestalten. Die Beschrankung auf eine geringe Personenzahl und die Higenart, vrenige Figuren zu veranschaulichen, hangen mit dem spezifischen Gebrauch der Briefform zu- sammen. 88 Es gibt nur einen Briefschreiber. Der angebliche Partner der Correspondenz, Georg, kommt nie mit eigenen Briefen zu Wort. Aus verstreuten Angaben erf&hrt der Leser zwar, daB es sich bei Georg um einen otudenten der Jura handelt, einen Kommilitonen aus Max' Studentenzeit. Aber die Fiktion vom Vorhandensein eines Briefpartners wird vor allem durch Max' Zingehen auf die in vorge- schlitzten Briefen des Freundes enthaltenen Fragen, An- regungen und Vorwiirfe erweckt und genahrt. Wie im folgen- den Zitat: Freilich will ich sie (Marie) heiraten: Es ist nicht wahr, daB man Meines solchen Verhaltnisses" mude wird. Was du von "Achtung", "Reinheit”, "Profanation” etc. sagst, ist dummes Zeug. (141) Bestenfalls greift der Dichter also dazu, scheinbar Wen- dungen aus Briefen des Freundes wdrtlich wiederzugeben, wie jene Wbrter in Anfiihrungsstrichen im letzten Zitat. Hiermit und durch das Bemtihen, die Sinspriiche des Freun des zu widerlegen, entsteht ein Verfahren, das sich dem Austausch von Briefen annahert. Freilich hat man es nichtsdestoweniger lediglich mit einer Zusammenstellung von Briefen eines Schreibers zu tun, die sich ganz offensichtlich als eine Abart der Ich-Erzahlung verrat. Eine solche Form eignet sich ungemein fur ErSrte- rungen. Max setzt sich im letzten Zitat mit den Ansichten 89 des Freundes Uber sein Liebesverhliltnls auaeinander. Georg 1st ganx ausdrUckllch gegen seruelle Beziehungen. Er glaubt, sie seien nicht angetan, die VUrde der Frau su bewahren und Ihr Achtung und Begehren des Mannes, dessen BeweggrUnde sur She, zu erhalten. Max wendet sich gegen dlese Melnung. Und zwar polemisiert er, anschliefiend an den wieder- gegebenen Textauszug, einmal rein von der Sache her gegen das slttliche Gebot als solches: er zleht gegen die Hschlechten morallschen BUcher" zu Felde. Dlese vertreten, das 1st beredt, den bUrgerllchen Tugendkodex. Daneben erhebt er gegen den Freund den Vorwurf der Selbstllebe und Unerfahrenhelt. Das fhllt ebenfalle noch In den Rahmen einer Argumentation, die unahhMnglg vom elgenen Engagement vorgeht. Ba erweist sich an dieser Stelle, da£ die Form gestattet, sogar belehrende Passagen elnzuschlieden. Der Leeer wird durch solche dldaktlschen Elnschlttsse sohwerlich gestttrt, da sie an den Empf&nger der Briefe gerichtet Bind. (Teilte der allwlssende Erzhhler der Er-Erx&hlung solche Lektionen aus, so lttge dlese Gefahr nahe.) Andrerseits ist den AusfUhrungen durch den Eontext stets der Anstrlch belgegeben, es handele sich um einen AusfluB der Gedanken- und Geftthlswelt des Indivlduums Max. Br rechtfertigt ja seine eigene Liebei er fUhlt 90 sich ala Werbender, fttr den die Ehe nur der n&chste Schritt let. Br reflektiert und sprlcht aus der eigenen Eapfin dung; daB zeigt beeondera die Fortsetzung dea Zltats, in den er sich gegen Georgs Vorwurf Terteidigt, er werde sich eines Tages von der Geliebten abwenden. MUde warden? "VerltJechen"? Ich fUhle einen Vorrath ▼on W&rme in mirv daB selbst, wenn von einen Ausgeben und nicht Ton einen bestttndigen Enpfangen die Rede w&re, ich getrost bis in das ap&teste Alter vandem kann, obne ein Ausktlhlen zu befflrchten. (142) Diese Gewifiheit ist ganz aubjektiT. Aus dieser SubjektiTltttt Tersteht sich auch der forsche Ion, in welchen die BrBrterung geftihrt wird. In der Brieflorn liegt es dem Sohriftsteller nicht an nUchterner, fak- tischer Reportage, vlelmehr bietet sich diese Form als ein Gewand, Temperament und Persttnliches einzukleiden. Die Gipfelpunkte aus der Geschichte der Brieferz&hlung und des Briefronans, Rousseaus Nourslle Helolae. Goethes Werther und Hblderlins Hyperion erinnem, daB dlese Form sich besonders zur Darbletung Ton Genfitsregungen und Selbstbesplegelungen eignet. Infolge der Briefforn erglbt sich neben der Steige- rung der SubjektiTlt&t noch eine andere AkzentTerschie- bung. Erlaubt die Brieffont im Vergleich zur Ich-ErzUh- lung in Prhteritun ein grBBeres AusnaB an GegenwlLrtig- kelt? Naoh der zweiten Wanderung berlchtet Max Uber 91 Maries Befindent Mein Freund, Ihr Gemttth 1st gef&hrlich krank, und unglttckseligerveise kont so jeden Augenblick etvas hinsu, die Gefahr su steigem. Die ganxe Luft acheint air Toll ron unslohtbaren Ween Oeietem . . . ob nicht lrgend eine gevaltlge Krlsis, Tlelleloht sogar eine regenerirende Krankheit su wUnschen wkre. Doch nein! Gott bevahre. Dieses sarte Gebhude wUrde einen unholden, tobenden Gaste nicht viderstehen ktinnen . . . Hhtte ich es bei Marien mit Leidenschaften, mit Unverstand oder etvas der Art su thun, ioh wUrde danit fertlg— aber diese . • . Unfafibarkeiten des Geniithes flnden nioh • . . vaffenlos. (166) Hier spreohen sich monentane Inpresaionen, das Hin und Her der ttberlegung aus. Die epische RUcksohau der Ich-Ershhlung in der Vergangenheit vllrde nanche Augen- blioksstinnung und -erttrterung unwichtig erscheinen lassen und ausschelden. Das "Doch nein! Gott bevahre", das in den Zitat eine heftlge Kehrtvende der Gedankenflihrung bein Hachdenken signalisiert, fiele der erlnneraden Erstth- lung sioherlioh sun Opfer, da solche YorUbergehenden Ein- drUcke in der epischen Wiedergabe neist Ubertrieben annuten dlirf ten. Zurttcktretfp Amr Br-elimieee Zuden vtlren Reflexion und Diskussion, in Mafie vie sie in der Brief fora gepflegt warden ktinnen, der Darbie- tung in der Ich-Brs&hlung vahracheinlich abtrhglich, denn sie Terveilen und rerlangsanen daher den Fortgang der 92 Handlung merklich. Wo die Briefform Kaum fUr die Behand- lung von Problemen mittels Reflexion hat, wftre der rein epischen Gattung die Veranschaulichung durch Ereignisse mehr angemessen. In der Tat ist "Die Glocke" im Vergleich zu "Dur und Moll" weniger ereignisreich. Dort setzte sich die Hand lung, wie in der Mehrzahl der herkdmmlichen Novellen des 19. Jahrhunderts, aus einer verhhltnism&flig tempogeladenen Serie von Breignissen zusammen. In "Die Glocke" begegnet neben dem Bericht die ErlSrterung als die vornehmliche Dar- bietungsform. Und diese befaBt sich eher mit Erwhgungen oder Abstraktionen als mit Begebnissen, Beschreibung, eine Reprasentationsform, welche die voranstrebende Ereigniskette unterbrfiche, findet sich selten. Eine Ausnahme macht der ausschmllckende Entwurf der Stube von Maries Vormund. Hier macht sich das Be- dlirfnis geltend, Maries Vier W&nde zu einer sprechenden Baulichkeit auszugestalten— zumal ihre Begegnungen mit Max dort hhufig stattfinden. Aber sonst zeigt sich das VermtJgen der Brief form die Umwelt abzutakeln. lediglich eine strichmfiflige Veranschaulichung der Natur erfolgt hie und da. Aber allgemein wachsen diese Naturbeschreibungen nicht zu in sich beruhender Bildlichkeit an, sondern sind 95 Begleiterscheinungen des Geschehens oder haben die Funk- tion, Stimmungsgehalte auszudrllcken. Das wird zum Beispiel geleistet von der Beschreibung des Gewitters, das die Vereinigung der Liebenden spontaner, plausibler und — falls fUr einen Leser unumganglich— verzeihlicher er- scheinen l&fit (145-144). Die Beschaftigung mit der Natur steht im Grunde bier schon wieder der Reflexion nahe. Diese Tendenz, sich von den Ereignissen abzulbsen und Stimmungsgehalte auszu- sprechen, findet sich explizite im folgenden Abschnitt der Novelle: Mein Freund! Der Seidenwurm, der vom Zweige fhllt, an das er sein zartes Gespinnst h&ngen wollte, macht keinen zweiten Versuch, hinaufzusteigen; er rollt sich in sich zusammen und stirbt. Eben so thut er, wenn man sein zartes Gespinnst unsanft bertihrt. Man erzhhlt auch von der Schwalbe und von andem VBgeln, daB sie den Bau ihrer Nester unterbrechen und axifgeben, wenn eine fremde Hsind irgend einen stdrenden oder unreinen Gegenstand herbeigetragen. Solche Seelen gibt es, die Bich aufgeben, wenn in den reinen Bau, in das zarte Gespinnst ihres Lebens etwas geworfen wird, das ihnen fremd, das eine Schuld ist . . • (164) Max ist der Unabhnderlichkeit von Maries Krankheit innegeworden. Im Bericht an den Freund verfhllt er in den Vergleich mit Fh&nomenen der Tierwelt, die ihm die Natur von Maries Leiden am besten charakterisieren. FUr die herkSmmliche Form der Erzhhlimg lhge ein solcher Vergleich schon am Rande des Gemafien: dort 94 empfhnde aan die Selbstifcndigkelt des Blldes schon als su grofi. Han verlangte ein grOfieres AusmaB an Notvendig- keit in Bahmen der Handlung. Das Bild ist ja erst ge- trennt ausgeftthrt, bis sich dann mit "Solche Seelen gibt es . • • " die direkte Anspielung auf das MMdchen aus- spricht und beide VorgMnge zum Gleichnis geschlossen verden. In der Briefform irirken solche Vergleichungen jedoch deshalb legitim, veil sie Binblicke in die Befind- lichkeit des Sohreibers geben, welche ftir den vermeint- lichen Bmpfhnger der Briefe bestimmt Bind. Der Freund wird zu Beglnn des Zitats direkt angeredet. Immerhin sptirte Hartmann wohl, daB sogar das Assimllationavermttgen der Briefhovelle an Grenzen gelangt, venn man solche relativ selbst&ndigen Gleichnisae benutzt, denn er ver- meidet sie anderveitig. AuBerdem verklammert er den Vergleich enger mit der Handlung der "Glocke", indem er lhn als Vorausdeutung ▼erwendet. Das Gleichnis schlieBt nhmlich mit dem Sats Du kannst mit der Schvalbe und mit dem Seidenwurm nicht rechten, du kannst sie nicht aufveeken zu einem neuen Bau, su einem neuen Leben— lhnen gebletet ihre Natur, und sie geben ihr Nest auf und ihr Leben (164). Diese Zeilen deuten das zuktlnftige Schicksal Maries an: ftir ihre Mentalltttt ezistlert kein Ausweg und keln Neuan- fang, vielmehr hat sie ihr Leben durch ihre Selbstaufgabe schon verwirkt. 95 Der Zuschnitt des Texts auf einen fiktiven Brief- empfanger erlaubt das Belichten von Bmpfindungen ohne die Gefahr, in eine verweichlichte Lyrisierung auszuarten. Wo der Briefschreiber den Freund von einer Meinung abbringen und zur Annahme der eigenen Uberzeugung leiten will, wie zum Beispiel im vorvorletzten £itat, wo es urn die Beur- teilung vorehelicher Liebe geht, ware Melancholie oder Ge- fiihligkeit ohnehin ausgeschlossen. Die Reflexion wird dann jeweils mit der Energie und Festigkeit einer Behaup- tung und eines Anspruchs vorgetragen und ist somit jeg- licher Sentimentalit&t von vomherein entriickt. Demon strative Pose und gefiihlvoile Gebarde, wie man sie bei den Vertretem des Weltschmerz antrifft, etwa bei Byron, sind hier abwesend. Es bleibt noch anzumerken, dafi zuweilen auch die Reprasentationsform des Gesprachs gew&hlt ist. (Es wirkt eher storend, daJ3 Hartmann diese Dialogs durch. Anftthrungsstriche aus dem Kontext der Briefe hervorhebt.) Meist handelt es sich urn GesprfeLche des Liebespaars, die manchmal wegen ihrer problematischen Natur wichtig scheinen. Freilich wird die Behandlung von schwierigen, ungewiseen und bedrttckenden Fragen meist der Brbrterung Uberlassen. Diese ist als Diskussion oder Reflexion des Schreibers gebalten und stets offen fUr Problematik und Stimmungen— Ereignisse und Handlung treten dann zuxiick. Da die ErtJrterungen in "Die Glocke" verhfi.ltnisoifi.flig hfiufig in den Bericht eingeschaltet sind, ist die Hand- lung der Novelle weniger durch Ereigniase geprfigt, als gemeinhin in Hartmanns Novellen zu erwarten. Exkurs: Durchschimmem von Hartmanns Schaffensweiae Das im letzten Abschnitt behandelte Gleichnis von der Seldenraupe bietet Aufschliisse nicht nur liber struk- turelle Geftige in "Die Glocke", sondern ebenso Uber Produktionsverfahren des Schriftatellers. Wer im "Tagebuch aus Languedoc und Provence" auf das Gegenstiick des Gleichnisses gestoflen ist, auf die Ausfiihrungen Uber die Seidenraupenzucht in Frankreich, wird beim Lesen der "Glocke" Hartmanns Neigung aufspliren, in Reisebildern behandelte Erscheinungen spfiter novellistisch zu ver- werten (Werke, 111,72-76). Gebaude, Orte und Landschaften, die dem Autor denk- wlirdig erschienen, wurden zu Schauplfitzen seiner Novellen Individuen und Menschenschlfige, die ihn faszinierten Oder seine Anteilnahme erweckten, gingen oft in Helden oder Hintergrund auf; dem nomadenhaften Leben des Emigranten erschlofl sich zusfitzlich zur Heimat ein axiflergevdhnlicher Umkreis \nad eine anregende Buntheit des Sichtbaren. 97 Dergleichen Eindrticke und Beschreibungen fanden oft vorher ihren ersten Niederschlag in den Reiseberichten ftir Zeitungen und Journale. Angesichts des urspriinglich vom Autor selbst ge- w&hlten Titels "Reisememoiren" sollte man nattlrlich, wenn irgendwo, vor allem bei den "Erzahlungen eines Unstaten" oftmals eine Grundlage in den Reisefeuilletons voraussetzen diirfen. Wittner bemerkt schon in seiner Biographic Hart manns zu dieser Novellenreihe, "dass sich die Reisenovelle aus der Reisebeschreibung heraus entwickelt" (Leben. II, 118). PUr filnf der zwolf Erz&hlungen fand er tatsachlich stoffliche Grundlagen in Reisebildern des Verfassers. Wir ftihren die Parallelen hier noch einmal, durch einige Angaben erganzt, auf. (Rijraische Zahlen hinter Titeln beziehen sich auf B&nde der Verke)♦ Erste Schilderungen Novellen und Kurzgeschichten "Wanderbuch eines "Die Samariterin u. die Pa- passlos Reisenden" trioten" (IV,210) "Bruchstlicke revolut. "Das goldene Haar u. die Erinnerungen" (X,l) Geschichte zweier KUsse" u. "Wiener Oktober- (IV,233), (erlebt 1838) tage" (X,39.) "Drei Tage in der "Miss Ellen" (IV,257) Schweiz", Grenzboten (erlebt 1842) "Tagebuch aus L . . . " "Gloria ..." (IV,325) (111,156-180; spez. 167) "Tagebuch ..." (111,398). "Der blinde Wilhelm" (IV, 362) 98 Zusatzlich will Wittner, wie er an derselben Stelle erw&hnt, in Aufzeichnungen Hartmanns zu einer sechsten Erzhhlung der Reihe, n&mlich "Eine Indogermanische Ge- schichte" (Werke,IV,289) Analogien angetroffen haben. Aufler an den "Reisememoiren" vermochte Hartmanns Biograph Reisekizzen vergleichbare Situationen bei drei weiteren Novellen festzustellen. Es handelt sich dabei um sp&tere Novellen, aus der Sammlung mit dem bezeich- nenden Titel "Nach der Natur" (was hier soviel als "Nach der Wirklichkeit" bedeuten soil), die samtlich im siebten Band der Werke untergebracht sind. Folgende Zusammen- hange bestehen (Vgl. leben,11,470-477): Erste Schilderungen Novellen "Reiseskizzen aus Savoyen", "Das Schlofi im Gebirge" in Kdlniache Zeitung (VII,348) "Wanderungen durch celti- "Eine Stunde im Leucht- sches Land" (Werke.III. turm" (VII,214) 411ff.) "Tagebuch ..." "Der FlUchtling" (VII, (Werke,III,357ff.) 152ff.) Zweifelsohne konnte man diese Liste verl&ngern; manche Beziehungen bleiben noch aufzudecken. Unsere wenigen Rrg&nzungen sollen sich namentlich auf die Art der Beztige richten. Hierzu hatte schon Gottfried Kinkel in seiner Aufsatzserie liber Hartmann in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung. (Augsburg, 1875-76), einige 99 interessante Bemerkungen gemacht. Dank seiner persBn- lichen Kenntnis Hartmanns und seiner eigenen Schrift- stellerei stellt Kinkel vohl den verl&Blichsten unter den wenigen frllhen Begutachtern des BBhmen vor, Und zvar hatte der Kritiker die Erztthlung "Der blinde Wilhelm" mit dem in unserer Aufstellung genannten Gegen- stUck verglichen. Es ergab sich, daB nur die Gegend und eine einzelne Person, das Harfe spielende Mhdchen, direkt zusammenh&ngende Modelle in der Wirklichkeit ge- habt hatten. Kinkel schloB daraust Der Poet verfuhr also genau, vie ein Bild koaponiert vird; der Maler macht fUr den Hintergrund Skizzen in Wald und Feld, dann ordnet er seine Gruppe zur Staffage und malt die einzelnen Figuren nach Modell. (3.5644) Kinkel var von Beruf Kunsthistorlker; man geht desvegen vohl kaurn fehl, venn man annimmt, daB seine AusfUhrungen betreffs malerischer Kompositionstechniken von den Ge- vohnheiten der "Schule von Barbizon" auegehen. Diese franzBsischen KUnstler, zu denen unter anderem Th. Rousseau, C. Corot und der jUngere G. Courbet ge- hBrten, emeuerten die Freiluft-Malerei und erregten damit um die Mitte des 19* Jahrhunderts einiges Aufsehen. Ein- mal im Freien gefertigte Gem&lde erghnzten sie im Atelier, nach Modell, durch Personen. (Bine gelungene Illustration bietet das Motiv von Courbets "Mein Atelier"). 100 Xinksls Brklbrung 1st racht bastechend— nur mud mam sicb Ter Gansraliaisrungsn btttan. Malsrisebs tsohniksn baban alch gavandalt; dar Verglaich daa Kunstbistorikars var aahr zsltgabundani M&dstMbs dar Gruppa von Pontains- blaau aollte man nlobt alt Vsrfabrsn dar hautigsn Bildenden KUnstler varvaohsaln. Kan varfiala allsrdings sbenfalls unsrlaubtsr Vsrallgsmsinsrung, vollts man in dan Kompoaitionatscbniken dar fransdaiscban Malar Ton sbsdam dan Gsnaralnsnnsr fttr dia Basiahungan sviaoban Hartmanns Raiasakiassn und damit in BarUhrung atabsndsn Novallen ssban. Hinaiohtlich janer Rsissnovslls "Dar blinds Wilhalm" trifft Kinkela Brklkrung zu. Jadoch folgt daa ▼orgehsn daa Autora keinsswsga atttndig diaaam Sobama daa Binfttgena von Paraonen in einsn in Auganacbain genommanan und danacb visdsrgsgsbsnsn Scbauplats. Zuvallsn bagagnst dar Hovallist Manacban und urn- gabandar Sssnsris glsicbcaitig, via stwa in "Gloria und aina Saga von Jobannsa Parrioida" odar in "Bins Stunds la Lsuebtturm” • Vittnsr aobaint durcbaua racbt zu babsnv so- fsrn ar aina atarka Batroffanhait Hartmanns vom Loa dar LaucbtturmvMxtar als Eaim fttr dia lststsrs Kursgssobiebta binstallt (Laban. 11,472). Ba mutat bbufig an, als ob bumanistiscbs Angasproobanbait Kaimaalla und Stimulans fUr dia Binbildungakraft das Autora daratallt, auob fttr "Gloria" trifft das Ternutlich zu. 101 Dar Manach wird eher zud Augennerk und zun Kriatalli- sationaanatofi fttr dia 7oratellungafllbigkeit ala dia Land- schafts dia VoTalla "Dar Zweck heiligt dia Mittal" 71,3-60) fufit auf diesen Schaffenaprozefi. In dan "Vanderungen durch caltizchaa Land" (Werke. Ill, 416-416), befindet sich ain Abaohnitt ttbar ainan "httahatena aechaundzwanzig Jahre altan Jaauitan, dar an Gaatalt ain Apollo . . • war". Dar Autor traf in dan Patar ainan unterhaltaaaen und, wia nan aus dan Baricht antnahnan kdnnta, genehnen Vagganoaaan. In ainar Banarkung tailt Hartnann ainan Charaktarzug das Jaauitan mit, dar apttter in dar gananntan Novella Schlttaaalbadautung erbttlts Mit grofiar Annuth naebte ar dan baidan T8obtain daa Poatbaltara dan Hof, ohna arrathan zu laaaan, waloba ▼on Baidan ar baTorzugta .... Abba 0. achisn una ain unwidaratahlichar Miaaionbr und ain Mann, dar aiob in Hothfall, und wann der Zweok die Mittal bapfft. auoh in Praok und Tanzeebuhen nittan untar atindigan Weiblein zu bawagan fttbig wttra. (416-417) Daa auffblliga AuBara und dia labanbnnlacban Maniaran, dia Ansiehungakraft ainaa Casanovas und daran Ananutzen zu zalotiaeban Zwaokan, ain Sebwaatarnpaar und aalbat dar sp&tere Tital, dan wir herausgehoben baban, Bind bereita in dar Raiaaakizza von dar Begegnung Torgabildat. Vor odar wtthrend dar Niederaebrift fttra Tagebuoh Terttatelt 102 •ine Eingebung dieses Erlebnisgut mit einer legendhren Jesuitengestalt, die einst an einem "protestantischen Hofe" durch ihren Charme viele Konvertiten gewonnen haben soli. Die eigentliche Pointierung und detailllerte Erarbeitung der Novelle erfolgt erst spater. Nur soviel, dalB die zuspitzende Stilisierung den Jesuiten hernach in negativer Belichtung zeigt. Was in diesem Zusammenhang mehr Beachtung verdient, ist der noch unentrollte Zustand der Fabel. Dabei haben hier im Grunde bereits weitreichendere Vorbildungen statt- gefunden als bei manchen anderen Entsprechungen zu Novellen in Tagebuchberichten. Denn Hartmann lhflt seine Reiseauf- zeichnungen vorzugsweise unbearbeitet. Das geschieht durchaus mit Vorbedacht, wie eine Bemerkung zeigt, denn . . . dieses Verfahren halte ich fUr erspriefilich, venn man eben nichts als ein Tagebuch geben will, dessen einzige Tugend oft die Dnmittelbarkeit, das Frische und gewissermaQen unabsichtliche Wieder- spiegeln ist (Werke. 111,404). Im Vorbeigehen sollte man kurz die Frage streifen, inwleweit der Autor diese Arbeitsweise sogar auf Novellen Ubertragen haben kbnnte. Ein ahnlich geartetes Credo besagti Die ersten Eindxiicke, die gewbhnlich die besten und vahrsten sind und sich mit grbBerer Leichtigkeit, ohne alle Anstrengung, fast naiv wiedergeben lassen, sind von vielen nachfolgenden verdr&ngt, so daB 103 beim Niederschreiben eine Arbeit des Ged&chtnisses beginnt, die der Unbefangenheit, ich mbchte sagen, Einfalt des wahrhaftigen Erzfihlers Eintrag thut (Werke. 111,313). Hier wird im Grunde dasselbe gemeint, wie im vorhergehenden Zitat, doch ist die Formulierung pr&ziser. Unbefangenheit, Naivitat und Wahrhaftigkeit: diesen WSrtern scheint soviel Gewicht beigelegt, dafl man sich wundert, ob die Aversion gegen die "Arbeit des Gedachtnisses", gegen die Durch- gestaltung, nicht neben finanziellen Nbten und persbn- lichem Engagement ebenfalls als Wurzel fur das MiGlingen mancher Erzahlung in Betracht kommt. Ungeachtet gelegentlicher Geringsch&tzung fUr die einschneidende Montage bliebe stets wenigstens ein Aus- spinnen der Fabel beim Schritt von der ReiseBkizze zur Novelle zu leisten. Die Tagebticher und Zeitungsreportagen bilden fttr Hartmann Vorstudien, aus deren Reichhaltigkeit er im geeigneten Moment zum Kunstwerk fortschreiten kann. Auf den Autor selbst lassen sich. hier die eigenen Wendungen beziehen, mit denen er einmal die vielen unfertigen Ent- wUrfe und Kompositionen im Atelier eines Malers glossiert: Alles Das wird sich einst verwerthen und als Theil in einem kUnstlerischen Ganzen seinen Platz flnden. Es sind Das des KUnstlers erste SindrUcke und fest- gebannte Erinnerungen; die Musen aber sind Tbchter der Erinnerung" (Werke, 1,342-343). 104 Die letzte Zeile fUhrt auf die eigentliche Funktion der ReisetagebUcher hinsichtlich der sp&teren Novellen: hierin verkbrpert sich fUr den Autor ein Archiv von Erinnerungen an denkwiirdige Ansichten und Vorfhlle, von wo er den Faden gegebenenfalls wieder aufnehmen und weiterfUhren kann. Erinnerung kann natUrlich ohne den Umweg Uber die Reiseskizzen gebunden bleiben— die Erfahrungsintensitat dea KUnstlers hat die Erlebnisbilder genUgend gespeichert, um sie bei einem AnstoS wieder zu beleben. Dergleichen Reaktivierung scheint sich bei "Dur und MollM abgespielt zu haben. (Zwar hatte schon eine Schausplelfassung der Erlebnisse vorgelegen, doch war der Autor wieder auf weniger stilisierte Verhhltnisse zurUckgegangen.) Erinnerung ist geronnene Erfsdirung. Das GefUhls- erleben der Vergangenheit \and der Gegenwart verbinden sich zum Bereitstellen und z u r Transposition eines Motive in der Kurzgeschichte "Warten" (Werke,V,110-122). Deren Situation korrespondiert zu einem Ereignis, welches mit Hartmanns eigenen Angehdrigen verbunden ist. 1855 ent- steht wahrend der Wirren des Krimkriegs bei Freunden in der Heimat der Eindruck, Hartmann sei in bsterreichischen Gewahrsam geraten, wo man natUrlich seit den Vorkommnissen von 1848 um sein Leben zur fUrchten hat. Die Meldungen 105 greifen die Mutter des Dichters dermafien an, daB die Nhchststehenden sie geistiger Umnachtung nahe glauben. Der Autor berichtet erschUttert an eine Bekannte in Paris : Stundenlang steht sie am Fenster, mich erwartend, Uberzeugt, daB ich in der n&chsten Minute kommen werde. Sie soil gealtert sein und rasch abnehaen. Und der anh&ngliche Sohn UuBert ferner Uber seine Reaktion Ich habe geweint, wie ein Kind, ich schlafe nicht, und habe nur ertrhgliche Stunden, wenn ich mir die Wiederkehr in mein Dorf ausmale.5 Dieses Ausmalen, die Ersatzbefriedigung, wie Tiefen- psychologen der Freudschen Schule es haben mbchten— als Freiheit und Vorteil der Literatur kbnnte man es ebenso betrachten— scheint sich in "Warten" fortgesponnen zu haben. Die Nahe zum depressiven Irresein infolge der Furcht vor dem Verlust des Sohnes, die Uberbeharrliche Ausschau aus dem Fenster, der rasche Verfall als die Zuversicht auf die RUckkehr des Kindes vom Kriegs- schauplatz zu zerbrechen droht— diese und weitere Ent- sprechungen decken sich auf. Im ganzen genommen lenken die aufgezeigten BezUge zu dem SchluB, daB von dem Dreigespann Nachahmung— Er- fahrung— Erfindung als Urzelle von Kunstwerken Hartmann ^zit. bei Wittner, Leben. 11,187-188. 106 die Erfahrung In vielen Fallen am nhchsten liegt. Selbstredend iat der Novellist mit Einbildungskraft begabt: an einen Nucleus aus der Erfahrung lagert sie andere Vorstellungen aus Erinnerung und freier Eingebung an, schmtickt aus und schreitet zur Pointierung fort. Eine SchluBfolgerung wie die genannte hat nur graduellen Wert, wie Eingeweihten bekannt ist. Gerade in der Kunst erreicht der schbpferische Prozefl ein HbchstmaB an Eigengesetzlichkeit und Selbstherrlichkeit; man wird seine Verlaufe selten Oder gar nicht getreu rekonstruieren oder in Regeln simplifizieren kbnnen. Der Erghnzung halber ist der kleineren Einheiten zu gedenken, die beim KristallisationsprozeC einer Erz&hlung an die Fabel angelagert werden. Da sind einmal stereotype Bilder; Hartmann postiert beispielsweise gem eine Figur am Fenster und laBt sie hinausschauen— -meist nahert sich dann gleichzeitig ihr Leben der Neige. In MDur und Moll” hatten wir eine solche Vorstellungseiriheit vor Thereses Ableben (3.570; vgl. Kap. II der Diss., Anm. 14). Eben- falls in der ebengenannten Kurzgeschichte "Warten”, in Person der Ausschau haltenden Mutter, Und auch Marie in ”Die Glocke” ist derartig dargestellt (167). Diese Bildgeb&rde spielt natUrlich auf das EntrUcken aus der Nat\ir und die Trennung vom Lebenden an. 107 Eine umfassendere Einheit bietet sich im Motiv. Die Wanderungen in "Dur und Moll” und "Die Glocke" zeigen, wie sich die Gestaltungsgabe eines solchen Elements bem&ch- tigen und es in variierender Form wiederkehren lassen kann. Solche Erneuerung von Motiven vermag auch vom Vor- stellungsgut der Tradition auszugehen. An einem Aus- 3chnitt der "Glocke" ist wahrnehmbar, wie der Autor sich an ein bestehendes Modell anlehnt. Das Neue Testament erz&hlt von der Versuchung Jesu durch Satan. Nach Christi Fasten in der Wiiste fiihrt der Teufel ihn auf einen Berg, zeigt ihm die Herrlichkeiten der Erde und verspricht sie ihm fUr seine Gefolgschaft (Lk. 4, 1-13). In der Novelle nimmt Max Marie am Anfang der gemeinsamen Wanderung mit auf einen Hugel, von wo sie das Dorf iiberschauen kbnnen. Stolzer als andere Anlagen ragen die Besitzungen seines Vaters im Ort und ebenfalls in der Ferne hervor. " . . . siehst du, Das soil alles dein sein!" verspricht der Jiingling. Und Marie entgegnet, etwas pathetisch: " 'Weiche von mir, Versucher!' . . . zuckte die Achseln und wurde traxirig" (150-151). Die Situationen gleichen sich in ihrer Anschaulich- keit, man Uberblickt das Land von einer Erhebung und der einen Gestalt wird von der zweiten fUr die Entscheidung zum AnschluB Besitz geboten. Die Formullerungen, die der 108 Dichter fttr Angebot und Erwiderung wsLhlte, nahera sich dabei hochgradig denen der Bibel an, denn "Das soil alles dein sein!" entspricht " . . . so soil alles dein Bein'*, und "Weiche von mir, Versucher!" mag sich nur durch das Zugrundelegen einer anderen ttbersetzung von dem "Weiche Satan!" der Luther-tJbertragung geringfttgig abheben.^ ttbrigens la!3t sich die vorbildartige Wirkung, weiche biblische Sprachfttgungen fttr die deutsche Literatur auch noch im zunehmend sakularisierenden 19. Jahrhundert be- sitzen, im Werk des konfessionell laxen Hartmann ablesen. In "Die Glocke" lehnt sich beispielsweise auch der fol- gende Wortlaut eng an ein Evangelium an: "Ich hungerte und schrie auf zu dir, und du reichtest mir schnell, was mir damals das Brod des Lebens schien" (129). (Vgl. Joh. 6,35). Die Mehrzahl der besprochenen Vorstellungsmuster, deren Hartmann sich bemachtigt, stellt deskriptive Grund- lagen fttr die sphteren epischen Kunstwerke bereit. Inson- derheit verfttgt der Autor in seinen Reisebildern ttber einen relchen Quellenschatz derartiger stofflicher Fundamente. In Augenschein genommene Menschen tmd ^Vgl. Die Heilige Schrift. (London, 1949)» Lk. 4, 1-13. 109 Naturersche inungen, sowohl als Stereotypen und Abblldsr fUgen sich, meist als mordergrttndlge Szenerie, als Geschbpfe odsr als Hauidlungsteile dem spdteren Ganzen sin* 2s schsint, daB das Gleichnis dsr Seidenraupe, wovon eingangs dlsses Exkurses die Rede war, eine subtllere Art der Bhtsprechung zwischen Vorstudie und Nome lie elnbe- greift. Bel eingehender Lektttre des Berlchts tlber die Seldenraupenzucht in "Tagebueh aus Languedoc und Provence" wird nan zusehends der assoziatlven Beziehungen Inne , die von hier zu "Die Glocke" verlaufen. Da ist zun&chst das gleichnlsartige Ansplelen auf die Selbstaufgabe, die sich bei Maoris und bein Maulbeerspinner angesichts stbrender Bingriffe vollzieht. Da ist das schmetterlingshafte Da- sein Maries, die, wie der Seidenspinner nach den Aueschltlp- fen, "aus den Armen der Liebe in die Arne des Todes fdllt" (Marta, 111,76). Da ist der kritische Monent des Gewitters in Leben der Seidenraupe— des sen Bedeutung in Brleben Maries soli noch erhellt werden (3.74). Da ist schlieBlich ein Inbeziehungsetzen von Krankheit— Seidenraupe und— "Kirchenglocken"! (Vgl.73-74). Hier schlKgt sioh von den Motizen der Relseskizze eine assoziative BrUcke. Bine gesichtigere und ideellere Verwertung tut sich kund. 2s bleibt spdter noch zu erkl&ren, inwlefem das fUr "Die Glocke" charedcteristisch emmutet. 110 Verallgemeinernd kdnnte man aus den angefUhrten Belegen nebst einer Umschau Uber die gesamte Prosa ableiten, dafl die Einbildungskraft dieses Schriftstellers sich nicht in erster Linie als systematisierende Erfin- dungsgabe darstellt. Es handelt sich nicht urn Einge- bungen, die Uber Welt und Probleme ihr weitmaschiges, selbstgefertigtes Netz legen. Als langatmigeres Werk, als ein ausholenderer Wurf mit weitgesteckten Qrdnungen erfUllt nur "Der Krieg um den Wald" hohe literarische AnsprUche— und das ist bezeichnenderweise eine Dorfge- schichte, ein Exemplar eines meist im Erlebnisbereich des Autors verbleibenden Genres des Einheimischen mit begrenztem Schauplatz. Die gelungenen Werke der Eeit nach 1851 erweisen Hartmanns VorstellungsvermBgen als zwischenfall-inspi- riert, als geschehnisbezogen, als auf kleinere gestraff- tere Einheit und Einzelbelange bedacht. V'om Anekdoti- schen und Gesellschaftlichen, von Unberechenbarkeiten des Lebens wird der Gestaltungswille angestoflem denen aber ist die Novelle besonders angepaBt. Es stellte sich anhand der Beispiele heraus, wie sich die Phantasie oft auf das Umranken und das Verklammem erst von der Wirk lichkeit empfangener, dann im eigenen Heisebild vorge- pr>er Muster verlegt. Wie ein Eindampfen von Ill Lebenaauaaohnltten wirkt dleaer ProseB h&ufIg. Stellt ein tfberwiegen von Brflndung oder von Aua- achttpfen realer Weltbegegnung an aloh sohon eine Be* wertungegrundlage dar? Die Verelnheltlichung der Blemente, das Schaffen einer ktinstleriachen Elnheit schelnt eher eine Urtellabaeia Uber Brfolg oder Mldllmgen. Daa Ord- nungsatiften im bemessenen Rahman, wo ea gilt, den erfahre- nen Oder eraonnenen Vorfall noch zu pointieren und mit Bedeutung aufzufllllen, vor allem daa Anordnen und Ent- httllen lm novelllatlaohen Umkreis— daa lat Hartmanna Metier. Vaa an den melaten unaerer Belege ala welt ere Blgenart dleaea Gestalters auff1©1, war daa unemrildliohe AufspUren von Stoffen In der Wirklichkeit und daa Ge- wahrwerden der darln angelegten novelllatiachen MZSglloh- kelten. Held und Geacheitheit lm Spraoh- und Denkberelch Der Exkura leltete auf elnlge Wendungen aua der Blbel. Dleae behalten beim Elnverleiben In die Novelle wenlg von lhrem uraprUnglichen Sinn und gehen lm Hand lunge- und Slnngeftlge der "Glocke" auf. Derartige Elnschlttase alnd auder aua dem chrlatllchen Gedankengut auch aua der lltera- riaohen Tradition entlehnt. So etwa lhflt der Autor swelmal aelnen Helden namentlich Goethea gedenken (149I 112 154). Weiterhin ffi.llt Byrons Name zweimal (130; 169). Handelt es sich hierbei um ein Vertiefen der Novelle in Ideenkomplexe, die fUr den Eundigen aua einem Namen oder einem "geflUgelten Wort" greifbar sind? Eaum; ein Mehr an Bedeutung kraft einer Integration aus einem anderen Werk vermbchte man hbchstens aus einer dritten Beziehung auf Goethe, einem durch Anftlhrungsstriche als Zitat aus- gewiesenen Vers aus Faust I (V. 2685) herauszulesen. In Maries Zimmer manifestiert sich, wie in Gretchens, eine idyllische Sphhre (138). Aber das ist eine Ausnahme. Aus T. S. Eliots "Waste Land" oder Thomas Manns Werken kennt man das Chiffrieren grbfierer Zusammenhange in einer Gedichtzeile oder in einem Wort. Mit einer dermaBen prhzisen und ausweitenden Sinniibermittlung wie sie bei- spielsweise in Manns Tonlo Erbger kraft der Erwfehnung von Don Carlos entbunden wird, hat das Aufgreifen von Namen, Titeln oder Worten in "Die Glocke" aber offenbar wenig gemein. Das BruchstUck "the tocsin of the soul" (130) ver- ftigt in Byrons Don Juan, dem es entstammt (Canto V, v. 393), Uber keinerlei metaphorische oder inhaltlich wich- tige Bedeutung. Es ist in Byrons satirischem Epos ein- fach ein triviales Epipheton fUr die Mittagsglocke, das deren appetitanregenden und somit friedfertigen Einflufl 113 auf dia Menschen unteratreicht. Dia Zltate und Anspie~ lungen la Hartmanns Novelle schalnan alcht darauf zu mielan, daa Werk In die literarlaohe Tradition auszu- buohten. Sla dianan ahar dazut dan Studantan Max duroh aaina Bekanntachaft mit aktuallen Bildungaverken aozlo- logisch zu kennzeichnen. Blna Reihe weiterer Tltal und Namen, untar anderem "Schillera Tall" (148), "getreuer Eckart, dar Varner der Haldensage" (141) und "Taugenlchta" (154), dautat In dleselbe Rlchtung, da vladarum kelne ainnanlagemde Punktion aufveiabar iat. Dia iufgabe gesellschaftlicher Kennzeiohnung ver- richtan ebenao eine Anzahl fraudaprachlichar Brocken, dia galegantlich eingeaprenkelt sind. Max benutzt latainischa Ploekeln, etwa "caput mortuum" (127) oder "Beatua ilia procul nagotiia" (129); auch fransbalacha Radanaartan elnd ihm vertraut: "Carriere" (126), "connu" (142)— aber gevBhnlich banutzt ar diese nur, urn dan lm Dienat fran- zttslerten Sprachgebrauch das ahemaligen Soldatan Haller wiadarzugaban (132;162). Die sprachliche Idantiflziarung daa Studantan be- schrttnkt alch nicht auf das Vortgeprhga und dia Zeugniaae fUr Max' Beleaenheit. Danaban ist galegantlich eine Veigung zu Santanzan angadeutat. Etva in "Das Glilck dar Llaba iat achweigaam via dar Tod. 71elleicht sind Baida 114 so, well sie viel zu viel zu sagen h£tten" (137). Die Gestalt des Studenten ist aufnahmefhhig fUr dergleichen spruchartige Weisheiten, zumal der Dichter darauf gesehen hat, daJ3 sie meist in den FluB der Handlung eingebettet sind. Die beiden voraufgehenden S&tze, zum Beispiel, gehen naher auf die Situation ein. Max hat dem fiktiven Briefpartner gegenUber langer geschwiegen und will das Ausbleiben der Briefe entschuldigen. Obendrein stehen die Bemerkungen mit Max* GefUhlswelt, seiner Liebe zu Marie, direkt in Beruhrung. Solche Sinnspriiche scheinen sich in der tlberzahl durch eine Verklammerung mit den 5 Begebenheiten der Novelle auszuzeichnen. Das Gescheite, das sich morphologisch in diesen aphoristischen Wendungen bekundet, liegt auf einer Linie mit jenem Hang zur Reflexion, wie er sich im Antreffen der BriJrterung als einer h&ufigen ReprS.sentationsform aussprach. Der Stil der Briefe unterrichtet Uber sozialen 5 Vgl. 130: "Ich war auf der Vogeljagd— urn sich zu zerstreuen, wird der gelangweilte Mensch auf dem Throne wie in der HUtte ein Verfolger"; S.164: "das UnglUck w&chst nur in Familien wie gewisse BUume. Wo eines aus dem Boden sprieBt, kann man sicher sein, bald ein anderes nachwachsen zu sehen"; S.169: "Halte dich an das Positive, mein Freund; nur im Positiven, das einen direkten, aus- gesprochenen Zweck hat, ist das Heil." 115 Status und Geistesart ihres Verfassers. Die Vorstellungs- welt eines Studenten ist fUr Erbrterungen wie spruchartige Formulierungen gleichermaBen aufnahmef&hig. Einem Exponenten studentischer Lebensart ist aber auch ein burschikoser Zug gem&B. Die Sprache bringt kecke und vorwitzige Formulierungen, dazu Ellipsen und wertende Ausrufe als Gegenstlick zu den gelehrten Ge- dankensplittern. Zum Beispiel wehrt sich der Schreiber gegen Einwendungen seines Freundes mit dem Protest: "Das hast du nicht gewollt, mein Schweizer! . . . schreibe . . . daB du deine Pflicht gethan, wie's hergebracht . . ." (142).6 Abermals fiigen sich solche Stilmerkmale Max* Charakte- ristik treffend ein. Eine dauemd liberhohte Diktion ware in Briefen eines Studenten nicht angebracht. So findet sich eine mittlere Stillage, die auch dem Dialekt fern bleibt.7 ^Vgl. auch S.128: "... sie sei die Schwester oder erstgeborene Tochter, oder Gott weiB, weiche n&chste Ver- wandte ..." (128); 128: "Rosalie . . . erscheint mir in der Erinnerung wie der Charitinnen eine"; 129i "Also, mein Freund, Bticher! Blicher!" 7 Nur einmal findet Bich ein bsterr. Provinzialismus: "Professionisten" statt dt. Handwerker, Duden. 13. Aufl. 1953. 116 Was literarsoaiologische Folgerungen hinsichtlich des Publikuns angeht, ao kbnnte nan auf Grund dar aphori- stisohen Fomulierungen , litararlsohan Nennungen und frend- aprachllohan Brocken aohliefien, daB gttnslich unbalaaana und aprachlich unbewanderte Schichten schwarlich ange- aprochan warden aollen. Purer Unterhaltungaliteratur iat die Novella aohon vernbge dieaer Charakteriatika ent- zogen. Solange der Autor alch etwa an lttndliche Leaer wand an wollte, wlirde ar aolche ZUge vemeiden. Dar Vortlaut der Novella aetzt alch fast ausschliefi- lich aua Briefan zusamnen. Frendaprachliche Floskeln, litarariaehe BlnachlUaaa und Sentenzen aind Tail dar Briefa, mlthin atiliatiache Bigentttmlichkeiten des Ver- faaaera der Briefe. Die Orientierung, die aioh aus den Stil Uber dan Schreiber herleitet, batont nit dan Literariaohan und dan Aphoriatiaohan gedanklicha Aspekte. Daa entapricht— ebenao wie dia HMufigkeit der Erbrterungen unter dan Repr&sentationaforaen— der studentiachan Forming daa Helden. Salbatbaapiegalung und daa Klar- wardan Uber eigana Brlebniese in Brief aohainan einer solcher Perabnlichkeit angenessen. AuBere Forn und limere OHadarwur AuBer durch dia Intaraktionan, Uber dia ar aalbat 117 berichtet, wird dar Verfasaer dar Briafa nur reradge dar atiliatlaohan Merkmale und anhand dar Geatimmtheit dar Briafa wahrnehmbar. Darin enthtlllt alch einmal mehr, via wenig Vert dlaaas Genre auf iufierlichkeiten legt. Be 1st aina BigentUmlichkeit dar bier rerwandten reinen Brieffora, dad dar Schraibar nicht baaondars veranechau- licht iat. Auch dar vorangeatellte Rahman Ubernimmt kein phyaiognomiachea odar charaktarlichaa Vorstellen durch ain Vlaavla. Br baataht aua einer kurzen halbaaitlgen Ein- leitung daa flktlTen Herauagebera, ait dar Aufgaba zu erl&utern, wie jener in dan Baaitz dar Briafa gelangte. Ein knapper Hinwaia auf die darzeitig ftthrende Stellung daa Haldan untar Qaterreicha induatriellen Untarnahaam achllafit die Vorrade ab und l&St daait durch aina bttndlge Notiz ahnen, daB dar Leaer ainan Tall daa Entwicklunga- gangs diaaar PeraBnlichkeit erfahren aoll. Ea aziatiart auch kaina ttberleitung, aondarn dar Laaar wird aofort, nit dam aratan Brief, in die Intlmaphhre daa Schraibara eingeftthrt. Da natUrlich auf Saltan daa Laaara ain BadUrfnia rorauazuaatzan iat, einige Kenntnia won dan Labanaunathnden daa Haldan zu arhaltan, hat Hart- nann gaaohlckt aina Trennung zwlachen dam Schraibar und dam Bnpfhnger daa Briefas konatruiart. Daa nbtigt dan fiktlran 118 Absender, den Empfknger ait einigen Bntwieklungen seit ihrem Soheiden vertraut zu machen und erlaubt lha auoh, atlioha Datan Uber sain frUheres Laban einsu- atrauan. Dia Diskuasion das Rahmans hat sohon an Problaaa daa Aufbaus gefUhrt. An und fUr sich iat dar BrieferzlLhlung kain atriktaa Formprinzip eigen— die kuBeren Omrisee diaaaa litarariachan Gebildea gaban alch geviasermaBen mit dan anainandargaraihtan Briefan aalbar vor. AuBer dar basprochanan Binleitung daa fingiartan Harauagabara enthklt dia Novelle kainarlai kuBerliche Angaban Uber dia batailigtan Charaktara. Zuaktzliche biographiacha Notizen, ain Nachwort odar Tagebuchauazttge, vie sie in manohan Briafromanan daa 16. Jahrhunderta baliabt Bind, kouaen nicht vor. Ladiglich varainzalte lyriache Integrationan modifizieran die formale Composition. Da sind einmal dem Ganzen der Erzkhlung zwai Strophen aua daa Zyklua "In dar HelBat" aua Hartmanns Gedichteammlung "Zeitloaen" vorangeatallt (vgl. Warka. 1,333). Bie haben dia Funk- tion, dan Laser einzuatimmen. Daa laiatan die Varaa auoh inhaltlich, da aia aina Glooka und daren Barstan als Motiv Bit dar Novelle gemeinsam haban. Innerhalb dar Brzkhlung bafindan aioh 1b Text daa Briefas, der die 119 glUcklichste Phase der Liebesgeechichte darstellt, noch O einmal einige Verse. Diese Gedichtzeilen sollen die idyllische Stimmung intensivieren und, wo der Brief- schreiber von Tiefe und ErfUllung seines GlUcks berichtet, den Leser auch beim Lesen, durch Versgliederung, zum Einhalten bewegen. Die innere Gliederung hat die Erscheinung der No velle mitgestaltet und sich ihr entschiedener aufgeprhgt als formale kompositorische ZUge das vermochten. Viel von ihrem Reiz bezieht das Werk aus der Verbindung von zwei Handlungsstrangen: der Liebesgeechichte tun Marie und Max und der Geschichte der Glocke. Von der letzteren rtthrt der Titel der Briefnovelle her. Die Chronik um die Glocke kdnnte fast fiir sich bestehen: der Leser wird nicht nur Uber Funktionen und Zerstbrung der Glocke unterrichtet, sondern erf&hrt auch ihre Vorgeschichte (141). Erg&azend ist zu erwahnen, daJB aufler der groBen Ortsglocke noch ein kleines Ave-Maria-Glbckchen eine Rolle spielt. Der Anfang der Liebesgeechichte fallt genau mit dem Binsetzen der Glockenchronik zusammen, und beide Handlungsstr&nge sind von Anbeginn derart parallel geschaltet, dafl die ®Vgl. 148. Die Zeilen auf 3.149 aus Hartmanns Ge- dicht HNacht nach dem Sturme" (Werke, I, 348), in welchem er Varianten der Entspannung mit der Ruhe des Meeres ver- gleicht— morgen wird neue Bewegung sich erheben. 120 Variationen der Glockennamen hinreichen, um Auf oder Ab der Liebesgeschichte anzuzeigen, Ob Max und Marie gerade Erfreuliches oder Harmendes zustbflt, vermag man jeweils an den Attributen der Glocke abzulesen. Im ersten Teil der Novelle, solange das Geschick der Liebenden sich gliicklich anl&Bt, heiflt es ”Mittagsglocke" (130), "keine gewdhnliche Dorfglocke” (140) und ”Morgen- glocke” (151). ” ... the tocsin of the soul” (130), die Beifugung in Hnglisch, ist trotz der landlaufigen tiber- setzung— Alarmglocke, Signal— ebenfalls im angenehmen Sinne gemeint, denn es handelt sich um ein Kennzeichen, das ”zum Mittagstische einladet” (130). In Byrons Don Juan (V, xlix), worauf Hartmann anspielt, wirkt tiberdies das Signal gleichfalls positiv und stimmt den Helden friedfertig. Aufler den bloSen Bezeichnungen ist auch der Klang der Glocke, vom ”Glockenton” (135), "Glockenlauten” (136), "Mittagslauten” (137) ist u.a. die Rede, ohne bedenkliche Modulationen. Stellen wir die Erdrterung der Ausnahme "Gewitterlauten” (143) einen Augenblick zuriick. Abge- sehen davon gestalten sich die Komposita und deskriptiven Beiftigungen fiir die Glocke positiv bis zum Drehpunkt der Liebesgeschichte. 121 Deren abfallende Phase beginnt mit dem achten der aiebzehn Briefe (155» MEnde Juni"). Vemehmlich let der Wandel achon im Pradikat der Glocke, da nun "die Glocken nutzlos und zwecklos . . . tonen" (156). Allerdings sina Komposita und BeifUgungen der Glocke erst vom nachfolgenden neunten Brief an vollst&ndig negativ. "Grabgelaute", "Todtenglocken" (157) und "Ton der Grabesglocke" (158) geben beredtes Zeugnis daflir, dafi in den Vorgangen des neunten Briefes die entscheidende Wende der Liebesgeschichte eingetreten ist. Berichtet wird von einem Begrabnis und einem Rendezvous Max' und Maries. Dafl sich Max und Marie aber wahrend dieses traurigen Anlasses momentaner Beseligung hingeben, ist der Keim fttr ihr Verderben. Inwiefern Maries Verhangnis dieser Situation entspringt, soli sp&ter naher ausgeftLhrt warden. Das eigene Gltick wird auf Grund der Niederge- schlagenheit, Angst und Trauer der Gemeinde erlangt. Das Paar stellt sich in Gegensatz zur Umwelt und deren Stim- mung. Ein ebensolcher Verstofl, wenn auch von minderem Ge- wicht, trug sich aber schon w&hrend des Gewitters zu, als ein erster negativer Anklang sich in den Attributen der Glocke manifestierte. Maries Onkel ist wegen des Unwetters beim L&uten. Wahrend des Naturereignisses, als alles umher 122 "bange war und zitterte" (146), komt ea zur Vereinigung dar LIabendan. Abarmals offenbart sich der Mangel an MltgefUhl alt dar Umwalt. Dar Autor habt das heraus, lndam ar diasen Solldari- t&tsmangel auadrticklich zum Gegenetand elnas Vorwurfs aacht, dan dar fiktive Briefpartner Georg in alnaa angeb- llchan Antwortbrief erhoban haben eoll. Max zitiert deshalb die folgendan Vorta seines Freundes: "Du findeat Leichtainn, Frivolit&t darin, da£ wir Allas vergessen konnten, wkhrend . . • die Menschen voll Bangen und Zagan . . . waren" (146). Vo von "Gewitterlfiuten" die Rada ist, tut sich also sum erstenmal das Bntgegenhandeln gagan dan Lauf der Umwalt kund. Um die darin inbagriffana Badrohung fUr das Glttck der Liebendan ansusaigan, ist das negative Attribut flir die Glocke mithln ganz am Flats. Die Passage ttber das Gawittar enth< femar dan Vermerk, daJ3 "das klelne Glbcklein, ait dam das Are und die Agonia gelkutet wird" (144) abanfalls in Bewegung ge- satzt wird. Mit Bedacht ist hier, w&hrend das arstan Zu- widarhandalns gagan die Solidaritlt ait Gaaainda und Hatur, arstaslig die Auskunft eingestreut, dad das zwalta GIBokohen, die Are Maria-Glocke, auch die Funktion dar Totenglocke hat. Dar Binbruch dar arstan nagativan Tttnung wtthrend das Gewitters ist folglich durchaus saitig und 123 lHuft auf elne Vorepiegelung der ap&teren Verschuldung beia Begr&bnis hinaus. Jener Verwlcklung In der Liebesgeschichte wtthrend der Totenfeler folgt unalttelbar elne Zuapltzung der Glockenchronlk. Der neunte Brief berichtete vom Be- gr&bnis und von Prevel dee Paara; der sehnte enth< prompt die Nachricht vom Bersten der Glocke (139)* Well die gesprungene grofie Glocke zu schaurig klingt, ▼ersucht es manchmal mlt dem Todtengl&ckchen, alt dea eheaals la allt&gllchen Leben nur das geltLutet wurde (160). Viederua 1st die Konvergenz der Glockenchronlk und der Begebnlsse der Liebesgeschichte ganz eng gehalten: noch aaohen sich Krankheltsspuren nur sporadisch an Marie beaerkbar— daher wird auoh die klelne Totenglocke ledig- lich zuwellen benutzt. Als die Srkrankung des MKdohens aber deutllcher In Srsohelnung tritt, erf&hrt Ban, dafl "Das Todtenglttckleln . • . jetzt alls Aemter verrichtet . . . " (167). Das erelgnet sich kurz vor dea Eintreten jenee Krankheltsstadiums, In welchea Marie bettlMgerlg wird. Die alte Glocke 1st abgenoaaen, dabel hat aan ein- sehen atissen, daB ein JTeubau des Glockenstuhls notwendlg geworden 1st. Das erttffnet die Gelegenheit, metaphorlech durch elne Verlagerung des Totengldckohens die akute Gefahr 124 anzudeuten, die nunmehr fttr Marie besteht: "Das Todten- gldcklein . . • hat mam indessen in die hohe Linde, un- weit von Mariens Hause aufgehangt" (167). Vorher befand es sich in sicherer Ferae, auf der abgelegenen Seite des Dorfes (132-133)♦ jetzt vermag Marie es von ihrem Fenster aus zu erblicken; die Ann&herung ist hier das Omen: die Totenglocke kommt zu einem Opfer. Symboltr&chtlgkeit und Tragik Diese Beispiele vermitteln einen Eindruck von der Ver- flechtung der beiden haupts&chlichen Handlungsfaden. Wie dicht auch der ideelle Hintergrund, die zweite Vfirklich- keit der Novelle, verkntipft ist, bekundet bereits das Licht, das von vordergrlindigen Ereignissen der Glocken- chronik auf Bedeutungszusammenh&nge der Liebesgeschichte geworfen wurde. Im Vorlibergehn sollte auch dem lyrischen Eigenwert des Bildes der Glocke gedacht werdeni Andacht- stiften und Heimatgeftlhl, Friede und Festlichkeit— von Schiller bis Beaudelaire ("La Cloche ffclee") ist diese Vorstellung mit Bedeutung angereichert worden. Im Bereten der Glocke &ufiert sich anschaulich das Zerbrechen der Harmonie und Seligkeit in Max' und Maries Verhaltnis. Handelt es sich bei solch reicher Tradition um den Gebrauch eines Klischees, das dem angewachsenen Repertoire 125 des 19• Jahrhunderts entnommen ist? Die letzten Paradigmen haben wohl hinl&nglich gezeigt, wie Hartmann den Bildem im Geschehen Notwendigkeit zugewiesen und sie ftir die No- velle umgepragt hat. Tatsachlich haben die bisherigen Beispiele lediglich die grdberen und auffalligeren Ver- kniipfungen der fUr die Glockenchronik und die Liebesge schichte je zustandigen Vorstellungsbereiche berUhrt. Der Autor schreitet bei der Symbolverflechtung in "Die Glocke" Uber das hinaus, was in der Analyse von "Dur und Moll" als Omen—Technik gekennzeichnet wurde. Es gelingt ihm, die Symbolverschmelzung und —verein- fa chung so betrachtlich zu forcieren, daJ3 sich zuweilen in einem einzigen Satz oder einer Metapher der Novelle das Thema oder das gesamte Geschehen assoziativ ballt. Auf der dreizehnten Seite der Novelle heiflt es beispielsweise: . . . sobald die kleinere Glocke das kurze Gelaute beginnt, das man hier das Ave Maria nennt, fangt Marie an, Abschied zu nehmen . . . (138)9 Ahnliches wohnt der konzentrierenden Anspielung "beim Ave Maria-Glockchen . . . denken wir aus alter Gewohnheit nur an Scheiden" (160) inne. In diesen Aussagen wird ausge- drllckt sowohl das einzelne konkrete Treffen als auch die q Textkritik: "Maria", in der Fassung der Werke, ist ein Druckfehler. Vgl. Erstverbffentlichung in Westenpnnna Monatshefte. 1859, V, 359-376. 126 gleichbleibende Situation, dafl bei alien Zusammenkttnften das Ende naht, wenn das Gldckchen das Signal gibt; und auch das Ableben Maries let inbegriffen. Gegenwhrtigea und Zukllnftiges dea Novellengeschehens flleSen ineinander; die Zeitkategorie ist lllusionswelse aufgehobent sob&ld ■an die geaamte Novelle kennt, erveist sich der t&gliohe Abachied auf das Gldckchensignal hin als Vorgriff auf den Abschied auf immer. In der zweiten Dimension der Novelle, in Bilderlogik, folgert aua dem gegenw&rtlgen Scheiden, daB Maries Ableben stattfindet, aobald die AZft-Kgglft** Glocke, nach dem Bersten der grdSeren, ganz den Ton angibt. Der Einzelfall ist transzendent fttr das ganze Gebilde. Unter den Formullerungen, welche die Symboldichte der Novelle eindrticklich hervorkehren, ist noch eine andere nennenswert— nicht zuletzt, veil in lhr eine Eigenttimlichkeit der Gestalt Maries glpfelt. • • • das ganze Dorf ist so traurig, und die armen Kinder— und Allea denkt jetzt an Tod und Kummer, und vir aollen glttoklich sein— (157-158). • • • es ist nicht recht, so glticklich zu sein — ein Gltlck, zu dem die Todtengloeken das Zeichen geben!— 1st das nicht eine Stlnde? (158). Ss handelt sioh natUrlich um den erwtthnten Brief ait der Nachricht ttber das Begrttbnis. Auf der deskriptiven Bbene spricht sich Folgendes aust die BMuerin Marianne wird 127 bestattet. Allseits in Dorf 1st man niedergesohlagen, die melsten Bewohner nehmen an dar Beerdigung tall. Das Gamut dar Totenglocke 1st gerade vernehnbar. Dla Trauer- falar and dla Ablenkung dar Geaeinde arlauban Max, ungehin- dert zu ainan Randazroua zu erachalnan. Aber Marla hagt Bedenken. Dla voraufgehendan Balsplala lehren, daB in dar sweiten Dimension dar Novelle wiederua aehr geaeint 1st, ale dla diraktan Vorgfcnge. Dar Satz "... ain GlUck, zu dea dla Todtenglocken daB Zelchen gsben!" (158) be- kundet in dar Tat auf dar Bbana der Asaozlatlonan eine Grundwahrheit fUr Jade beliebige Phase der Novelle• Von Anbeglnn ist der Beaeligung Kurzlebigkeit beschieden; as ist ein Feuerwerk. In dar zweiten Wlrklichkeit der No-r velle sprlcht sich aus, dad Trauer, Angst und dar Vorge- schmaok des Todas schon lmmer dam Glttck beigealscht slnd. Die freudigen Stunden des Liebespaars slnd von Anfang an durch dla Glockan alngelaltet wordan. Auoh im Hiar und Jetzt, im konkreten basohriabanan Fall* trifft das zu. Vergangenhelt und Gegenwart das Novallangaschahans ge- rinnen In letzthln wiedergegebenen Satz. Brg&nzend ist abar auch der weitera Ablauf der Novelle eingefangant das Zalchan dar Totenglocken 1st ja die Figur fllr das Ver- h&ngnis des geliebten MMd chans. In jener Aus saga 128 zerfliefien die Umsthnde der Novelle also wieder in eins. In dem zitierten Satzgebilde ist gleichwohl noch mehr eingekapselt als in den zuvor beleuchteten Beispielen fUr die Symbolkonzentrierung. Es bedarf eines weiteren Ausholens, um zu erhellen, da3 Maries Untergang gerade vom Begrabnis und von dem Zusammenhang des betrachteten Satzes seinen Ausgang nimmt. G-roSeres Versthndnis flir Maries Kentalit&t verschafft den nbtigen Einblick. Das Mkdchen hat ihre ganz persbnlichen ethischen Regeln. Als Max wahrend des Begr&bnisses auf Einlafi in ihr Haus dringt, schliefit sie ihre Entgegnung mit der Frage "Ist das nicht SUnde?" (158). Zweifellos ist damit nicht auf die sexuelle 3eite ihrer Liebschaft angespielt. Eine erotische Unnahbarkeit, wie sie Therese in "Dur und Moll" ausstrahlte, pafite nicht zu Marie. Die ganz und gar nicht mehr unverf&ngliche Liebschaft zu Max bektimmert Marie kaum. Doch kennt das Madchen trotz aller Freizii- gigkeiten Tabus. Worin sind diese zu suchen? Maries Kern zeichnet sich aus durch Emotionalitat. Was besonders hervorsticht, ist ihr Einheitsgefilhl mit anderen Wesen. Der Ausflug mit Max gibt eine Probe ihres Verwachsenseins mit der Natur. Marie sah und horte Alles; nicht der geringste Vorgang im Leben der Blotter, Gr&ser und der kleinen Thierchen 129 entglng Ihr; sie errieth aJLle Ihre WUnsche und Schick- sale und aprach mit elner Ueberzeugung davon, vie ein glttckliches Kind, und nit elner m&rchenhaften Ein- alcht . . . • (151). Was sich hler angealchta der auBerordentlichen Binftth- lungagabe leundtut, war bei anderer Gelegenheit oilttels elnes Gleichnisses ausgesprochen. Der bereits bespro- chene Verglelch Maries mit der Seidenraupe und anderen Tieren hat aufler den Funktionen der BJLnstlmmung und der Vorausdeutung offenbar femer noch die Aufgabe, das Natur- hafte in Maries Veranlagung zu betonen. Vie der Instinkt die Seidenraupe bei fremden Elngriff in das eigene Ge- spinnst zum Untergang verdammte, so mutete Maries Ver- h&ngnls Max an (164). AuBer der natUrlichen ist Marie auch der menschlichen Umwelt in ttbereinstimraung verpflichtet. Der zwblfte Brief macht den Hang nach Einhelligkeit mit der Gestimmtheit der Gemeinde deutllch. Es heiBt dortj Die Todtenglocken l&uteten; ein liebes gutes Velb trug man zu Grabe . . . Alles war von Todesschauern, won Mit- leid, von Barmherzigkeit erschlittert— wir vergaBen Gott und Menschen, alle Gesetze, alles Leiden der Andern, und wir freuten uns und waren glUcklich. 1st das keine Schuld? (163-164) Der Frevel besteht nicht aus einem 7erstofi gegen ein sitt- lich-gbttliches Gesetz, etwa das auBerehelicher Eeusohheit — dlesen SchluB hatte man schon aus der bisherigen Dn- bekUmmertheit Maries ziehen ktJnnen. Die tfbertretung 130 liegt vielmehr im Mifiachten "alles Leiden der Andern”. Die Art und Weise, wie Marie sich schliefllich ver- geht, hebt dieses ihrer Mentalit&t lmmanente Gebot nach Einmdtigkeit mit der Umwelt zushtzlich hervor. Ohne die Bestattung, welche den Glockner, Maries Onkel, abberuft, h&tte die Zusammenkunft des Liebespaares sich nicht ereignen konnen. Das Madchen wird konfrontiert mit dem Heischen der Umgebung auf Teilhabe an der allgemeinen Trauer— und Max* Herausforderung, aus der Intensitat ihrer Zuneigung ihre Liebe Uber alle anderen Bande zu stellen. Max treibt sie unbeschwert in dieses, von ihm zwar kaum in seinem Gewicht erkannte, doch ftir Marie voll belastende Dilemma (vgl. 158). Marie ist sich bewuBt, daB bei ihrer Entscheidung mehr auf dem Spiel steht als ein momentanes ungutes Ge- fUhl. Die Darstellung ist derart angelegt, daB das Madchen einer tragischen Verwicklung ausgesetzt wird. Sie ahnt, daB sie ihren Untergang heraufbeschwort, wenn sie sich zugunsten ihrer Zuneigung verhhlt. Wer sich ein- mal eingehender mit dem symbolischen Geflecht der "Glocke” vertraut gemacht hat, kann die Tragik in der Gestalt Maries nicht mehr verkennen. Es ist notwendig, hier noch einmal auf Maries schon zuvor zitierten Ausspruch, "... ein GlUck, zu dem die 131 Todtenglocken das Zeichen geben!" (158) zurUckzukommen. Diese Worte werden durch das Netzwerk der Gedankenver- blndungen in der Novelle erg&nzt und mit Bedeutung ange- reichert. Der Satz kondensiert, wie sich erwies, die gesamte Grundsituation der Erzahlung. Sofern ihm eine derartige Bedeutung beigelegt 1st, ergibt sich aber die Notwendigkeit zu fragen, weshalb er Marie zugewiesen ist, und weshalb er gerade in diesem spezifischen Moment ein- gestreut ist. Die letztere Antwort kann aus den Attributen der Glockenchronik und aus dem Verlauf der Novelle ohne weiteres abgeleitet werden: von hier nimmt Maries Ver- hangnis seinen Ausgang. Indem die Aussage Marie zuge wiesen ist, wird freilich der Eindruck erzielt, daB ihr sowohl die jetzige tJbertretung als auch die baldige Stthne durch den Tod gegenwartig seien. DaB Marie wissent- lich ihre Wahl in diesem Konflikt trifft, wird wenige Zeilen sphter in der Darstellung obendrein unterstrichen. Beim Abschied nach dem AugenblicksglUck des Trauertages bedeutet das M&dchen ihrem Liebhaber: "H e u t e haben wir eine Stlnde begangen. Ich nehme die Strafe und die Folgen auf mich” (159). tJbrigens bekraftigt Hartmanns Sperrung des Wortes "Heute" noch einmal, daB eben hier die Verschuldung begangen ist. Desgleichen best&tigt 132 diese Hervorhebung, dafl nicht in der Vereinigung der Liebenden an sich das SUndhafte zu sehen ist— schon frUher war es ja dazu gekommen— sondem in dem Hinwegsetzen Uber die Forderung der Umwelt auf Mitgeftlhl und Trauer. Be beruht einmal auf dem Fehlen der groflen Gebfirde, wenn Marie nicht sogleich als tragische Protagonistin erkenntlich wird. Die Novelle wiirde wohl liberlastigr wenn dieser Zug ausgespielt wtlrde. Obschon der weiblichen Rolle in "Die Glocke" ein betrfichtlich.es Mafi an Auf- merksamkeit zugewandt wird, empfindet man den Verfasser der Briefe doch als Hauptfigur. Andererseits liest man leicht Uber diesen Scheitel- punkt der Novelle hin, weil sich die Entscheidung zum tragischen Geschick unmerklich als passender Ausflufl von Maries Persdnlichkeit hinstellt. Ihr Leid und ihr Untergang entspringen ja aus ihrem Charakter. Ihre Tragik ist Charaktertragik— so subjektiv, dafl nur sie selbst an ihre Verschuldung glaubt, Max hingegen ihren SUhnewillen als "fixe Idee" betrachtet (vgl. 167). Jene Krankheits- bestimmung lfiflt der Dichter den Studenten nicht ganz zu Unrecht treffen. Zwar nimmt Marie ihre Entscheidung zum Untergang um Max' willen sichtlich mit Bewufltsein vor. Doch stellt sich bald heraus, dafl ihre geistige und seelische Verfassung nicht unverffilscht ist. 133 Die weibliche Hauptfigur in "Die Glocke" ist psycholo- gischer ausgedeutet als das bei Therese in "Dur mad Moll" der Fall war. Ihre intellektuellen Gaben werden nicht ver- heimlicht. Fast nebensachlich wird in den Bericht voxn Ausflug die Charakterisierung eingestreut, Vorstellungs- welt und Empfindungsleben Maries funktionierten erstaunlich selbstandig neben ihrem Intellekt. Max empfindet mit gemischten Geflihlen, wie Dichtung und Wahrheit in ihrem Bewufltsein verflieflen, wie sie Aberglauben nachzuh&ngen (152: der Rabe) und des rechten Verhaltnisses und Mafles zu entbehren vermag (152; 154). Dem Freund vertraut der Briefschreiber an: Hfitte ich sie . . . zu erziehen gehabt, ich hatte ihr vielleicht eine rein mathematische Erziehung gegeben, um diesem Wesen ein Gegengewicht zu bieten und sie vor sich selbst zu schUtzen (152). Angeslchts dieser Hinweise ist der Leser auf die zu- ktinftige pathogene Brkrankung Maries vorbereitet. Um nichts anderes handelt es sich namlich, wenn das Mhdchen das Vergehen whhrend der Beerdigung spater ge- genUber Max folgendermafien einstuft: "Ist das keine Schuld? Das ist schlimmer als ein Mord ..." (164). Ihr gehen die Proportionen nxinmehr vbllig ab. Und sich selbst glaubt sie als SUhneopfer ausersehen, wie sie ver- rht in ihrem sonderbaren und pathetisch-krankhaften, aus ihrem Charakter indessen ganz plausiblen Ausspruch "Sei 134 getrost! das SUhneopfer ist gefunden und auserw&hlt” (164). Eine Wahnidee, ein pathologlscher FehlschluS hat von ihr Besitz ergriffen und fUhrt folgerichtig ihren Tod herbei. tJberzeugend ist ”das Verschroben-Phantastische . . . bei im Ubrigen erhaltener Besonnenheit . . . ”, das der Psychiater als Symptom einer solchen Persdnlichkeitsver- hnderung kennt, an Marie dargestelltNur hin und wieder huBert sich ihr seelischer Ausnahmezustand. Gerade deshalb kommen die Manifestationen der Krankheit fUr den Liebhaber so unerwartet und erschreckend. Der Seelenarzt betont den "unerschlitterlichen Wahrheitswert solcher der Umgebung unfaflbarer Gedanken fUr die Kranke selbst” (Geyer, S.232-233). Auch diesen Zug hat Hartmann erkannt und in den Interaktionen wiedergegeben; immer wieder ver- sucht Max, Marie von ihren Einbildungen abzubringen, aber er muB bestUrzt seine Hilflosigkeit und sein Unvermdgen gegenUber einer solchen Starrheit der tfberzeugung einge- stehen (161,164,166,167). Was Max Untemehmen aussichtslos macht, ist die Ver- festigung von Maries Ideen vermbge von Ereignissen, denen flir sie suggestive Beweiakraft anhaftet. In ihrer ver- schrobenen, exzentrischen und selbst paranoiden Perspektive 10H. Geyer, Dichter des Wahnsinns. (Gbttingen, 1955), S.232-233. 135 neigt aie dazu, Vorf&lle als Strafzaichen aufzufasaen. Der Autor hat hier nicht nur eine beaondere Anteilnahae fUr daa Geachick der achisophrenen Peradnlichkeit, aondem auch eine erstaunlich© BinfUhlungagabe entviokelt. Obwohl die Diagnose einer Geiateskrankheit worn Typ Maries heut- zutage anhand der Symptoms im Normalfall vorgenoamen war den kann, aufi der psychiatrisch© Forscher dennoch bekennen Aber w i e sich Wahnideen schizophrener Herkunft ent- wiokeln, w i e aie ihre unerachtLtterliche aubjektire Gewifiheit ©rlangen, daa wiasen wir nicht" (Geyer, 8,232). Dieaen rtttselhaften Prozefi weraucht der Novelliat zu ▼eratehen und die vagen Regungen, Stimmungen und Persdn- liohkeitavertlnderungen durch Bilder mid Geschehniase in der EntrMtaelung aufzuachlieBen. Br nimmt ea dabei mit dem Problem auf, sowohl eine ansprechende literariache als auch eine mediziniach ak- zeptable Daratellung zu liefern. Vom Krankheitabild her iat Maries Peradnlichkeitawer&nderung als eine erbbedlngte Geiateastbrung beachrieben. Man entsinnt sich, daB Ja schon Maries Mutter einem ungewdhnlichen Leiden erlag: Diese atarb, weil aie bei einem Beauche am Grabe ihrea Mannea atolperte und auf daa Grab fiel. Sie nahm daa ala Vorbedeutung und atarb in demaelben Jahre • • • (152), Der Stil hat sich bei dieaer Vorausspiegelung auf Maries Geachick ganz der Verfasaung dea behamdelten 136 Materials angepaSt. Natlirlich verschied die Mutter ob— jektiv gesehen nicht, well sie Uber das Grab fiel. Diese Aussage hat nur aus der Sicht der seelisch Kranken GUltig- keit. Die seltsam-kausale Verkntipfung folgt den Denkab- lhufen der gestorten Persdnlichkeit. Die Mutter vollzieht eine pathologische Ubertragung, sie schreibt dem Vorfall eine Richtung auf sich selbst zu: erst aus dieser Auf- fassung des Geschehens, aus ihrer Krankheit, resultiert ihr Hinscheiden. Dasselbe sie "starb, weil" trifft naturlich auch auf Marie zu. Die Dusammenhhnge sind wiederum psychosomatisch. Ihre Disposition fUr das Abseitige ist von der Wanderung und den familiaren Angaben her dem Leser vertraut. Die Erschiitterung whhrend des Begrabnisses ist der huBere AnlaiB, der ihre latente Anlage aktiviert. Diesem Aue- ldseprozeB wurden tragische Aspekte beigegeben. Danach folgen, wie bei der Mutter, krankhafte Fehlschliisse, die an Strukturen mythischen oder primitiven Denkens gemahnen. In ihrer Betrachtungsveise sticht ein eigenartiges Fehlen der Abstraktion und der Sonderung von Vorgangen hervor. Oft konstruiert sie in ihren Empfindungen vunderliche Beziehungen. Ist das Bersten der Glocke lediglich ein zufhlliger Unfall, eine MaterialerraUdung? D aB moderne Denken des Alltags oder der Technik wUrde nichts anderes 137 dahinter vermuten. Marie whhnt, ihre eigene Verschuldung habe diesen schweren Schlag fUr die Dorfbewohner her- beigefUhrt. Eine ganze Serie solcher Vorfalle besthrkt die Kranke in ihrer Verstrickung und spottet mithin Max* Versuchen, sie aus dem Gespinnst ihrer Fehlurteile her- auszuldsen. Beispielshalber sollen noch die wiederholten Wanderungen betrachtet werden, aus deren erstera Zutragen eingangs dieses Kapitels ein Ausschnitt zitiert wurde. Ebenso wie die erste fUhrt auch die neuerliche Landpartie die Ausflugler zum Gehbft einer Pachterin. Bei der vor- maligen Rast treffen sie eine frdhliche Wirtin an; Marie spielt mit derem zutraulichen Knaben. Als das Paar zwei Monate spater, nach Maries tragischer Verschuldung und Auslbsung ihrer Krankheit, abermals einkehrt, ist der Knabe inzwischen gestorben. Zwei Wochen nach dem ersten Besuch, da Marie das Kind auf dem SchoB gewiegt hatte, ist der Tod eingetreten. Wie aus dem Dasein der Liebenden ist auch aus dem Leben der Phchterin die Freude gewichen. Und Max berichtet Uber Maries Aufnehmen der traurigen Nachricht: ” ... aus ihren ZUgen erkannte ich, daB sie das UnglUck wieder auf sich bezog" (166). Wiederum findet die pathologische Ubertragung statt; die Kranke begreift Ereignisse, die exaktem Raisonnement als urshchlich vdllig 138 zuaammenhangloa erscheinen, ala Strafe und Stthne fttr Ihre Verfehlung. Die Viederkehr zeigt mlthln daaselhe Motiv In anti- thetlecher, jetat negativer Abvandlung. Ahnlich dea Vor- berelten auf Harlea apttterea Loa durch daa Kundtun dea mtitterllchen Schickaala verwendet der Autor die Ausfahrt in elner Art von Spiegelungatechnik. Ebenao vie die grOBere Klnheit der Glockenchronlk grelfen dieae Struk- turen aelbatredend In den Aufbau der Novelle unalttelbar ein. Die Abfolge modiflsierter Bilder aacht den Gltlcka- vechael la Lebenalauf der Helden an Randfiguren und -embleaen ableabar. Vie aua dem Daaein der Llebenden let auch aua dem Leben der RLchterin die Freude gewlchen* Gleichzeitig vlrd die Viederkehr der Vanderung ale zu- a&tzliche Motivation fUr Maries tieferea Sichverfangen In ihre Phantaamagorien vlrkaam. Ea handelt aich erneut um ein Glied in der Eette der tells aufgefUhrten Sym- bolverdichtungen von auanehmend auaaagetrtLchtiger Natur. Im beaonderen Bild, zuvor gar in der lndividuellen For- mulierung, die belde jeveila auf einen apezialien Vor- gang zugeachnitten aind, wird doch zugleich die allgemeine Situation der Novelle reflektiert. 139 Dasein abselts Desgleichen ist das Prinzip der Ablesbarkeit evident in der Verwendung der Jahreszeiten. Dabei bemUht sich der Autor nur im geringen Mafie um Veranschaulichung der jhhr- lichen Zeitabschnitte. Diese werden vorzugsweise als kalenderartige Einstimmung benutzt. Die bloBe Angabe "Frlihling" oder "Herbst" ruft ja schon einen Reiz auf unsere Geftihlslage hervor. Aus den "Feldern, die im FrUhlingssonnenscheine dampften ..." (130) werden An- fang September Acker, denen "die Saaten fehlten". " . . . Hie und da sahen uns traurige Stoppelfelder an", berichtet der Briefschreiber seinem Freunde von der zweiten Landpartie (165). Und als Ende September Maries korper- licher Zusammenbruch sich anzukUndigen beginnt und das Totenglbckchen einen neuen Platz bei Maries Domizil be- kommt, entwirft ein Brief folgendendes Bild: "Wenn es (das Totenglocklein) gezogen wird, fallen die losen Herbstblhtter und zittern . . . zur Erde nieder" (167). Der Herbst wird benutzt, wie es eben aus der Dichtung in Deutschland zumindest seit Goethe vertraut ist. Die klassische Formulierung dafUr enthhlt Werther. Dort reflektiert der Held tiber die Eingeschrhnktheit "eines solchen Geschbpfs, das . . . die Blatter abfallen sieht und nichts dabei denkt, als daB der Winter kommt" (Buch I, 140 Brief v. 27. Mai). Saison und Naturbeschreibung funk- tionieren nur als Bausteinchen und sind den Breignissen der Haupthandlung und deren negativer oder positiver Aus- sagekraft koordiniert. Obwohl die Naturdarstellung sich nicht durch mlnu- zibse Detail-Wiedergabe auszeichnet, kommt der Natur in "Die Glocke" dennoch eine besondere Bedeutung zu. Dieser Rang ist ahnlich im zweiten Teil von "Dur und Moll", wo die Verdeutlichung der Natur durch Bilder wohl ausge- bildeter, doch auch dort noch relativ sparsam gehandhabt wurde. Die Natur wird wichtig in den beiden Novellen als Raum— genauer gesagt: als landlicher Bereich, in welchen die Ortschaft eingeschlossen ist. In "Dur und Moll" kennzeichnet die Ausfahrt in das Wiener Land eine Aufwhrtsbewegung im Leben Thereses und Ferdinands. Der Erzhhler berichtet im Rttckblick: . . . es schien mir thbricht, in der Stadt nach Ruhm und Brfolgen zu jagen oder auch nur nach der gewbhn- lichsten Nahrung des Leibes, da wir nun seit Wochen frei und seit Jahren zum ersten Male sorgenlos in einem schbnen Lande umherzogen, ohne eine von den DemUthigungen zu erfahren, die wir in unserem Leben so reichlich gekostet hatten. (552-553) Land und Stadt werden hier kontrastiert. Existenz- kampf, leibliche Not und Demtttigungen sind Bestandteile des Stadtiebens. Auf dem "schonen Land" hingegen kann 141 man sich, zeitweise jedenfalls, Freiheit und Sorglosig- keit liberlassen. Soziologische Kriterien verbinden sich hier mit unterschiedlichen Topographien. Der spezifische Raum macht sich whhrend der Vanderung in "Dur und Moll" geltend und verursacht die zeitweilige Bntspannung in der Novelle* W. Kayser ermittelt in seinem Kompendium Das sprach- liche Kunstverk11 den Raum als dominierenden Faktor der Idylle. Nach der Pragung des Raums richten sich die ttbrigen Dtrukturen aus. Das heiflt einmal, daJ3 Geschehen ■und Figuren an Geltung hinter den Raum zurUcktreten. (Wie weit das in den beiden betrachteten Novellen der Fall ist, davon spater.) Zum anderen bedeutet es, dafl der Raum Uberaus h&ufig einem Typus entspricht: meist bieten sich ein l&ndlicher Schauplatz oder Natur unter menschlichem Eingriff. Paflt nicht in solchen urwttchsigen oder zum Park stilisierten Raum am besten ein venig komplexer und un- zergliedernder Menschenschlag? Die Schafer-Literatur stelite daneben Geschopfe, die Unschuld und Einfalt er- streben oder vorgeben. Arglosigkeit und gute Absicht oder unbefleckte Verspieltheit und GeftLhlsempf&nglichkeit 1:L7. Aufl. , (Bern, 1961), S.555. 142 behaupten sich als hohe Wert© im NonnengefUge der Idylle. In Hirer Besinnlichkeit und Naturverschmolzenheit gewhhrt die Idylle ein Inseldasein abseits der Dynamik und Strapazen der Gesellschaft. Sine gemachliche, bisweilen bei lyrischen Sinlagen einhaltende, zufriedene oder gar ergotzliche Darstellung entspringt solchen Vorstellungen. Den Hang zur kleinen Welt der Idylle bekundet in der "Glocke" unter anderem die BeschrSnkung auf einen kleinen Personenkreis. Von der Einftlhlung Maries in die Natur war bereits die Rede; die Landpartien zeugen von genereller Offenheit fUr die Natur. Ein Groflteil der Vorghnge spielt sich in der kleinen Stube von Maries Oheixn ab. Damit ist ein Teil der Idylle zwar in das Innere verlegt— aber das Haus liegt am Rande des Dorfes, halb in der Natur, hinter dem zugehdrigen Garten beginnt schon das Feld (130-131)* Die Idylle ist teils domestiziert. Ob in der Natur oder im Wohnzimmer, stets ist freilich die Abgeschiedenheit vom Kontakt mit dem bewegten sozialen Treiben betont. Marie versichert, "ich bin fiir die Binsamkeit gemacht . . . " (163). Und Max beteuert gleicherweise, Nur in der Stille und Binsamkeit konnte ich so glticklich werden; in der Welt hfitte mich so eine heifie Liebe, bei meiner eiferslichtigen Natur, in bestfindige, hSLBliche Unruhe versetzt und mir das Leben verbittert (140), Dieser Ausspruch erinnert vielleicht an die pastorelle und anakreontische Tradition und deren Vorliebe fiir das 143 Eifersuchts-Motiv; indessen ist ss allsin an disser Stalls aufgenommen und vlrd auch nicht detailliert ausgeflihrt. tfberhaupt enth< NDie Glocke” kaum Merkmale dar anakreon- tisch Tsrstandsnsn Idylls. Fluidum und Manaohan sind lsbsnsfroh— aber nicht genieBerisch, frei-— aber nicht t&ndelnd, zuveilen naiT— aber nicht idaalisiert und grazids. ” . . . die Ruhe mit dar vir uns freuten; das Glttck das Zusammanseina . . . ”, diese schlichten Re- gungan bildan wtthrend der Abvesenhelt des Gldckners dan Kern des Idylls der Liabandan (148). Hartmann befaBt sich nicht nur in dar Briefnovelle mit dam Idyll. Auch in anderen Schriften und im Brief* wechsel KuBert er sich darliber. Bin Seitanblick auf das Autors nomadanhaftan und turbulantan Labanslauf ▼ermag diasa Neigung zu erkltLrens fUr dan unbahaustan Emigrantan ▼erkdrperten sich in Heimat und Idylle lange unarraichbara Varta. Auch ein wenig politischa Resignation kann im Spiels sain, wenn der Bdhme sich dar Idylls zuvandat. Bs Ter- staht sich, dad hier namentlich dla Periods nach 1848 in Frage kommt. Selbst Mitglied das Frankfurter Parlaments, hatta dar Schriftstallar mit dan latztan Unentvegten dar damokratischan Bewegung noch 1849 in Stuttgart an dan Sitzungen das Rumpfparlamants, das kttmmerlichen Oberrests 144 der Frankfurter Versammlung, teilgenommen. Nach der ge— waltsamen Auflosung dieser rudimentaren Volksvertretung nimmt er in der Schweiz Exil. Aus Genf richtet er, wie der Biograph Wittner Uber- liefert, im Dezember 1849 folgende Zeilen an seinen Freund Alfred Mei3ner: Ich bin der Politik unendlich mlide . . . es ist ein auf- zehrendes . . . Treiben ohne Brfolg— und wenn mit iir- folg, was haben Menschen, wie ich gewonnen? Ich bin ein BUrger derer, die erst in zwei Jahrhunderten oder vielleicht nie kommen werden. Darum schreibe ich Idyllen ..." (Leben.II.6). Hartmanns Wendung "Darum schreibe ich Idyllen ..." 1st vermutlich in erster Linie auf das damals entstehende Versidyll "Adam und Eva" gemllnzt (Werke, 11,249-316). Ob Hartmann auf politische (d.h. demokratische) Oder andere Verfassungen anspielt, laflt die befremdende For- mulierung des vorletzten Satzes im Zitat nicht eindeutig ersehen. Jedoch enthalt sie einen Fingerzeig, dafl der Autor nicht nur aus der augenblicklichen Krise heraus zur Idylle gefunden hat. Aus diesem Satz spricht eine Ver- bindung der Idylle mit einem utopischen Oder zuklinftigen Weltzustand, die der Schriftsteller einige Jahre spfiter, 1851t ln seinem "Tagebuch ..." (Werke,III,197) etwas genauer umschreibt; Die Idylle, das Gedicht des Friedens und der Liebe, ist das revolutionarste Gedicht. Denn was wollen wir Anderes, als Liebe und Frieden, als die JSrfttllung des 145 • . • 'Traumas voa Glttck*? . . . Die Devise* 'Brttder- lichkeit', velche die Gegenwart auf ihr Schlachtpanler schrelbt, schreit sie nlcht mitten aus den Kaapfgewtthle naoh Frieden und Lieben? . • • " Hit dam Yerstltadnls dar Idylla als elnes revolu- tionhren Gedichts 1st zvelfellos aIn unkonventloneller Aspekt hervorgekehrt. Dar letzte Satz das Zltats und glelchfalls dar aich anschlieBende Kontext bezeugen, da£ Hartnann mlt dlasar aufrUhrerischen Koaponante tor alien politiache Zusammenhlinge meint. Im prlTatan Baraich drtiokt dar Taxt amaut dia Sahnauoht nacb Ruhe, Geborgen- heit, Zuneigung und Glttck aus. Und das Varlangan naoh Yenrirklichung dlasar Vunschbilder baglaltata dan Bni- grantan lange. Es hhlt noch urn 1860 an, also langs nachdam die arsta Resignation ttber dia orthodoxs Wendung das politischen Gaschicks In Osterreich und Deutschland rerstrlchen 1st (Vgl. Volkan, Briefs. 3.9). AufschluBreich fttr Hartmanns Auffassung von dar Idylla 1st dia folgende Aussage In alnaa seiner Lustsplele. Raalislaran odar Yarlust dar Idylla wlrd darin aafigeb- llchas Kriteriua ttber Labansarfolg odar -aifllingen. Man lntarassiara sich noch so aehr ftLr dia Walt, fttr ihra Laidan und Freudan,— am Bode koaat as dooh nur auf dia kleine Welt von Freunden an. Dia wlrkllche Poesie das Labans 1st dia Idylla. Dar ganze Roman, dan wir alia durchmachan, alt alien salnan Intriguen (sic) und Klapfen, hat nur dan Einen (sic) Zveck, andllch diasa idylla zu arringan. Venn as aiGllngt, 146 1st es eine Tragbdie . . . Die Gemeinsamkeiten der Zitate treten in diesem letzteren Beispiel besonders zutage. Hartmann sieht das Idyll als Ideal und Zauber des Lebens; "Freunde" und "kleine Welt"— das sind Bestandteile dieses GlUcks. Aber die Idylle wird von dera Schriftsteller nie aufierhalb des Lebensflusses gesehen. Die Idylle stellt einen Zustand dar, dem man in alien Fhhrnissen zustrebt. Ob dieses Ziel je erreicht Oder erhalten werden kann, wird nicht berlihrt— indessen, soviel ist sicher: "Wenn es miQlingt, ist es eine Tragodie ..." Diese Gewifiheit bestatigen sowohl "Dur und Moll" wie auch "Die Glocke" (verbleibende Novellen waren noch daraufhin zu betrachten). Erweisen nicht beide Erz&h- lungen in der Tat die Unerreichbarkeit Oder Unstetigkeit der Idylle? Desgleichen ist die Idylle nicht mehr der statische Ausschnitt der traditionellen Genremalerei voll Ruhe und Geborgenheit, Friede und Genesung. Der Dichter urn die Mitte des 19. Jahrhunderts sieht statt solcher Szenen den Wechsel des Hintergrunds ("Dur und Moll") Oder die irrationals Seite und Problematik des 12 zit. in Wittner, Leben.II.393. (vermutlich aus "Buridans Esel".) 147 Lebens ("Die Glocke"). Dem lm 19. Jahrhundert gepragten BewuBtsein erscheint, wenn es sich auf der Hbhe der Zeit befindet, die Idylle als ein Ideal, das angesichts der Wandelbarkeit des Lebens allenfalls tfbergangs stadium zu sein vermag. Eignen sich die Beteiligten in den betrachteten No- vellen Hartmanns uberhaupt fiir die Idylle? Zwar stellen Therese und Ferdinand noch redliche und relativ arglose Charaktere vor: von der Umwelt werden ihnen ihre Kon— flikte erst aufgedrangt; ihre landliche Idylle wird durch die Belastigung und Einkerkerung von seiten des Gutver- walterssohns zerstbrt. Kraft dieser Erfahrungen und Thereses Hinraffen erscheint Ferdinand zwiespaltiger und bleibt letztlich als Verzweifelter zuriick. Aber Max und Marie, die Helden der "Glocke", sind als erheblich hellhbrigere und komplexere Naturen konzipiert. Das verdeutlichen Emanzipation der Bitten und Von- sichweisen der Tradition (142). Das erhellt auch Max' gelegentliches Innewerden der Wandelbarkeit menschlicher VerhS-ltnisse. Zu Beginn der Liebesgeschichte teilt er dem Empf&nger der Briefe mit: Kaum zweixindzwanzig Jahre alt, habe ich doch schon erkannt, daB man keine Wahrheit als die absolute hinstellen und dafl man nicht auf vierzehn Tage voraus sein Leben bestimmen kbnne. (129) 148 Noch problematischer wird lhm das Dasein spS-ter, als sich die Zeichen um seine Liebe zu Marie verdiistern. Er bezeichnet es als "eine der traurigsten Seiten unseres Lebens, dafl es von einer Stunde zur andern nicht die geringste Sicherheit gibt!" (155). 1st aber diese Unver- l&filichkeit und Fragwiirdigkeit des Lebens nicht gerade das Gegenteil zur Geborgenheit der Idylle? Mit Marie prasentiert Hartmann eine Gestalt, die naturverbundener ist. Wo die pathologischen und tragi- schen Anlagen des M&dchens beleuchtet wurden, ist ihr Einsempfinden mit den Wesen der Natur schon im Zitat zum Ausdruck gelangt. Freilich ist es bei einem tragi- schen GeschcJpf nicht verwunderlich, daB nicht einmal an Marie Natumahe und -einvemehmen ungebrochen erfahrbar sind. Dessenungeachtet hat ihr Verhalten zur Natur romantischen Anstrich. Dahin neigen ihre gelegentlich unverbramt zur 3chau getragene Kindlichkeit und das Mhrchenhafte, das Phantasievolle und die Bmotionsinten- sitat. Auf dem ersten Ausflug, so wo hi in Feld uind Wald als beim Plaudern mit der Pachterin, entpuppt sich ihr spielerisch-schdpferisches Talent. So "als ware sie die kluge Frau des Waldes" (151) fabuliert sie liber Pflanzen und Tiere. Sobald sich das Paar als Geschwister 149 ausgegeben hat, "erfand Marie gleich eine ganze Geschichte" ttber Ihre gemelnsame Herkunft und ersann Arabesken ttber den Studentenulk, der Max angebllch um selnen Platz auf der Uhiveraltlit gebracht haben soil. Allem verleiht ele "am Ends eine Venduxig zum Ernethafteeten und Roaantlsch- aten" (154). Lhflt sich aue dlesen Zligen alleln nicht eine unge- f&hre Begrlffabestlamung romantlachen Naturells, Dlchtena und Vollena herlelten? Bin letztes Zltat rermag daa Spektrum romantlacher Merkmale welter zu erg&nzen. Max beaerkt: Ba 1st wunderbar, wie In Ihr, neben dem klaraten Ver st ande, Phantaale und Gemttth unabhttngig fortarbelten und Ihr Alles bedeutend machen, was In Ihr Leben trltt, und ael es das Aeuderlichate und Zufhlllgste (152). 1st daa Gewlchtigmachen aelbat des Nebena&chlichen, daa alch hler auaaprlcht, nicht tthnllch dem Prosed dea "Romantlalerena", wle ihn die deutachen PrUhromantlker ▼erstanden? Jedenfalls deflnlert ihn Nowalls gleich- lttufig. Br formullert In selnen Fragmentens Indem lch dem Gemeinen elnen hohen Sinn, dam Gewtfhn- lichen eln geheimnisvollea Anaehen, dem Bekannten die Vhrde dea Unbekannten, dem Bndlichen elnen unendllchen Scheln gebe, so romantisiere lch ea.13 56^^5*^1818* B* Kamnitzer, (MUnchen, 1924), 150 In der Tat ist eine Schicht der Persbnlichkeit Maries— zweifellos gelungen— als eine Anspielung auf die Romantik angelegt. Da3 kdnnte bei oberflS.chlich.em Lesen f&lschlich als Hartmanns Abrechnung mit der Romantik hingenommen werden. Denn: enthS.lt das letzte Zitat aus der "Glocke” nicht bereits Ansatzpunkte flir die Kritik? Die Proportionierung der Dinge fehlt: auch. ”das AeuBer- lichste und ZufSlligste" wird Marie bedeutungsvoll und ihre Binbildungskraft wie ihre Affekte haben sich gef&hr- lich vom Intellekt und der rationellen Dinsicht abgelost, sie konnen "unabhSngig fortarbeiten" (152). Ware die Rovelle ein lineares, durchsichtiges Ge- bilde, so zeigte sich bereits an Maries Krankheit und pathogenem Tod, wohin solches Wesen fiihrte. Aus Max' Perspektive stellt sich ihr Geschick wahrhaftig wie eine Verdammung der Romantik dar: den Ursprung ihrer Krankheit identifiziert er mit ihrer romantischen Mentalitat. Verdammt sei die Romantik unserer ganzen Bildung, die uns Allen in den Gliedern steckt und die einem Bl&tter- rauschen, einem Quellenmurmeln, einem Glockenton mehr Gewalt einr&umt, als dem verminftigsten Gedanken (166-167), ruft er aus, als er zugeben muB, daB ihn "diese Ahnungen, diese Schwermuth, diese UnfaBbarkeiten des GemUthes . . . ganz und gar hulf- und waffenlos . . . finden" (166). 151 Angesichts der Verstfindnislosigkeit dee Helden fUr die Tragik in der GestAlt Maries wirkt dieses Urteil auf den BingeweUiten jedoch ambivalent. Max spielt und spricht lediglich eine Rolle, in der Novelle; der Autor vermag mittels seiner Geschopfe antinomische PUgungen zu instru- mentieren. Der Aufnehmende hat beim Deuten den Zusammen- klang des Ganzen abzuhorchen, um zu elner ausgevogenen Auffassung zu gelangen. Das Geflecht der Novelle ist derartig komplex, daB sowohl Max' Kritik an Marie und der Romantik als auch seinem SchluBcredo— fUr das "Positive", das "Schaffen" und den "direkten, ausgesprochenen Zweck" (169)— eine sonderbare Gebrochenheit anhaftet. Auch Maries Alln&he ist mithin nicht mehr die Natur- verbundenheit der Idylle. Dementsprechend treten die Figuren nicht in der Bedeutung hinter den Raum zurUck. Trotzdem ist der Raum in seiner landlichen Beschaffenheit nicht bedeutungslos: die beiden Zentralfiguren w&ren nicht daraus zu verpflanzen. FUr Max' kurzlebiges GlUck ist die Isolation abseits der Gesellschaft Voraussetzung. FUr Marie ist der landliche Winkel Schicksalselement. Trotz ihrer st&dtischen Herkunft untersteht sie doch wiederum den hier dominierenden Lebensmhchten: der Natur, wie sich an ihrer kreatUrlichen BinfUhlung bei Gewitter 152 und Wanderung offenbart; der Dorfgemeinschaft, wie ?iich beim Ausscheren aus der allgemeinen Trauer erweist, ein- gedenk dessen Marie zerbricht. Andererseits zeigen die Idyllen in "Dur und Moll" und "Die Glocke" geradezu die Vergeblichkeit des Versuchs, in die Natur zurlickzukehren oder sich dort abzusondem. Der Raum der Idylle ist diesen komplexen Personen nicht mehr gem£LI3— und in den Raum selbst dringen schon Stdrungen ein, wie durch den Amtmannssohn in "Dur und Moll". Was ver- bleibt, sind idyllische Phasen im Leben der Helden— und ein Raum, welcher schon mit dorfgeschichtlichen Charakteri- stika versehen ist. Anteil an Idyll und Dorfgeschichte Nachbildung von Brauchtum und bhuerlichen Themen, Spuren eines provinziellen Realismus, wie sie die Dorf- geschichte auszeichnen, sind in "Dur und Moll" noch sphr- lich. Dorfhochzeit, landlicher Tanz mit Streit und Tfit- lichkeiten um ein M&dchen (562-563)f Mitfahrt auf einem Bauemwagen— damit sind die hauptsachlichen Vorkommen landlicher Situationen erfaRt. Hingegen begegnen in "Die Glocke" bfter bodensthndige Elemente. Die EigentUmlichkeit einer lokaJ.en Beerdigung erregt Beachtung (156-157). Als Max sich zum zweitenmal beim Hause von Thereses Oheim 153 eInstellt, findet er Marie so energisch und "wirthschaft- lich mit einem . . . Kohl- Oder Mohrrttbenbeete besch&f- tigt", daS sie wiederholt Mden SchweiB von der Stirn wischte" (133). Als ein Gewitter die Saaten bedroht, befolgen die Bauern willig einen Vorschlag aus der Mitte ihrer spontanen Versammlung und lassen die Ortsglocken lhuten, "um die Gewitterwolken zu zerstreuen" (143). Max tut diese MaBnahme im Verborgenen ab— als bauerllchen Aberglauben. Seine heimliche Miflbllllgung gehbrt zur Kehrseite der dorfgeschichtlichen Elemente. Zuweilen meldet sich nhmlich eine Auseinandersetzung mit bhuerlichen Werten und mit Gemeinpl&tzen der zeitgenbssi- schen Dorfgeschichte zu Wort. Die Polemik kristallisiert sich besonders im folgenden Zitat aus dem ersten Brief: Dorf und Thai liegen mitten im Walde und sind nur von stumpfslnnig gewordenen Bauern und von rohen Eisen- schmieden bewohnt. Umsonst habe ich diese ganze Zeit nach der Poesie des Dorflebens gesucht; umsonst bin ich von Eaus zu Haus gegangen und habe lch nach Bauemgenies a la Hofschulze und Buchmeier geforscht. Ich glaube nicht an diese Poesie. Unser Bauer ist in Armuth und Arbeit stumpf geworden . . . Er ist viel unmoral!scher, als der verschrieene Sthdter . . . WeiBt du, was mir . . . vor Allem fehlt?— . . . Die Anmuth, die, wie uns die Poesie elnreden will, sich vorzugs- weise auf dem Lande finden soli, denn sie sel die Schwester oder erstgeborene Tochter . . . der Nalve- tht . . . " (128). Uberspannt man diese Zeilen aus "Die Glocke", wenn man daraus ableitet, daB Hartmann derzeit, bei der 154 Konseption der Novell©, der Dorfgeschichte nicht vorbe- haltlos gegenlibersteht? Der Bauer wird nicht aehr ale naiv, eondem ale stuapf hingeet©lit; die Poeeie dee Dorflebens gilt ale unglaubhaft; der etehende Vergleich zwischen Sthdter und Bauer iet nicht mehr unbeeehen euunguneten dee urbanen Menechen entechleden. Binlg© Jahre nach Bntstehen der Novelle, 1866, achreibt Hartaann einen Brief an Paul Heyse, deseen Inhalt anzeigt, dafl eich Hartmanns Ansicht mit der eeinee Helden Max annhhemd deckt. Der Autor der "Glocke" fUhrt dort u. a. aus: • . . lch seine nur, daB manche Dorfgeschichtenschrei- ber . . . von Ihnen (Heyse) lernen kttnnten . . . u. All© das Bine, daB nan Dorfgeschichten ohne Mlsthaufen aachen kann ..." (Volkan, Brief©. 3.156). tfberdruB an der Popularisierung des Genres und vor allem an der tfberbetonung des lhndlichen Kolorits: drastlsoh schafft sich diese Reaktion la letzten 3atz dee Zitats Luft. Die "Bauemgenles" auten solcher Binstellung als unhaltbare Ideallaierung an. In der Gedankenvelt der Dorfgeschichte herrschen Schllchtheit und Nattirllchkeit, archetypische Beziehungen und klare Gegensiltsllchkeiten vor. Bin relativ grad- liniges Menschentua spiegelt eine weniger spezlalisierte und minder koaplexe Zivilieation wider. Polglich ergibt sich eine Beschr&nkung der Problematik. (Ia Tergleich zur urbanen Literatur Frankreichs wirkt die insgesamt 155 mehr proTinzielle und einheimiache realiatiache deutache Prosa um die Mitte dea 19* Jahrhunderta deagleichen aicht- lich problem-ttrmer.) Veder der Student noch Marie, die verwaiate Offiziera- tochter, vttren mit Recht ala Exponentan rein diJrflicher Lebensart anzuapreohen. Indem Hartmann dieae GeachtJpfe ▼on Univerait&t und Stadt pr&gen lft fit und ale erat heraach in die Dorfaphftre einordnet, verachafft er aich auagreifen- dere MBglichkeiten gegentLber der gemeinen Dorfgeachiohte. Die Weltbegegnung einea Studenten vermag artikulierter auesufallen ala die einea Bauern, Briefform und Bauer vftren Uberdiea achwerlich zu Tereinbaren, Dieaea Verfahren enthebt den Autor zugleich anger geographischer Fixierung der Gesehehniase. Die Dorfge- achichte iat ja aoziologiach-geographiach beatimmt* Lokalkolorit und regionalea Detail, vie sie aua den Schwarzvftlder und Tiroler, Btfhmiachen und Thtiringischen Dorfgeschichten ala Charakteriatika der Gattung unmittel- bar absuleaen sind, fehlen der "Glocke", Redanearten, mundartliche Namen, Trachten und GebrlLuchei die ethniaohen Eliacheea, die aufateigen, aobald man manche Dorfgeachichte auch nur in die Hand nimmt, ervartete man Tergeblich. Martin Greiner betont in aeinem Artikel "Dorfge schichte" im «t1Itop der dsutschen Literaturaeachichte. 156 2. Auflage, (Berlin, 1958), zwei Momente, die ihm fiir das Zustandekommen der DorfgeBchichte des 19* und 20. Jahrhunderts verantwortlich scheinen: erstens das Inter Base eines bhuerlichen Leserkreises fUr eine Literatur, die sich erbaulich mit dorflichen i!reignissen befaBt — traditionell hatte das die Kalendergeschichte Ubemommen. Zweitens die Neigung eines urbanen, auch literarisch ge- schulten Publikums, iiber landliche Verhaltensweisen, Schauplatze und Themen zu lesen. Weder an die eine noch die andere Leserschicht wendet sich Hartmann spezifisch; fUr ein b&uerliches Publikum whre die Glocke ohnehin, wie schon erlhutert, zu literarisch in den Anspielungen. Andererseits appelliert er ebensowenig durch pro-lfindliche, romantisierende und simplifizierende dchonfhrberei an das Heimweh landfllichtiger Neulinge unter der Stadtbevblkerung oder an Weltfluchtbedtirfnisse stadtischer Kreise. Der Autor vermeidet in "Die Glocke", sich auf einen Standpunkt zwischen 3tadt- und Landbereich festzulegen und durch diese Ferspektive eine eindeutige Wertung in die JSreignisse zu tragen. Der Kontrast Stadt-Land ge- hcirt zu den konventionellsten Denkschemen der Dorfge- schichte, meist wird das lhndliche Leben sehnstichtig als ein Abglanz oder eine Oase des verlorenen "Goldenen Zeitalters" und der unschuldigen Einfalt betrachtet. 157 Von dieser Warte kritisiert man die stadtische Zivilisa- tion als Pervertierung. Hartmann hfi.lt sich solcher Verelnfachung fern. Zwar lfiBt er Max behaupten: "Unser Bauer . . . ist viel un- moralischer, als der verschrieene Stfidter". Aber noch 1m selben Zuge erfolgt eine Abschwachung: "die kleinen Beamten . . . aus der benachbarten kleinen Stadt" scheinen Max auch nicht genehmer, denn "In ihrer Gesellschaft sehne ich mich nach den Bauern . . . " (128). Max und Marie haben Teil an Stadt und Land— und gleichermafien steht der Autor Uber Stadt und Land. Dieses Vermeiden dorfgeschichtlicher PlatitUden hfingt mit der Briefform der Novelle zusammen. .L'in ab- weichendes Menschentum gebietet wechselwirkend andersgear- teten inneren Aufbau als die gewohnte Dorfgeschichte. Bin Mehr an reflektiertem Gefiihl ist anzutreffen, verharrt aber nicht lyrisch schwebend, sondera wird in Briefbe- richte an den Freund elngekleidet und erscheint daher als \inverbogener Gefllhlsausbruch oder als gerichteter, aggressiver tfberzeugungsversuch. Max' Ausffille gegen die Romantik erhellen eine ideelle Vertiefung der Personen Uber die Novellenhandlung hinaus. In Marie enthUllte sich eine gelungene Anspie- lung atif die Romantik. Wird diese Geistesart in der 158 Mhdchenfigur geschmhht, vie es kraft Max* Polemik den An8Chein haben kcinnte? Der Freude zeugende und der zer- setzende Aapekt des romantischen Nature11s sind gleicher- maflen dargestellt. Dabei ist das fortschreitende Ver- mindem von Maries seelischer Anpassungsfahigkeit ans Leben vortrefflich bew<igt. Persdnlichkeitsverhnderung und Tragik sind vollauf verschmolzen. In der tragischen Steigerung Maries liegt indessen auch eine Aufwertung der Romantik, ein Gegengewicht gegen Max' Aussagen. Die No velle zeichnet sich hier durch Strukturen von anspruchs- voller Komplexit&t aus, eine meisterliche Vereinheit- lichung der inneren Form ist erreicht. Hartmann befindet sich auf dem Wege zur tragischen Novelle. Die tragischen Ziige Maries und Max* Aufraffen am SchluB drangen die Melancholie, die des Dichters Werk h&ufig fhrbt, in den Hintergrund. In der Dichtung des 19. Jahrhunderts ist **Die Glocke** fast als Unikum anzusehen, denn die Epoche ist arm an Erzeugnissen der Briefepik. Hartmann zeigt, dafl er willens ist, auch gegen die Normen seiner Epoche zu derjenigen Form zu greifen, die ihm fUr einen Gegenstand gem&B erscheint. Dabei ist diese Briefnovelle derartig gelungen, daB man auch als Zeitgenosse des 20. Jahrhun derts noch zaudert, die Form einfach abzutun. **Die 159 Gtlocke" beaitzt, neben anderen VorsUgen, diasa Qualitat grofier Dichtungs aina Einblldungetoleranz und eln Aaaozla- tionafeld, die dea Aufnehaenden bein Vlederholen der LektUre eln auakrelaendea und tleferbohrendea EinfUhlen erlauben und nahelegen. Als Gtef&B fUr die Darstellung innerer Vorghnge und flir den OafUhlsausdruck autet die Abart der Brieffora alt einea einzigen Schreiber, nach der Erbauung an diesea Qebllde, nicht schlechtveg unmodern an. Selbaterfahrung und -beapiegelung vermbgen, in diesar quasi-nonologiachen Fora, den Schauplatz abzugeben. Der Anklang der Norelle griindet sich tells auf diese Ntthe zua neuerlioh mehr aneprechenden Tagebuch. Aber die letzte Flktlon zwi- achenmanschlichen BrUckenachlaga, welche auch der Brief- fora alt einea einzigen Schreiber noch innewohnt, hat die monolog-orientlerten unter den modernen Sohbpfem wohl abgeechreckt— trots der Auabreitung ich-domlnierter und handlungsarmer, selbatgeaprhchlger und weltacheuer Proaa, wie ale etwa Virginia Voolfa Yerke oder Rilkea Malte ala Tjpua reprttaentieren. Dabei erlaubt die Brief- fora gerade Vdrzioht auf daa Detaillieren der Uavelt. Aa bekannteaten unter den BrieferzMhlungen unaerea Jahr- hunderta iat Termutlich nooh Ricarda Hucha "Der letzte Soaaer" (1910). IV. SEINSVIELFALT UND -BKFANGENHEIT AUF DEM DORFE Ein struktureller Vergleich zwischen "Der Krieg um den Wald” und Berthold Auerbachs Lucifer Vertrautwerden mit der Dorfgeschichte Hartmann hat sich nicht immer derartig neutral ver- halten bei der Behandlung des Motivs vom rurbanen Gegen- aatz wie in "Die Glocke". In seiner frUheren Novelle "Der Krieg um den Wald"1 neigt er einmUtiger dem lhnd- lichen Bereich zu. Das Werk ist eher als eine reine Dorfgeschichte anzusehen, denn es erftillt die Forderungen dieser Prosagattung des 19. Jahrhunderts, in realistischer Darstellung Motive und Themen um Bauer, Dorf und Landleben auf einem bestimmten natumahen, regional und Uberschaubar 2 gehaltenen Schauplatz zu behandeln. Desgleichen stellt das Werk einige Merkmale zur Schau, die wir den gelhufigen Begriffsbestimmungen der Dorfgeschichte angliedem mbchten: Anklingen einer, wenn auch behutsamen, didaJctischen 1Werke. IV, 1-176. Eingeklammerte Seitenzahlen im Text dieses Kapitels beziehen sich s&mtlich auf diese Novelle. 2 Vgl. Greiner, "Dorfgeschichte", Reallexikon. 2. Auf1., 1958. 160 161 Nuance, Abwesenheit von AnonymltAt und Empfinden dee Raume ale Heimat. Mit "Der Krieg um den Wald” rersucht sich Hartmann nicht sum eretenm&l an der Dorfgeschichte. Bereits 1845, am Anbegln seiner Bet&tigung als Proea-Schriftsteller, verfaBt er eine l&ndlich-historische Brztthlung, die er aber anonym verlegen lfiLBt und deren Urheberschaft er nie dffentlich beansprucht (Vgl. Kap. II, Anm. 1). Noch saghafter rerlhuft das n&chste Dhtemehmen: ein ldylli- sches Drama "Das Dorf, wowon der Biograph Wittner zu berichten veifi (Leben. I, 148-149), gelangt augensohein- lich weder sum Druck noch zur Aufftthrung. Hartmann kam frtih mit Schriftstellern in Kontakt, die als Exponenten der Dorfgeschichte gelten. In Vlen ▼erkehrt er mit dem Csterreicher Joseph Bank, dem Ver- faseer der Dorfgeschichten Aus dew BOhmer Valde (1847). Die Beziehungen werden w&hrend Hartmanns Lelpzlger Zeit fortgesetzt; 1848 leben die beiden im Frankfurt des Parla ments sogar unter einem Dach.^ Die Duz-Freundsohaft mit Auerbach wtihrt seit Hartmanns Leipziger Aufenthalt in den frtlhen wlerziger Jahren, als beide Zlnmeraachbarn 5Vgl. Wittner, Briefe. 3.170, 3.218, 3.406. 162 4 sind, bis zu Hartmanns Tode. Persbnliche Besuche und literarische Korrespondenzen und Beitriige erfolgen nicht selten. Es ist anzunehmen, daB Hartmann lm Umgang mit dlesen Vertretern der Dorfgeschichte dem Gedankengut und den Intentionen der Gattung nahergekommen ist. In jungen Jahren, um 1845, hatte er ohnehin auch in seiner vormhrz- lichen Lyrik, die seinen Ruf beim Publikum begrUndete, 5 Interesse fUr vblkische und regionale Stoffe gezeigt. Stellt sich Hartmann in dieser frtlhen Dorfgeschichte aber einseitig auf Seiten der Landbevblkerung? Propagiert er das Landleben liebevoll als heiles Dasein? Vermag er darin Helden auBerhalb der Sphare der Verzwelflung anzu- siedeln? Besteht die Mbglichkeit zur Weltflucht auf das Dorf? Auf diese Fragen soil die folgende Analyse Antwort geben und gleichzeitig einen Vergleich mit elner Dorfge schichte Auerbachs lelsten. Zur Gegentiberstellung ziehen wir Lucifer heran, eine von den Schwarzwellder Dorfge- schichten, mit welchen Auerbach ab 1843 der Dorfgeschichte zu einem derartig aufsehenerregenden Durchbruch beim deutschen Publikum verhalf, daB er sich, obwohl das nicht 4Vgl. Wittner, Leben. I, 129, 149; 11,489, etc. 15 Vgl. "Bbhmische Elegien" und "Die bbhmischen Bauern", Werke, I, 56-71. 163 den wahren Sachrerhalt wldersplegelt, in den Ruf des SchBpfers der Gattung brachte.6 Rebellion Maohen wir uns zunttchst nit den Fabeln beider Erztth- lungen rertraut: Lucifer Pfarrer einer kleinen Landgemeinde wird durch einen jUngeren ersetzt. Die Geneinde, unter Leitung des begUterten Bauern Luzian, protestiert werge- bens. Bin rerheerendes Unwetter verniohtet die Aussaaten der Bauern. Der zelotische Pfarrer legt das in seiner n&chsten Sonntagspredigt als gerechte Ahndung fUr Ver- schulden der Dorfbewohner aus. Luzian unterbricht die Predigt und werwehrt sich gegen solches Ansinnen. Die schwelende Feindschaft svischen Luzian und den Pfarrer geht danit in offenen Konflikt Uber. Die folgende Ex- konaunikation Luzians und das Intrigieren des Zeloten bringen die Dorfgeneinschaft auf des Pfarrers Seite. Der einst allerorts beliebte Bauer verscherzt sich die UhterstUtzung der venigen Terbliebenen Anh&nger, als er seine zunehnend ketzerlschen GedankengKnge ungendtigt preisglbt. Nur die Familie bleibt den Bauern getreu. Vachden es sogar zu Handgreiflichkeiten zwisohen Luzian und den Pfarrer gekonaen 1st, nuB Luzian sich beugen. Uh seiner sterbenden Schwiegermutter klrchliohen Beistand In der Todesstunde zu erbitten, muB er den Veg zun Pfarr- haus antreten. Den ttttlichen Angrlff auf selnen Feind hat Luzian nit einer l&ngeren GefUngnishaft zu sUhnen; sobald die Strafe werbUBt 1st, wandert Luzian nit selnen AngehBrigen naoh Anerlka aus. Der Pfarrer wird als Rektor an eln Seninar wersetzt. In Original der Dorfgeschichte erweitert sich diese Fabel auf ca. 135 Seiten. Der Unfang von Hartmanns ^Vgl. V. Reha, "Dorfgeschichte1 * in Realle*|k<j«} dff deutschen Literaturesaohlchte. 1. Aufl. (Berlin, l§25/26). 164 "Der Krieg urn den Wald" ist demgegentiber mit etwa 175 Seiten um mehr als ein Sechstel lhnger. Trotzdem kommt von Auerbachs Dorfgeschichten Lucifer der L&nge nach Hartmanns "Krieg" mit am n&chsten. Der Hauptanreiz, gerade Lucifer zum Vergleich mit demTCrieg" zu w&hlen, ist aber nicht so sehr im vergleichbaren Umfang als in mancher Ahnlichkeit der Situationen begrtindet. Die Fabel der Hartmannschen Erzhhlung l£U3t sich folgendermaBen raffens "Der Krieg": Bin ausgedehnter Wald 1st lebenswichtige Einkommens- quelle einer kleinen bbhmischen Gemeinde. Ubergriffe der Bewohner des Nachbarorts bedrohen diese 7ersorgungsgrund- lage. Nach dem Fehlschlagen eines Versbhnungsversuches beschlieSen die Bauern bewaffnete Verteidigung ihres Waldes. Die Nachbarn wissen sich unter fhhigerer Leitung jedoch weiterhin unbeschadet zu bereichern. Die Erbitterung der Bestohlenen benutzt Peter Buresch, ein Wilddieb, fUr seine Plhne. Unter seinem Kommando wird die Gefahr fUr den Wald in einer blutigen Auseinander- setzung beseitigt. Buresch gibt sich mit diesem Erfolg jedoch nicht zufrieden, sondem ftthrt die Bauern zur Revolution; weltliche und geistliche Herrschaft sollen beschnitten, und die G-tlter an die Bauern verteilt werden. Richter Mika ist der AnfUhrer der habgierigen Nach- bargemeinde. Sein Sohn und seine Tochter werden als Geifieln von den Bauern Bureschs festgehalten. Der Richter verspricht, falls sein Sohn geschont wtirde, keine Hilfe von der Regierung in Wien anzufordem. Doch ersucht er lnsgeheim durch die Vermittlung von Jesuiten um das Ein- greifen der kaiserlichen Truppen, an die bislang das geraubte Holz verkauft wurde. Des Richters Versprechens- bruch wird ruchbar und, spater, auch Liduschka, seiner gefangenen Tochter, hinterbracht. Aus Furcht um das Leben ihres Bruderaverfhllt sie dem Wahnsinn. Sie ztlndet schliefllich den Wald an und verbrennt darin. Nach dieser Eln&scherung stehlen sich viele Dusch- niker Mfinner heim. Mit geschwhchter Truppe mufi sich Buresch von seinen Eroberungen zuletzt auf das Dorf zu- rlickziehen. Hierher ftlhrt Mika kaiserliche Truppen, um 165 selnen Sohn su retten. Dleeer 1st jedoch lttngst Ton den Duschniker BUuerinnen freigelassen vorden. Buresche Truppe kapituliert. Verraten Ton einea Neider, dea elnst entthronten ursprttnglichen AnfUhrer der Bauern, wird Buresoh In eelnea Versteck gefangen und ansohllefiend gt- hhngt. Alle waffenf&hlgen Manner der (legend, Ohteohorer vie Duschnlker, werden swangsrekrutiert und abtranspor- tiert. VOllig reramt aUssen Richter Mika and Buresche Verr&ter sua Bettelstab greifen. Brlebnls und Echo - Bekenntnl* und Anijegen (Per 3toff) Mit alien Binschrttnkungen lessen sich die beiden Brskhlungen durch rigorose Vereinfachung im Orunde auf eln Scheaa brlngen: beide vachsen heraus aus der Situation der Rebellion. Velche stofflichen und aotivlichen Eleaente bauen nun die Schenata auf, bzw. entfalten sich umgekehrt an lhnen? Moritz Hartaann rerlegt die Handlung seiner firzfthlung In die "ersten Regierungsjahre der Kaiserln . • . Marie Theresia", genauer gesagt, In "den Frtlhling des Jahres 1744” (4). Obwohl das Gesohehen daalt um etwa eln Jahr- hundert vor Hartmanns elgener Lebensseit angesetzt ist, verdankt "Der Krieg" Hartaanne persdnllcher Uavelt und selnea Erleben offenbar manche Anregung. Der Leser erfkhrt, dafl die DtJrfer, die sich zerstreut, nordttstlich von der k.k. Bergstadt Prjibraa, voa Dubnaberge aus Uber den Honola- vald hinunter . • • und ttstlich der Prager Strafie hin- ziehen, . • . der Schauplatz 166 der Erzahlung sind (3f)» Eine von dlesen kleinen Qrt- schaften ist Hdas zerrissene, arme Dorf Duschnik", zu dessen literarischer Topographie Hdas dumpfe Klopfen der EisenhMmmer und der ewig aufsteigende Rauch der Silber- schmelzhUtte" gehoren (4). Nicht zufhllig mutet diese Beschreibung beinahe identisch mit der von Hartmanns Geburtsort an: auch dessen Heimatdorf tragt ja den Namen Duschnik! FolgendermaBen beschreibt Hartmanns frtLhster Biograph Neumann "das kleine bbhmische Dorf": Es liegt mitten im Walde, in der Nahe der grofien Silber- gruben von Przibram und der vielen Eisensch&chte des mittleren Bdhmens, und ist eingehUllt vom Rauohe, der aus den SchmelzhUtten, Hochiifen, Bisenhfimmern, zahllosen Meilem usw. rund herum aufsteigt.7 Nicht alle Zutaten aus der persdnlichen Erfahrung sind dermaBen handgreiflich. Aber legt es sich bei der folgenden LektUre von Hartmanns Biographie nicht nahe, an einzelne Begebenheiten aus "Der Krieg" zu denken? In die Zeit der Kindheit fiel ein Ereignis, welches die Phantasie des Kindes lange besch&ftigte. Es fand ein n&chtlicher Einbruch in das Haus der Eltern statt; die darauffolgenden Haussuchungen, die Verdhchtigungen, die Schlechtigkeit derer, die das Verbrechen h&tten strafen sollen, lieflen ihn einen betriibenden Blick in das Leben thun. Besser wirkten die das Ereignis begleitenden Ubrigen Umst&nde, die pliJtzliche Bewaffnung des Volkes, welches mit Heugabeln und anderen Waffen zur Httlfe herbeieilte usw. auf die lebendige Phantasie des Znaben. (Neumann, 3.9) 7 W. Neumann, Moritz Hartmann, eine Biographie. (Cassel, 1854), 3.8. 167 Vi* In der Geschlchte veruraacht hler eln Raub alles Auf- aehen. Und zumindeat zur Bewaffnung dea Volkea findet aich in den Beachreibungen der Erztfhlung eine Far allele. Ea heiflt In "Der Krieg" vor Beginn der felndlichen Auaein- andersetrungen: . . . da atand achon Kinnich an der Spltce einer groSen Scha&r von Bauern, die a&mmtlich alt Waffen aller Art, Heugabeln, alten SpleSen, S&beln und Feuergewehren aue- gerUatet varen (16). Leider ateht kelne Handhabe zur ttberprlifung aller Neumannachen Angaben zur VerfUgung. In der Tat beaaS Hartaanna Vater elnen cog. Eiaenhaaaer (vgl. Wittner, Leben. I, 8). Der Biograph gibt kelne weitere Rechen- achaft Uber 8eine Quellen; nur weiet er elnaal auf eine lkngere Bekanntachaft mit Hartmann bin. Die Biographle let zeltlich nach NDer Krieg" eraohienen (1854), wenn auch bald danach; ea v&re alao lamerhln denkbar, daS Neumann beim Abfaasen der Biographle den elnen oder an- deren Seitenblick In die ErzMhlung gevorfen und zur Bele- bung aelner Daratellung elnlgea von dort vervandt hat. Die Gtefahr einea aolchen Zurechtatutsena lat bei der Angabe von elnfachen Lebenadaten ziemlloh auageaohloaaen. 3a lat nicht aohver, auch von dleaen aua vleder auf eine atoffllche Anregung zu atofien. Hartmann beauchte ala JUngling "vler Jahre lang die Kloaterachule der 168 Piaristen-Monche" in Jung-Bunzlau und "brachte den grUBern Tell des Tages im Kloster zu" (Neumann, 3.9). Sollten nicht die eingehenden Beschreibungen des Klosters Oborschischt und seiner Bewohner von den Jugenderleb- nissen an diesem Ort bereichert worden sein? Es ist jedenfalls auffhllig, daB Hartmann gelegentlich dieser Beschreibungen die lhngste der wenigen Reflexionen ein- schiebt, die noch dazu voller sarkastischer Spitzen ateckt. Sollten sich hier einige sp&te Ressentiments Luf t verschafft haben? Freilich konnte die Abfhlligkeit dieser verallge- meinernden Kommentare Uber den Orden Jesu auch auf ak- tuellere Anreize zurUckgehen. Neumann berichtet, daB die Fertigstellung der Erzhhlung in Qenf stattfand, mithin nach 1848, w&hrscheinlich um 1850 (S.19). Der Dichter hatte gerade die politischen Wirren der Frankfurter Nationalversammlung Uberstanden. Dort war er als Depu- tierter Mitglied des links-radikalen FlUgels gewesen. In der Wiener Oktoberrevolution hatte er mit auf den Barrikaden gekfiunpft und war eingekerkert worden. Die Rolle der katholischen Kirche und der JeBuiten in diesen Auseinandersetzungen mag ihn vielleicht zu der Sch&rfe seiner Betrachtungen Uber den Orden verleitet haben. Zumindest darf man wohl annehmen, daB die turbulenten Erlebnisse der miflgluckten Oktoberrevolution und der 169 vielen ausgestandenen Verfolgungen manche HindrUcke vermit- telt haben, wenngleich diese Eindriicke flir den "Krieg" Q poetisch umgesetzt worden sind. Die sozial-liberalen Anschauungen der Zeit, die Hartmann mitverfocht, scheinen gelegentlich bei der Figur Peter Bureschs Pate gestanden zu haben. Zweifellos wird man bei manchen stofflichen Elementen kaum jemals eindeutig entscheiden konnen, ob sie wirklich aus dem persbnlichen Erleben des Dichters stammen. Gleiches gilt fiir die Herkunft von aktuellem Gedankengut der Zeit, das in Dichtungen einflieBt. Immerhin liefi sich jedoch an einigen Details wahrscheinlich machen, dafi Hartmann von Gegebenheiten, Vorfalien und geistigen Stromungen der Zeit Anregungen flir seine Erz&hlung nahe- gebracht wurden. Obschon Hartmann seine Erzahlung als eine "Historic" bezeichnet, wirkt der EinfluB stofflicher Elemente aus dem Q Vgl. u.a. Kap. XI u. XII: In der Rolle der Nieder- schlagung eine8 Aufstandes hatten sich die Kroaten erst zur Zeit der 1848er Revolution wieder als bewShrte Sttttze der Wiener Reaktion erwiesen. Unter Jellacic unterwarfen sie die aufstandischen Ungam. Als Windischgrhtz' Heifer zerschlugen sie die Wiener Oktoberrevolution, in deren Verlauf Hartmann selbst mit ihnen in GefechtsberUhrung geriet. fWerke. X, 51-60). 170 historischen Bereich unbedeutender gegenttber denen aus den persdnlichen, zeitgeschichtlichen und regionalan. Zvar benerkte ain Erltlkar Ubar dan "Krieg"* Ca aont das scenes authantiqua da la guerre da Sapt ana, aninees d'una Tie Intense, reaarquable par }a netteti at la ririti du dessin, alnsi qua par lfeclat aaboureux das d&cors enprunt&s au pays natal da l'autaur. La ^souvenir da la patrie avait bian lnsplri la poete.9 Bs 1st indes kaun vonnbten, hier, via Marchand, dan SiebenjtUirigen Krieg zu beatihen. Xndessen 1st die An- nahne berechtigt, dad naban dar angestannten Landachaft auch die heiaatliche Tradition dan Dichter inapirierte. Das AuBenbild vurde ait Whldern und Dbr/ern, Bisenhltnaern und Schnelzhtttten bestUckt, und das bbhaische Aron vurde durch Naaan greifbarer gaaacht. Aus dar Vergangenheits- tiefe ergknzend, klingt auch das Gedkchtnis dar huasi- tischan Glaubenskkapfer mehrfaeh an, Binaal greift die Erzkhlung dirakt ain historisches Braignis axis diasan Kknp/en au/. Bs heidt ia zehnten Kapitel: Auch Ziska kehrte ait sainan Taboritan • • * iaaar viadar nach Tabor zurtlck, und alia seine groden gavaltigan Kriegsztlge sind via Aus/klle la grbderen Madstaba aus seinea Lager zu Tabor (155 ^Alfred Marchand, Lea Poetea Lyriauas da L'Autriche, (Fariai Charpentiers, 188o), 3.64, 10Nach daa Groden (1956), hand elt as aich bai dan Taboritan ua aina rad1kale Gruppa dar Hussiten, die urn 1400 in dan sog. Bbhnischen Brttdern au/gingen. Ziska (1570*1424), ain tsohechischer Ritter, var ainar ihrer badautandstan Ftihrar, dar salbst Kaiser Sigisnund basiagta. 171 Im allgemeinen treten aber geschichtliche Stoffe in der Erzhhlung nicht hervor. Der geringftigige Anteil historischer Elemente sun Gesamtstoff des "Kriegs" let einer der Faktoren, die gegen eine Klassifizierung als historischen Romsui sprechen. "... beglaubigte ge schichtliche Personlichkeiten"^, ein Kriterium des historischen Romans, fehlen anscheinend vbllig. Der Er- zahler aufiert sich zur Geschichtlichkeit des "Kriegs" im Epilog und vemeint dort die Historientreue mit den V o r - ten: Das ist die sonderbare Geschichte eines Bauemkriegs . . . von welchem so wenig Urkunden sprechen, dafi ein gewissenhafter Geschichtsschreiber Oder Leser sie nicht zu glauben braucht (176). Die Projektion der Handlung in die Geschichte ist demnach lediglich eine artistische Manipulation— wombglich, urn dem Bdhmen, der selbst gerade eine Revolution Uberstanden hatte, die ndtige Distanz zu seinem Gegenstand zu gew&hren. Vielleicht hatte der Dichter dabei mit im Sinn, auf die zeitlose GUltigkeit der Aufstands-Situation hinzulenken. Auch Anspielungen auf die literarische Tradition scheinen nicht allzu hhufig. Einzig ein Vergleich von Mikas Gang nach Duschnik mit Priamus Gang zu dem Peleiden hebt sich heraus. Wie einst auf Prieunus fhllt auf Mika llMHistor. Roman", Reallexikon. 1. Aufl. 172 das Lob, ua dss Sohnes vlllen bela Feind anpochen su aUssen (116). Vlelleloht alnd ttbsrdiss no oh in die ZUge der Zlgeunerln Lunetta Substrate aus dea llterarlsohen Brbe eingegangen. Besonders In der Tanzssene selgt sioh die Blgenart des ZlgeuneraMdohensi Melancholic und Bkstase, hingebungsTolle Llebe und exotlsche Wildheit. Bs 1st eine sutiefst roaantische Flgur alt Fazetten Ton Eichendorff- schen und anderen roaantlsohen Mhdohen- und Frauen- gestalten (Ahnung und Qegenwart. Maraorblld. Durande: Elelsts Kttthchen). MtJglich, daf auoh die Vagabonden und Zlgeunergestalten Lenaus Hartaann inspi- rlert haben. Marchand etwa betont, dafi Lenau " • • • le naltre, le aodele principal de Hartaann" gevesen eel. Oewifl waren ua 1850 die Jugendeindrticke, zu denen die Be- gegnung alt Lenau rechnetc, noch frischer als zur Zelt des Bntstehens der aelsten VoTellen. Aber auoh nloht- llterarlsche Modelle aBgen Hartaann fUr Lunetta vorge- schvebt haben; Ton jeher hat es ja in Ungam und Bbhaen Tlele Zlgeuner gegeben. Die Oestalt der Lunetta ktfnnte also wlederua Blndrtlcke vldersplegeln aus dea persttnllohen Brleben Hartmanns, der SphMre, die— neben der aktuellen— 8toff11ch fllr den "Krieg" aa ergleblgsten gevesen su seln schelnt und die ebenfalls den dorfgeschlchtllchen 12Poetes. S.142. Schauplatz und Bntvurf nahelegte 173 Abweichend von Hartmann l&Bt Auerbach die Ereignisse dea Lucifer in seiner eigenen unmittelbaren Gegenwart, n&mlich im Jahre 1847, ablaufen. Das ist just das Jahr, in dem er die Dorfgeschichte beendet. Besonders unter solchen Umsthnden iat nicht vervunderlich, daB auch Auer bach manches stoffliche Dekor seiner Novelle aus Jugend- erinnerungen und heimischer Topographic schdpft. Die Untersuchungen kdnnen hier im Vergleich zu denen ftir Hartmanns Erzahlung kurzgefaflt werden, da von der For- schung schon fester Grund gelegt ist. Es ist bekannt, daB Auerbachs Schwarzvalder Heimatort Nordstetten in seine Dorfgeschichten eingegangen ist. Der Dichter selbst schreibt in einem Brief liber das Verhfiltnis seines Geburtsortes zu den Schw&blschen Dorfgeschichten; "Nord- 13 stetten kommt zum ersten Male in die Literatur". Wenn es noch eines weiteren Beweises bedlirfte, whren auch die h&ufigen Erklhrungen schwhbischer Gebrhuche ein Hinweis darauf, daB der Lucifer dem Erleben (des Schvraben) Auerbachs mannigfaltige Anregungen verdankt. ^Brief v. Januar 1842, zit. bei Hermann GlUck, Per Dlalekt in den Dorfgeschichten Berthold Auerbachs, (fiiss. tUbingen, 1914), S.5$. 174 Das ist auch spUrbar in der Schicht religibs- philosophischer Motive. Be ist lfingst durch die Por- schung ermittelt, daB Auerbach den Spitznamen "Bauem- spinozist" nicht ganz zu Unrecht erhielt.*^ Auerbachs eigenes Buch Uber Spinoza und seine Parteinahme flir den Philosophen und dessen Lehre in Aussprtichen und Briefen haben vemiutlich zuerst den Bxick auf die Spuren Spinoza- schen Gedankenguts im Lucifer gelenkt. Spinozas philoso- phisches System besitzt die Eigenart nahezu aller pan- theistischen Weltanschauungen: es verschmilzt Philosophic und Religion in eins. Im AufspUren Spinozascher Gedanken rUhrt die Untersuchung folglich zugleich an eine Stoff- schicht religidser wie philosophischer Art. Hier ist kaum der Platz, die Piille der stofflichen Pragungen Spinozascher Art im Einzelnen anzuftthren; Emil Roggen hat letzlich schon recht wenn er, selbst etwas landlich- prosaisch, schreibt, daJ3 Luzian "mit spinozistischen 15 Sentenzen nur so um sich wirft". Die Parole Luzians, "Gott ist Uberall . . . H (S. 196) ist— zum mindesten dem Sinne nach— in dieser Dorfgeschichte tats&chlich Uberall. AuBer in den Reflexionen, Monologen und Dialogen Luzians ^von Georg Brandes, in Deutsche Personlichkeiten. (Miinchen, 1902), S.99f. ^ Dle Motive in Auerbachs Dorfgeschichten. (Diss. Bern, 1913), S.69. 175 konzentrieren sich die Fossile des Spinozaschen Systems besonders in der Gestalt des Amtmanns. Im Komplex der Glaubens- und Gewissensfreiheit ver- bindet sich die religios-philosophische Stoffschicht noch eng mit der Schicht aktueller Problems der Zeit. Selb- sthndiger erscheint die letztere im Gewande politischer, kommunaler und privater Angelegenheiten— wie etwa in Fragen der Steuer, des Versicherungswesens und der Wahl der Gemeinderats-Mitglieder. AuJ3er diesen Uberwiegend konventionellen aktuellen Einschlttssen finden sich auch solche ausgesprochen individuellen Charakters. Der Er- zhhler weifi Uber Luzians Lieblingslektiire zu sagen: "Ein Buch besonders war es, das ihn mhchtig anzog und Uber das er viel sprach: es war das Leben Benjamin Franklins und dessen kleine Aufshtze." (259) Urn schon einmal auf strukturelle Merkmale der Auerbachschen Dorfgeschichte vorzugreifen: der Stoff steht bei diesem Beispiel im Dienste einer Vorbereitung auf die Ldsung der ErzShlung: Luzians Auswanderung in das vermeintlich paradiesische Amerika. Ebenso verhh.lt es sich mit einer anderen Er- %rahnung Amerikas. Der Stadtamtmann erzhhlt Luzian zu dessen Vervunderung, daB . . . in Amerika die wahre Religionsfreiheit herrsche, indem es dort gestattet sei, zu keiner Kirche zu gehbren, 176 oder sich eine beliebige neue zu gestalten (245). Wir wissen von Auerbachs privater Bewunderung fUr Franklin und von seiner eifrigen LektUre der kleinen Aufs&tze und der Biographie des amerikanischen Staats- mannes.^ SchlielBlich hat Auerbach auch fUr die Vereinig- 17 ten Staaten selbst groBe Sympathien gehegt. Er ver- traut lange Zeit darauf, daB sich in den USA viele seiner eigenen utopischen Traume verwirklichen wUrden oder schon verwirklicht hhtten. (Die derzeitige Religionsfreiheit in den USA ist ihm einer der Anhaltapunkte fUr dieses Zuvertrauen.) Es ist auffhllig, daB Auerbach hier zweimal stoffliche Elemente einfUgt, an denen er selbst im eigenen Privat- leben groBes Interesse zeigt. Es ist kaum Uberspitzt zu behaupten, dafi derartige Verbindung zwischen privatem Anliegen und stofflichen Elementen ein vorstechendes Merkmal des Stoffes im Lucifer ist. Auerbach war ein ak- tiver Anhhnger der Weltanschauung Spinozas. Elemente eines Pantheismus Spinozascher Provenienz aber machen einen Gutteil des Stoffes aus. Sie durchdringen und modifizieren die Dorfgeschichte Uber weite Strecken. ^M. J. Zwick, Barthold Auerbachs sozialpolitischer u. ethlscher Llberallsnrus. (Stuttgart, 19^3) t s.114. ^Zwick, S.113ff» insbesondere S.117. 177 Eine Kopplung mit eigenen Anliegen scheint, bewuiBt oder unbewuBt, eine grofie Rolle in der Stoffwahl von Auerbachs Lucifer gespielt zu haben. In mancher Hinsicht wirkt die Brzahlung wie ein Bekenntnis Auerbachs. Der Stoff von Hartmanns "Krieg" lafit sich kaum auf einen &hn- lich vorwaltenden Nenner bringen. Die Kritik am Treiben der Preimaurer und der Jesuiten lfifit wohl voriibergehend ein Hartmannsches Anliegen erahnen, in der Darstellung des Klosters Ubertreibt er--aber im Ganzen seiner Dorf- novelle sind diese stofflichen Partikel von minderer Be- deutung. Dem zu verzeichnenden politischen Bestand wohnt keJLne einheitliche Richtung inne. Hartmanns Stoff ist allgemeiner Natur— auch wo er politisch ist; soweit er aus privater Sphare stammt, hat er in der Verwendung seinen privaten Charakter verloren und ist poetisch um- gesetzt. Er ist ein gelegentliches Echo persdnlicher Er- fahrungen~das aber in sich selbst beruht. FUr beide Erzahlungen lieferte also die Erlebniswelt der Autoren selbst Groflteile des Stoffes. Sie inspiriert die dorfgeschichtlichen Proszenien. Aber ein erheblicher Unterschied tut sich in der Auswahl, Benutzung und Ver- arbeitung auf. FUr HDer Krieg" ist des Autors Leben kaum mehr als eine Quelle; fur den Lucifer liefert es zus&tz- liche MaBsthbe und Wertsysteme nicht-hsthetischer Natur, 178 die sich umformend Uber andere Stoffelemente ausbrelten. Sollten dlchtungstheoretische Standpunkte der belden Schriftsteller die HintergrUnde fUr die verschiedene Auslese und Verwendung des Stoffes aufhellen? Leider sind die bereitstehenden AuskUnfte Uber die poetischen Ansichten Auerbachs und Hartmanns huBerst mager. Zwick schreibt in der Zusammenfassung seiner Studie Uber Auerbach: Als Dichter legte er . . . mehr Gewicht auf das Ethische als auf das Poetische. Er betrachtete die Dichtung ale Mittel, die Menschen sittlich freizumachen; sie zu be- lehren war sein Ziel. In diesem Sinne w&re Auerbach ein Dichter-PUdagoge zu nennen.18 Auerbachs ethische Orientierung wurzelt im umfassen- den System von Spinozas Pantheismus. Falls er erziehen will, ist es plausibel, daB er Normen aus diesem System in seine Schriften einwirkt. Beinahe sSmtliche Vorf&lle der Dorfgeschichte scheinen in Assoziation mit dem religibsen Konflikt. Die Wahl des Stoffes fUr den Lucifer st&nde mit dem poetischen Wollen Auerbachs, wie Zwick es interpretiert, und unseren Ergebnissen im Einklang. Bei Hartmann scheint keine solche tfbereinstimraung ersichtlich. Allerdings ist die Information Uber seine ^Zwick, (vorletzte Seite der Studie). 179 ftsthetischen Abslchten in der fraglichen Schaffensperiode sporadisch. Im Motto zu seinem ersten Gedichtband hatte er Kltte der vierziger Jahre bekannt: • • • ich « « • Grlaube an die fleischgewordnen Worte, DaB Gedanken werden zur Kohorte Und jedwedes Lied ein heilig 3 c h w e r t (V e r k e , I, 2) Federkrieg fUhrte mancher vormfirzliche Poet mit seinen Gedichten. LieBe Hartmanns Motto nicht dasselbe erwarten? In der Tat enthielt die erste Sammlung seiner Lyrik polemische Verse, aber keineswegs verlegte sich Hartmann diirchgehend auf eine aktivistische Stoffwahl. Seither verstrich der Vormarz und in der "Reimchronik des Pfaffen Maurizius'* von 1849 (Werke, 11,3-153), einer Satire auf das Frankfurter Nationalparlament, hatte der Dichter seiner politischen Agressivitat freien Lauf ge- wahren kbnnen. Mit dieser chronikalischen AuslUftxmg der Ressentiments scheint er sich fUr die etwa gleich- zeitig entstehende Dorfnovelle sichtlich Freiheit u n d Abstand von politischen Ausbriichen verschafft zu haben. Stattdessen verrat das Eunstwerk den Anflug einer Hell- hdrigkeit fUr politische Zeitstimmung, deren Wider- spiegelung aber doch schon objektiviert und abgeriickt wirkt. Hartmanns Schaffen gemahnt hier an MaBsthbe historischer Natur, die er selbst an Verke der Bildenden 180 Kunst anlegt. Er auBert 1851, binnen Jahresfrist nach Erscheinen der Dorfgeschichte, alle Trefflichkeit eine3 Portrhtklinstlers aei nur gering zu veranschlagen, . . . wenn er es sich nicht bewuBt ist, dafi er zugleich Historienmaler ist, daB auf jedem Gesicht ein Schatten und ein Strahl seiner Zeit liegt, daB jedes Gesicht einen Theil der ganzen Chronik seines Zeitalters bildet. (tferke, III, 208) Herkbmmliche Portratmalerei pflegte sich ungeteilt den Menschen zum Sujet zu nehmen— wie die traditionelle Literatur, und unter deren Gattungen vornehmlich die der Anekdote nahe, seit Boccaccios Decamerone als Gesell- schaftsdichtung verstandene Novelle. Der KUnstler solle die Physiognomie seiner Epoche in sein Kunstwerk einver- leiben, erwartet Hartmann. Bei der Konzeption von ”Der Krieg” scheint er selbst eben diese Maxime befolgt zu haben: daher ein chronikalischer Abglanz sozialer StrtJ- mungen. Aber ein aktivistisches Pointieren wird kaum iq noch betrieben. Sollten asthetische Gesichtspunkte Hartmann davon abgehalten haben? Es bleibt abzuwarten, ob die Untersuchung der Motive und der grcSBeren IQ Ein Indiz fUr den Wandel Hartmanns, wenn schon nicht alleinstehend von hinl&nglicher Beweiskraft, ist das Leitwort, das er seinem 1851 erscheinenden Raise- tagebuch voranstellt. Das Motto, entlehnt von dem nach- Shakespearschen englischen Dramatiker John Pord, lautet: "Truth in her pure simplicity wants art . . . ” (Werke, 111,58). 181 Struktureinheiten Uber dlese Frage mehr Aufschlufi geben kann. Umsetzung und Tendenz (Die Motive) Es liegt in der Natur der Dorfgeschichte, dafi so- zialen Gebilden besondere Aufmerksamkeit zukommt. Es bietet sich deshalb an, die Motive, so weit als moglich, in ihrer Zugehorigkeit zu sozialen Bereichen zu behandeln. Bei einem Ausgehen von intimeren Gebilden gebtlhrt der Familie die erste Beriicksichtigung; zunehmend anonymere Institutionen schliefien sich an. Zur familialen Sphhre gehort das Vater-Sohn Motiv. In Auerbachs Lucifer taucht es verschiedentlich als Rand- motiv auf: Luzians instabiler und leicht beeinfluflbarer Sohn Egidi pendelt hin und her im Verh<nis zu seinem Vater. So kann das Motiv variert werden (3.180; 3.220). Das Vater-Sohn Motiv ist im Lucifer zugleich verkntlpft mit dem Topos der Undankbarkeit des Sohnes (137) und dem Topos des Erben— Egidi ist der abh&ngige und unfertige, leicht von aufien beeinflufibare Sohn; all seine Habe stammt vom Vater (192). Auch das Motiv der ausdauernden (treuen) Llebe kommt vor. Die Ahne und ihre Tochter halten durch alle Anfechtungen treu zu Luzlan; auch Bhbi 182 steht zu ihm. Dasselbe Motiv 1st noch einmal aufgenommen la Verhhltnis Bttbi-Paul, die alien FKhrnissen zum Trots schlieBlioh vereint werden: der Topos der Prttfung Liebender ▼or ihrer endgUltigen Vereinigung kommt in den Sinn. Aus der Sph&re der Familie hinliber in den gesamtge- sellschaftlichen Raum ragt das Motiv der illegitimen ttutterschaft, das hier als blindes Motiv venrandt isti im Argvohn, Bttbi sei schwanger, und in der Furcbt vor der "Schande”, bedrobt Luzian seine Toehter (3.167). Aus der umfassenderen sozialen Sph&re entspringt ebenso das stMndiaohe Motiv btiuerlicher F^tpaairigiriH t. Luzian ver- ficht sein Anliegen bis zum Verlust nabezu aller Anb&nger und bis zur GefMhrdung seiner Existenz (u.a. 3.189). Aus demselben Bereicb stammt das Motiv b&uerlicher Als Neuerer gerttt Luzian in das Pro und Contra alter und neuer BrMucbe; u.a. sind die Bauem nicht von den Vor- teilen der Versicherung zu Uberzeugen (3.136). Auch der Qegeneats Stadt-Lftnd kommt als Ftillmotiv kurz zur Geltung (S.48f); er wird im Lucifer allerdings nicht, vie so oft in anderen Dorfgeschichten, zum Gegensats Hatur-Zivilisation ausgeveitet. Politische Motive kommen nur am Rande vor— jedenfalls solche von eigener Wertigkeit. Die FUllmotive der Steuer- erhebung (3.132), der Modifikation der Gemeinderatswahlen 183 (3.133) und des Widerstrebens gegen iiinsetzung eines neuen Pfarrers durch die Regierung Bind nebenshchlich. Noch mit der politisch-sozialen Sphare verzahnt ist das Motiv der Kritlk an der kirchlichen Inatitution und deren Trhgern (3.172, 189, 212, 245, 256). Hieran grenzt auch der Inaulsltions-Topos (a la Galilei): Luzian leidet fUr seine tfberzeugung (S.255f). An auflerhalb unserer Einteilung stehenden PUllmotiven sind noch das Motiv des Dorftblpels (3.184), das Motiv der Kindtaufe (3.237) und das Motiv des Seelenkonflikts (Luzian)aufzuzhhlen. Die beiden letzten Motive sind— wie das Motiv des Konflikts mit den klerikalen Institutionen— in ihrer Durchftihrung vbllig Uberlagert. Sie kbnnen schwerlich Anspruch auf Eigenst&ndigkeit erheben. Vielmehr sind sie nur noch Unterformen der fttr den Lucifer grundlegenden 20 Motive des Sonderllngs und des rellglbs-phllosophischen Wahrheitssuchers. Von diesen beiden Zentralmotiven und dem Thema der pantheistisch-Spinozaschen Welteinheit iBt die Mehrzahl der iibrigen Motive durchdrungen und geprfigt. 20 Luzian betont sein AuBenseitertum in seinen theo- logischen Reflexionen. Er stellt fest, er sei jetzt ein anaerer Mensch, doch sei er "frtiher auch einmal so vie sie gevesen”. Zudem die Aussprllche des Landtagsmitglieds und des Amtmanns; u.a.: "Sie sind einer von uns". (Vgl. 3.213). 184 Insgesamt laSt sich Uber die Art der Auerbachschen Motive und die Weise ihres Gebrauchs im Lucifer fest- stellen: 1) Motive, die als typisch fUr die Dorfgeschichte anzu- sehen sind, tauchen auf, fungieren aber in der Mehr- heit als FUllmotive. Zudem sind sie keinesfalls haufig aufgegriffen. (Z.B.s rurbane Beziehungen, Widerstand gegen oktroyierte Pfarrereinsetzung, bhuerliche Hartnackigkeit und beharrendes Wesen des Bauern.21 2) Politische Motive sind bloBe Randmotive und auBerdem nur ganz sporadisch elngesponnen. (Steuerunmut, Eingabe, Modus der Ratswahl.) 3) Die Motive des Typus l) und 2) sind in Auerbachs Lucifer den beiden Zentralmotiven untergeordnet, und zwar: a) dem Motiv des Sonderllngs b) dem Motiv des rellgibsen Wahrheltssuchers (und Glaubenskampfers) 4) Alle Motive sind Uberlagert von der religibs- philosophischen Thematik, die in den beiden Zentral motiven kulminiert. Das gilt auch fUr die letzte mogliche Schematisierung und Reduktion der Handlung a\xf die Situation der Rebellion. Luzians Rebellion richtet sich gegen ein Uberkommenes religibses Vertsystem und den Druck, den dessen soziale Mani- festationen auf ihn ausUben. Einige der von Auerbach benutzten Motive finden sich auch bei Hartmann vor. Zum Beispiel trifft man ebenfalls auf das Vater-3ohn Motiv. Wie manche andere Motive ist es im Vergleich in Hartmanns Brzahlung reicher variiert; Vgl. W. Rehm, "Dorfgeschichte'', Reallexikon. 1. Aufl. "Ein stets unverhnderter Charakterzug des Bauera . . . seine starrkopfige Hartnackigkeit mit ihren traglschen Polgen, ein Motiv, das der wahrhaft psycholo- gischen Dorfgeschichte eines Keller und Anzengruber stets 185 dafflr 1st in srstsr Linle dls MehrstrMngigkelt der Hand- lung la "Krieg" verantwortlich. Dea einzelnen Bezie- hungspaar Luzian-Bgidi etehen die beiden Paare Peter Buresch-Der Alte vom Hammer und Zdenko-Mika gegentiber (71)* Bin Topoe reiht sich an das Yater-Sohn Motiv ant der vttterliche Auszug zur Brrettung des Sobnes (116). Zu— efitzlich kommt das Motiv der Oeschvlsterllebe vor (Liduschka-Zdenko). Dieses Motiv ist von strategischer Bedeutung, da es die Blndung zum Motiv dee Wahnslnns aus Rummer ua Angehdrige berstellt (Liduscbka, um Zdenkos villen). Das Motiv anhftnglicher Liebe ist noch elnaal benutzt im Verhbltnis Peter Burescb-Lunetta. Aufler dlesen Motiven der intlaen Sphfire verdicbten sich die sozialen Beziehungen auch in Motiven st&ndischen Cbarakters. Wiederum kristallisiert sich das Motiv bttuerlicher Hartn&cklgkelt heraus. Bs ist kennseichnend fUr lfindliche Lebensart, venn die auf dea Dorf aufffillige Pelerllohkeit des Sonntagsstaats betont wlrd (55* 115). Notoriscbe dbrfliche Piguren treten auf: der Dorfkantor (55)* der Scberenschleifer* der dbrfliche Quacksalber (13*14)* dea auch die Rolle dee bodenstltndigen Qeschich- tenerztLhlers zufbllt (98). Als Motive lfindlichen zum Mittelpunkt vird". 186 Brauchtums finden sich femer das abendliche Zusammen- treffen der m&nnlichen Bevblkerung in der Stube des "alten Richters” (4) und die Versammlungen auf dem Dorfanger (23). Im Gegensatz zum Lucifer w&chst im "Krieg” die dorfliche Gemeinschaft zu einer wichtigen Kraft heran. Buresch ist weniger persbnlich entwickelt als Luzian. Das dorfliche Kollektiv spielt eine Rolle nachst Buresch. Bs wird besonders vergegenw&rtigt in Motiven wie Volksauf- lauf und gegenseitiges Aufputschen, GruppenempiJrung und ZusammenstoS (vgl. 16, 24, 43, 166). Anhand solcher Szenen verrht sich, wie am Binzelbeispiel an Rosa in ”Dur und Moll", die Fhhigkeit des Novellisten, den motoriechen Sinnesbereich anzusprechen. Am Kollektiv zeigt der Dichter seine Gabe zum Setzen der rechten Striche urn Rmsigkeit, 22 Hast und Dynamik mitzuteilen. Das Motiv des Gegensatzes von Stadt und Land ist reicher entfaltet als bei Auerbach (7lf). Es ist noch inBofern individuiert, als Stadt mit Beamten und Herrschaft identifiziert wird. Beides zusammen, Stadt wie Beamten und Herrschaft, erscheint als das "andere” und dem 22 Vgl. a. Feigheit. Moskau u. Waterloo-Szenen; Marschall Brunes Ermordung in Werke, III, 112-117. 187 B&uerlichen Peindliche. So erfolgt etwa die Zerschlagung des bhuerlichen Aufstandes, der Abtransport aller Manner und Bureschs Bestrafung durch die Armee aus der Stadt. Seite an Seite mit der rurbanen Antithese ateht das Motiv des Gegensatzes von Arm und Reich; die armen Ortschaften k&mpfen mit Duschnik gegen Obtschov, dem sich die reichen Gemeinden anschlieflen; Buresch tr> Mika an, die Obtschover sollten im Verbande mit seinem Bauemheer gegen die reichen Herrschaften des Landes Krieg ftihren; der reiche Mika steht 3chliefllich im vermeintlichen Verein mit den aus der Stadt heranziehenden Truppen. Hier verwachsen Motive des standischen Gegensatzes schon mit solchen des Klassengegensatzes. Bin begrenzt standisches Schema ist noch einmal das Piillmotiv geistlicher Heuchelei (a la Blmer Gantry); es gibt das Modell fUr Pater Quirinus und manche andere Aussage Uber die Jesuiten. Das letzte Motiv reichte hinein in den Raum der religidsen Institution. Auf diesem Sektor ist mit der Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Hussiten auch das Motiv des konfessionellen Gegensatzes gestreift. Bs ist aufschluBreich, wie dieses Motiv, ganz im Gegensatz zur Verwendung bei Auerbach, bei Hartmann politisiert wird. Das Motiv des Gegensatzes von Arm und Reich wird nicht allein in standischen, sondern mehr noch in 188 politisch-dkonomischen Bahnen entrollt. Ahnliches gilt fUr das Motiv der Befreiung von Besteuerung. Den revolu- tionfiren Anstrich beziehen diese Motive sfeUntlichst vom Zentralmotiv der Revolution, das vom Bintritt Peter Bureschs in das Geschehen bis zum Schlufi das Grundschema bildet. Aber auch wo dieses Zentralmotiv vorherrscht, sind nicht alle Motive der Politisierung g&nzlich unter- stellt. Lhndlicher Modus der Weltbegegnung und Vor- stellungswelt bleiben oft gewahrt. Das Vieh spielt eine Rolle beim offenen Konflikt (65) und der Siegestaumel ergieBt sich bezeichnenderweise in Bewunderung der erbeuteten Milchtiere (67). Ausgenommen von der Politisierung bleibt weiterhin eine ganze Gruppe von Motiven, die sich nicht ohne weiteres den sozialen Sphfiren zuordnen lassen. Meist sind es Motive m&rchenhafter oder irrationaler Beschaffenheit. Das gilt selbstverstandlich in gesteigertem Mafle fUr nahezu alle Motive des eingelegten MSrchens, fUr deren Diskussion hier beim Vergleich nicht der rechte Platz ist. Aber das gilt ebenso fUr andere Motive. Brwfihnt 23 ^Motive u.a.: der Rrlbsungsaufgaben, der Banniiber- tretung, der ausgeschlagenen Liebe u. folgender Bestra fung, des Irregeleitetwerdens durch eine Hexe, der Fremd- landfahrt, der Recognition, der Jagd im Wald, der sprechen- den Tiere. Waldeinsamkeit und Waldhom sind SchlUssel- motive der Romantik. Vgl. Wolfgang Baumgarten, "Der Wal-d in der deutschen Dichtung", Reihe: Stoff- und sei hier das Randmotiv eines bedrohlichen Qrakela und dessen nachfolgendes EJLntreffen: der alte Magier Buresch sagt das HBngen eines Menschen voraus (Hynek-Ccilestinus). Erwahnt seien die aberglaubischen Weissagungen der alten Dorfweiber (113). Erwhhnt sei das Ftillmotiv des Auszugs der Tiere: die Flichse verlassen am Abend des Kriegsaus- bruchs den Duschniker Wald. Erwhhnt sei schlieBlich noch das Denkschema vom Geistesgestdrten als Werkzeug des Schicksals: Der tolle Honsik f&llt den Baum, der den Richter totet, und setzt damit die Maschinerie des Krieges in Gang. Dem Wahnsinn verfalien, ztindet Liduschka den Duschniker Wald an und bringt damit dieselbe Kriegs- maschinerie langsam wieder zum Stillstand. Dieser Wald- brand variiert eine typische Erscheinung der Dorfge schichte: das elementare Naturereignls. Liduschkas Hand- lung fallt hier zusammen mit einem anderen Schema, das sich im Laufe der Hartmannschen Novelle viermal wiederholt das Motiv der Brandstiftung (74: Duschnik, 149: Obtschov, 151: Wald, 177: Scheune und Haus Kinnichs). Bei Hyneks miflglUcktem Versuch Duschnik anzuztinden, verbindet sich das Motiv der Brandstiftung Uberdie3 mit dem Motiv der Rache (Mikas Rache an den Duschnikera). Motivgeschichte der'deutschen Lit.. ed. P. Merker-G. Lttdtke, (Berlin, 1936), IV, 56f. 190 Auch das Motiv der RUuberbande weist zwei Aspekte auf.*^ Es ist eineraeits politisiert: die Unternehmungen der RaubschtLtzen haben politische Richtung. Zum anderen findet sich aber ein ambivalenter Zug im Verhalten der RaubschUtzen: untereinander und besonders gegenUber Peter Buresch sind sie jeglicher BSsartigkeit und Machtprobe gfinzlich abhold. Stattdessen beweisen sie eine Treue, die an Altruismus und Aufopferung grenzt. Das Motiv der Ergebenheit apielt hier herein. Anderseits sind die RaubschUtzen gleichxeitig gegenUber AuBenstehenden und Peinden von roher RUcksichtslosigkeit und Kriegslust. Obwohl viel von der revolutionUren Substanz der Motiv- schicht vom Zentralmotiv des Sonderlings ausgeht, erschbpft sich dieses selbst ebenfalls nicht mit der politisch- revolutionhren Thematik. Bureschs mehrfache sonderbar epileptische Anwandlungen, sein geheimnisvolles Auftauchen und Verschwinden, sowie die unpolitische Seite seines RaubschUtzenturns greifen vielmehr in die magisch-patholo- gische Kategorie Uber. Das Grleiche gilt fUr Bureschs Vater. Der Alte vom Hammer reprasentiert ebenso wie sein 24 Dasselbe Motiv nimmt Ubrigens in Schillers Die eine zentrale Stelle ein. Schauplatz sind auch dort die biShmischen W&lder. Auch Moor geht es u.a. um Ver- nichtung der "Landjunker" und der Reichen. Selbst von der nachfolgend beschriebenen Ambivalenz finden sich Spuren. 191 Sohn den Typus des Sonderlings. Seine quacksalberlschen und nekromantlschen Unternehmungen machen Ihn selbst in den Augen der Duschniker zu einem Auflenseiter. Der letzten Motivgruppe halber ist Hartmanns Dorfge schichte kritisiert worden. A. Grand, die in E. Castles Deutsch-dsterreichische Llteraturgeschlchte den betref- fenden Abschnitt "Der Zeitroman" verfafite, glaubt, dafl "Der Krieg" eher eine Rauber- als eine Bauerngeschichte 25 ist. R. Latzke, ein Mitverfasser derselben Literatur- geschichte, der tibrigens die zusammenfassende Behandlung der Prosa Hartmanns ausfUhrte, spricht im selben Band im Kapitel "BChmen, Erzfihler" jedoch von einer "echten Dorf geschichte" (S.495). Solange die gegenwhrtige Definition der Dorfgeschichte, die eingangs erlautert wurde, GHiltig- keit besitzt, fallt das Werk des BOhmen zweifellos in diese Kategorie. Grand nimmt ferner Anstofl an dem erwhhnten Mhrchen. Da mit dem alten Buresch eine akzeptable Erzahlerfigur und mit der Gefangenenwacht eine ebensolche Erzhhlsituation vorgegeben sind, ist an sich in dem Marchen selbst kein abtrhglicher Teil des Buches zu erblicken. Und wozu sollte man das M&rchen an klassischen Mustern messen, wie 25(Wien, 1930), III,280f. 192 Grand will? Statt solcher Mafiat&be kam ea vlelmehr auf eine Vertr&glichkeit von MH.rch.en und Zuhttrerachaft an, und die iat mit dem bdhmiachen Schauplatz dea M&rchena erzielt. Grund vie Latzke hegen Bedenken gegen die romantiachen Spuren In der Dorfgeachichte. Unserer Spoche bedeuten weder Romantischea noch Realiatiachea an sich ein Wertur- teil. Allea kommt darauf an, wie die Elemente in daa Kunstwerk verschmolzen sind. Kritik iat am Platz fUr die erwtthnte Entetellung beim Bntverfen dea Jeaultenklosters. Sonat aber scheint daa Sturm und Dranghafte, das Latzke anmerkt, durchaua zum Jugendlichen, GHrend en und Rebel- lierenden dea Verkea zu pasaen; daa iat ein Tail der Einheit dieses Verkea. Latzkea Elnwand gegen das Zigeunerelement 1st teils berechtigt, bedarf aber noch ireiterer Qualifikation. Die SchwHchen im PortrHt dea Zigeunermftdchena acheinen Aua- flufi eines MerkmalB, daa die Heldinnen aller vier vor- liegenden Hartmannachen Schriften auazeichnet. Jewells findet sich daa inkomplette Eltemhaua. Lunetta verbleibt hinaichtlich ihrer Herkunft im Dunkein, wofttr auch ihre Rolle ala Zigeunerin nicht zu entachuldlgen mag. In den zeitllch nach dem "Krieg" entstandenen Novellen scheint der Sohriftateller die Ableitung seiner Prauengestalten 193 aus einem Hintergrund mehr zu beachten. Nichtsdestoweniger verbleibt ein Hang zum Beigeben eines waisenhaften Ur- sprungs. Therese aus "Dur und Moll" ist vaterlos, Marie aus "Die Glocke" und Helene aus "Feigheit" haben frUh 26 Elternteile oder die gesamte heimische Zuflucht verloren. Das Anlehnungsbediirfnis derartiger Charaktere und die somit von vomherein gegebene Eignung fiir Liebesge- schichten mag Hartmann zum haufigen Aufgreifen dieses Stereotype bewogen haben; vielleicht auch seine Anteil- nahme fUr ein solches Geschick. Wo die Liebesgeschichten zentrale Bedeutung haben, eignen sich dergestaltige Figuren. Das ist aber in dieser Dorfgeschichte nicht der Fall. In "Dur und Moll" und "Feigheit" wird ein Ubriges getan, indem die LUcke in der Familie okonomisch- sozial erkl&rt wird. Bei Helene spielt durch diesen Zug gelungen der soziale Wandel und der geschichtliche Hinter grund der franzdsischen Revolution in die Novelle hinein. Lunetta im "Krieg" aber verharrt zu sehr im Ungewissen. Motivlich begegnet in ihr eine Variation des Motivs des Sonderlings. 26 Halbwaise oder elternlose Geschopfe z.B. in "Miss Ellen", Werke, IV,257ff.; "Von FrtLhling zu FrUhling", Werke, VIII,333ff. usw. "Das Andenken der Mutter" gibt eine Parallelfigur zu Marie, vgl. Werke, IX,68. 194 Insgesamt bleten sich in Hartmanns Auswahl und Ge- brauch der Motive diese Linien: 1) Die Motive l&ndlicher Lebensart. Hierauf grUndet sich oft: 2) Eine Reihe von Motiven einer irrationalen, oft auf lhndlichem Aberglauben fuBenden Schicht. Diese Schicht ist relativ reich entfaltet und hat Eigensthndigkeit. Diese Schicht bildet ein Gegengewicht gegen: 5) Die Gruppe politischer oder politisierter Motive. Soweit diese nicht durch Motive der zweiten Art aus- balanciert sind, dominieren die politischen Motive Uber veite Strecken der Brzahlung. Motive, die als typisch flir die Dorfgeschichte gelten kbnnten, werden den politischen Motiven hhufig sichtlich unterge- ordnet und erhalten damit selbst einen politischen Anstrich. 4) Zentralmotive sind: a) das Motiv des Sonderlings b) das Motiv der Revolution Die grundlegene Situation der Rebellion erhalt bei Hart mann politisch-reforma¥orische Ztlge. Im spezifischen Verwerten des beiden Erz&hl\ingen zugmtndeliegenden Schemas der Rebellion finden sich bereits einschneidende Abweichungen, welche die Differen- zen im Gebrauch teils identischer Einzelmotive meist mit einbegreifen. Die Rebellion enfaltet sich bei Hartmann im Stile einer Revolution; sein Sonderling ist folglich vorviegend aktivistisch. Buresch ist nach auBen gerich- tet, die Gestalten seiner Umwelt miissen folgen. Die Rebellion in Auerbachs Lucifer ist hingegen zuallererst 195 lnnere Empbrung. Der Sonderling Luzian agiert vor allem innerlich, er sucht die religibs-philosophische Wahrheit in und aus sich selbat und seiner Natur. Erst wo man ihm das verwehrt, wird er kampferisch. Es ist bezeichnend fUr einen Sonderling dieser Provenienz, daO Luzian im Laufe der Dorfgeschichte einer tiefreichenden Wandlung unterworfen ist. Luzian entwickelt sich, Peter Buresch bleibt sich weitgehend treu. Es hat sich gezeigt, dafi nahezu alle Motive bei Auerbach eine Kodifikation in religibs-philosophischer (pantheistischer) Richtung erfahren. Vergleichsweise waren bei Hartmann manche Motive politisch—revolutionfir umgeprhgt. Zweierlei Unterschiede sind in der Durch- ftihrung jedoch festzuhalten. Bei Hartmann widerstehen eine ganze Anzahl von Motiven der Politisierung. Sie bleiben selbst&ndig und verleihen der Hartmannschen Er- zahlung besonders durch ihren irrationalen Charakter eine Schicht, die der Handgreiflichkeit und Eindeutigkeit entzogen ist. Da zudem der revolution&re Sonderling Buresch mit dem Leben Slihne leisten mufl, wird jeder Pro- jektion eines politischen Vorurteils der Boden entzogen: Tendenzibsitat ist abgedrosselt. Politische Thematik wird aufgegriffen, aber keine politische Zielrichtung hervorgerufen. 196 Demgegenttber sind die Motive bei Auerbach eher linear auagerichtet. Die Einheitlichkeit ist sehr betont und er- laubt schwerlich Totalit&t. Richtung schlagt hier urn in Tendenz. Wenn sich zu dieser Wirkung noch die Einsicht gesellt, da!3 Auerbachs eigene Anliegen sich direkt in manchen Motiven und in der Thematik reflektieren, lhBt sich der Eindruck der Ideologie nur schver abweisen. Es scheint zweifelhaft, daS die Motive insgesamt einer bestimmten Epoche oder literarischen Tradition zu- geschrieben verden kdnnten und damit "aus einem gleichen 27 Formwillen" herrUhrten. Das mutet sogar unwahrschein- lich an fiir das beiderseitige Lentralmotiv des Sonderlings oder das Thema der Rebellion: weder der Sonderling noch die Rebellion scheinen ein Monopol der Literatur des neunzehnten oder eines anderen Jahrhunderts. Hbchstens kdnnte man vielleicht unterstellen, dalB die Neuzeit haufigere literarische Bearbeitungen dieser Motive bzw. Themen mit sich gebracht hat als vorausgehende Epochen der deutschen Literatur. Soziale Kennzeichnung gegentiber landlichem Kolorit (Das Snrachgefilge) Es liegt in der Natur eines Wortkunstwerks, daS sich 27 Max Wehrli, Allgemeine Llteraturwissenschaft. (Bern, 1951), 3.145. 197 kleinere und griJSere strukturelle Einheiten nicht immer vbllig trennen lassen. So ist der Vergleich der Motive, da wo es urn ihre spezifische Anordnung ging, schon einmal in Fragen des Gefiiges vorgestoBen. Wird ein Mikroskop auf ein Gewebe gerichtet, so gibt es nur die scharf ein- gestelite Schicht genau wieder, verfaischt aber die dariiber oder darunter liegenden Gebilde. Ahnlich verhfilt es sich auch mit der Strukturanalyse. Nur die in der Zusammenschau und der richtigen Einstellung gemachten Beobachtungen sind verlMBlich. Im Zusammenhang des Ge- fUges soil in die Integration der Motive und des Stoffes der beiden Erzhhlungen genauerer Einblick gewonnen werden. Es versteht sich, daB auf das sprachliche GefUge nur ein Seitenblick geworfen werden kann. hie Dorfgeschichte hat hiniangliches Aufsehen erregt und manchen BinfluB ausgeUbt durch den Gebrauch von Dialekt. Das Wie und Warum der Dialektverwendung im Lucifer und im "Krieg" sollen nachfolgend kurz beleuchtet werden. Wie in anderen Dorfgeschichten Auerbachs findet sich auch im Lucifer die Aufnahme von Dialektbrocken recht haufig. Namen der landlichen BeviJlkerung sind meist mundartlich; ebenso Gesprache— die allerdings vielfach nicht durchgehend im Dialekt verbleiben. Die Erzahlung selbst ist hingegen hochdeutsch gehalten. Allenfalls 198 werden hie und da idlomatlsche Redewendungen eingestreut, um das Lokalkolorit der Gaschichte zu kr&ftigen. Mit Ausnahme der elngelegten mundartlichen Lleder haftet vielen dieser Dialekteinschaltungen ein Anflug von KUnstelei an. Sie wirken oft unnattlrlich und philologen- haft und schw&chen die Greschmeidigkeit der Erz&hlung — vornehmlich da, wo Auerbach Anmerkungen beigefiigt hat. Neben FuBnoten bedient er sich dabei einer anderen womog- lich noch stbrenderen Praxiss mitten im Text gibt er in Klammem neuhochdeutsche Ubersetzungen von DialektwiJrtem. Nur zwei Kostproben aus einem reichhaltigen Sortiment: MPeterling (Petersilie)", "sonst keit (wirft) man urn” (S.179). Haben sich die Leser des 19. Jahrhunderts dem Eindruck entziehen konnen, daB hier schlechtschaffen ge- klinstelt werde? Eine direkte asthetische Funktion der Dialektein- schlllsse lSBt sich im Lucifer nicht ausmachen. Lautge- treu ist die orthographische Wiedergabe der Mundarten nicht einmal annahemd. Eine Bemerkung Grllicks in seiner Untersuchung liber Auerbachs Dialektgebrauch in den Schwarzw&lder Dorfgeschichten trifft den Nagel auf den Kopf: Wo er (Auerbach) die Mundart verwendet, tut er dies so ungenau und namentlich so inkonsequent, daB der Leser, der auch nur die geringste Ahnung von schv&bischer Mundart hat, aus einem gewissen Unbehangen liber diese 199 eigentUmllche Sprachform gar nicht herauskommt (Dialekt. S.35). Man ontainnt aich der Tendenzlttsit&t im Bereich der Motive, denn dem SprachgefUge vohnt ja ebenfalls eine sielende Ausrichtung innex das Erzeugen einer schvarsvaldartigen Lautkulisse, velche mit der eigentlichen Sprache aher ehenso wenig zu tun hat, vie der Ton der Schwarzv&lder Uhr mit Origin&llauten des Kuckucks. Beidea ist eher auf das Brvecken von Reminiszenzen berechnet. Insgeaamt scheint sich die Verwendung von mundart- lichen Bigenheiten bei Auerbach in einer Zerschlagung der Blnheit von WBrtem, Syntax und Stil auszuvirken. Adequate Charakterisierung der Personen, des sozialen Niveaus der Sprecher und der landschaftlichen Kultureigen- heiten durch Arohalsmen, Verwendung spezifisoher Sprach- sohichten und Provinzialismen ist nicht erzielt. Im Vergleich zu Auerbach hat Hartmann sich beim Ge- brauch von Dialekt rigoros beschr&nkt. Direkte Viedergabe von Gespr&chen im mundartlichen Lautsystem 1st ganz ver- mieden. Nur gelegentlich versucht Hartmann durch syntak- tlsohe Umetellungen den hochdeutschen Charakter der Sprache abzuschvMchen. So sagt Peter Buresch in seiner Unterredung mit Mika: "Ich veifl • • . daB Ihr einige Eompagnien gegen mich kBnnt marschieren und mich h&ngen 200 lassen wie einen Hund . . . " (118). Statt offenkundigen Dialekts kommen vielerlei Provinzialismen vor; wie zum fieispiel: "... die Mlltze Uber die Ohren treiben" (9); "in vier Wochen wird unser Wald so durchaichtig sein wie des armen Mannes Korn" (10); "Hhndel einrlihren ..." (27) uew. VollstSndig mundartlich, und auch orthographisch so reprhsentiert, sind lediglich die Orta- und Personen- namen. Zdenko , Liduschka, der ein&ugige Slavik und Pepik Picard zum Beispiel tragen solche bdhmischen Namen. Die return1iche Markierungsfunktion der Sprache ist demnach in Hartmanns Erz&hlung auf Provinzialismen und Namen begrenzt. Allenfalls ist den Namen auGer der territorial kennzeichnenden zuweilen noch eine figurativ (rhumlich) heraushebende Funktion beigegeben. Der liebeskranke Kapuzinerbruder tr> aufler seinem heimischen Namen zu- s&tzlich den zweiten Namen Cdlestinus. Die Assoziation von lateinisch "coelum"— der Himmel— liegt nicht weit. Der Name des Helden der Erzfihlung, Buresch, ktfnnte sehr wohl mundartlich fUr "Bku(e)risch" stehen. Schliefllich wird auch das Zigeunermhdchen Lunetta (das Mbndchen) durch ihren fremdartigen romanischen Namen auff&llig. Lunetta hebt sich auch durch ihre sprachlichen Idiosynkrasien von anderen Gestalten ab. Sie spricht 201 mel9t In sehr unterthnigen, oft formelhaften Wendungen — etwa: M0 mein Gebieter und Herr! . . . Ich beschwdre dich, tbue dem guten Welbe kein Leld an!" oder NJa mein hoher Chan" (aechsmal wiederholt) (34). Dieae Idiosyn- krasien epielen schon hlneln In die gesellschaftllche Gliederung der Sprache. Das ttberwiegen bestimmter Aus- drlicke aus einer erkennbaren sozialen Sprachachicht oder einem Jargon identifiziert den Sprecher als AngehiSrigen einer Klasse oder eines Berufes oder Standee. Die Richter Mika und Strofl gebrauchen Wendungen aus der Rechtasprache oder Formeln aus der Bibel: "Aug urn Aug und Zahn um Zahn" (8); "Laflt uns ein Schiedsgericht nieder- setzen ..." (20); "... meinen Kontrakt kann ich einhalten— der tolle Honsik ist nicht zurechnungsfahig" (21). Buresch spricht im Jargon der Jhger: "... der SchweiB des Hirsches" (31); "Vogeldunst" (=Schrot, 30); "staupen" (34) etc. Die Mdnche schliefllich benutzen Lehnwdrter oder lateinische Floskeln: "in foramina fratres!" (145); "kathechesieren" (136); "Chronik, Archivar, profan, Superior, Refektorium ..." (134) usv. Zumeist etehen diese sprachlichen Besonderheiten im Dienste der Charakterisierung. Dialekt selbst, etwa in orthographischer Umschrift, findet sich also bei Hartmann nicht. Nur Auerbach greift zu diesem Werkzeug territorialer Identifizierung der 202 Sprecher; allerdings ist die Handhabung bei ihm vielfach sprachlich ungenau, unschbn und stdrend. Zur Lokalisie- rung des Sprechers in einem bestimmten rhumlichen Be- reich der Sprache bedient sich Hartmann lediglich der Namen und Provinzialismen. tfbrigens begntigen sich beide Schriftsteller bei der Namengebung der Charaktere ge- vdhnlich mit dem Vomamen— ein Fh&nomen, das Abwesenheit von sozialer Gliederung und Anonymit&t betont und sich wohl in den meisten Dorfgeschichten antreffen lassen wird. Hartmann bemliht sich in der Sprachstrukturierung urn soziale Kennzeichnung. Durch Nuancierungen der Sprache und Auswahl der Redegefiige aus bestimmten Wortebenen oder Sondersprachen beglaubigt er die Zugehcirigkeit der Ge- stalten zu gesellschaftlichen Klassen sowie St&nden und Berufen. Das Prinzip der sozialen oder st&ndischen (berufli chen) Variation der Sprache ist bei Auerbach nicht ge- wahrt. Man muB sogar vermerken, daB Auerbach dagegen verstbflt: Luzian ist zwar ein Sonderling, doch die Leichtigkeit, mit der er philosophische GedankenfUhrungen melstert, ist sogar flir einen Sonderling seines Kalibers nicht mehr glaubhaft. Der Ausnahmemensch Jakob Bbhme wird vom Bauem Luzian weit in den Schatten gestellt; denn ftir Luzian bestehen die Vortnot und die 203 terminologischen Schwierigkeiten nicht, mit denen der schleaische Mystiker lebenslanglich ringen muflte. Fillsgigke it gegenUber Blnhaiten A. Im Spiegel der Repr&sentationsformen Nur einmal hat Auerbach eine sprachliche Idiosyn- chrasie ala Charakteriaierung angewandt; das geschieht mit viel Finesse. Aus der JSbene der Lautgebung und Rede fligen sich im Wortkunstwerk die Repr&sentationsformen. Formelhaftigkeiten zum Beispiel kdnnen hier durchaus noch im direkten Zusammenwirken beider Schichten entstehen: die Formelhaftigkeit kann bereits eine ReprSsentationBform darstellen und trotzdem noch im Dienste linguistischer Personencharakterisierung stehen. Gerade so verhhlt es sich im Lucifer mit den Formelhaftigkeiten, die der Ahne von Auerbach in den Mund gelegt werden. Ob passend zur Gelegenheit oder unpassend, die eigenwillige alte Frau hat stets ihre Floskeln parat: "... mein Vater ist tod und der Kaiser Joseph ist vergiftet" (S.183), "... den Kaiser Joseph haben sie vergiftet ..." (S.240, ferner 227, 248 etc.). Die Formelhaftigkeiten betonen hier ZUge einer Gestalt: das hohe Alter der Ahne wird durch einen stilistischen Kunstgriff unterstrichen. In anderen Werken, besonders den literarischen Produkten des 204 Mittelalters oder auch der neusten Zeit (Thomas Maun), wird die Formelhaftigkeit oft zur Representationsform. Elndeutig die Beschaffenheit der Repr&sentationsform besitzen Bericht, Beschreibung, Dialog oder Gespr&ch, Reflexion, Einwurf und Vorausdeutung. Bericht und Be schreibung sollen hier nicht weiter ins Licht gertickt werden; sie sind in sprachlichen Kunstwerken so hhufig, daB man ihrer Analyse in Erz&hlungen von 130 bzw. 160 Seiten eine ganze Arbeit widmen mUBte. Nur in der Zu- sammenschau aller Reprasentationsformen sind sp&ter einige Bemerkungen zu Beschreibung und Bericht im Lucifer und in "Der KriegM zu machen. An ihrer Stelle erhalten Reflexion und Ubrige Reprasentationsformen hier etwas mehr Raum. Es liegt im Wesen der Reflexion. daB sie vielfach das Geschehen ausklammert. Man kann allerdings zwei Extreme unterscheiden. Da ist einmal die Abart, die eine lockere Verbindung zum Geschehen bewahrt. Sie wird in der Spezialgattung der Brieferzahlung oft vorkommen, wie z.B. in Max* Erdrterungen in "Die Glocke". In der gewdhnlichen ProsaerzMhlung wird zuweilen eine am Geschehen beteiligte Gestalt durch ihre eigenen Re- flexionen oder durch Erorterungen des Erz&hlers charak- terisiert. Beobachtungen, zuvor an einer Gestalt gemacht, 205 kbnnen durch eine Reflexion verallgemeinert und auf andere Gestalten ausgedehnt werden. Manchmal wird durch solche Reflexionen der Fortgang des Geschehens vorbereitet. Nach dem ZusammenstoB zwischen Luzian und dem Zeloten reflektiert der Erzhhler in der Beschreibung der Nord- stetter etwa: GroBen Versammlungen theilt sich leicht wie elektrisch eine gewisse gemeinsame Stimmung, so zu sagen eine ge- meinsame Whrme mit , so daB Niemand kaltes Blut und tfberlegung genug hat, urn, liber das Gemeingeflihl sich erhebend, unbefangen das Vorliegende zu deuten und zu erklfiren (S.162). Die entgegengesetzte Abart der Reflexion hat die Tendenz, sich nahezu vollig vom Geschehen abzusondem und in sich zu beruhen. Solche Erbrterungen geben sich namentlich als Sentenzen, Werturteile oder Kommentare des Erzhhlers. Etwa vom folgenden Typ, wie sie allenthalben im Lucifer auftauchen: "So verwirrt und uneins ist unsere Zeit, daB man auf alien Seiten Thaten wlinscht, die man selbst nicht vollziehen mbchte" (S.251). Oder: Das Wachsthum des Menschengemlithes gleicht nicht dem verghnglichen Halme, eher dort dem Fruchtbaume, der bleibt bestehen und harrt neuer Frucht am selben Stamme (S.245). Reflexionen sind im Lucifer ungemein zahlreich. Es ist keinesfalls seiten, auf sieben Seiten ftinf reflek- tierende Einschaltungen zu finden (S.209f.). Dabei scheint von den beiden Extremen der Erbrterung, wie wir 206 sie fttr unstre Zwecke hier unterechieden haben, das letztere, vom Geschehen welthln abgelOste, zu Uberwiegen. Ihnllohen, von Geschehen oft absohvelfenden Charak- tar zeigt der lnnere Monolog. Er 1st dar Reflexion inso- farn naha rerwandt, als er eine Reflexion einer Gestalt darstellt, in der blod die konmentierende oder inter- pretlerende Stellungnahme dee Erzfthlers zurUcktritt. In der Tat mtlnden Reflexion und inner er Monolog im Lucifer nicht seiten in einander. Auch vom lnneren Monolog ist in der Brzhhlung Auerbachs oft Gebrauch gemacht. Bin rasoher tfberschlag fbrdert bereits aoht derartige Monologe ▼on einiger IALngs zutage. Manche dieser Monologe virken, als seien hier Reflexionen des Brzhhlers ledlglich in die Gestalten projiziert. PUr innere Monologe und Re flexionen acheint demnach ebenso gereohtfertigt9 was Roggen, ein wenig lmpulslr, zu den Reden der Bauern im Lucifer zu sagen hat: * . . die Gefahr llegt nahe . . . , dad die ungebildeten Bauern nicht sprechan, wie ihnen der Schnabel gewaehsen 1st, sondera sich der gewtlhlten Ausdruokswelse des phl- losophisch denkenden Autors bedienen. (Motire. S. 30f.) Veit h&uflger als mit dem lnneren Monolog ▼erblndet Auerbach die Reflexion mit BlnwUrfan. Die Brbrterung schlhgt plbtzllch um in eine Anrede in der swelten Person Oder einen familiar gehaltenen "Vir"-Satz: der Brshhler Oder der Autor selbst nehmen Kontakt mit dem Laser auf. 207 Eine fliichtige Kontrolle brachte die auBergevbhnliche Zahl von ca. 35 solcher Kontaktnahmen zum Vorschein. tfberleitungen, belehrende Erkl&rungen lokalen Brauchtums und die Aufstellung moralischer Imperative machen den Groflteil dieser Kontaktnahmen aus. Als zus&tzliche .Form des Einwurfs erscheint im Lucifer gelegentlich die Mahnrede. Das folgende Paradigma gibt einen hinreichenden Begriff: Ein Herz, das die Folgenschvere eines Ereignisses oder einer freien That in sich tr>, verlangt oft zu sehr nach Handreichung, aber die Menschen vim dich her sind Alle mit sich und tausend anderen Dingen besch&ftigt, sie sehen und verstehen deinen bittenden Blick nicht. Erwarte keine Htilfe von auBen, sei stark in dir! (204f; feraer vgl. u.a.: 215» 241, 264). Die Mahnrede tragt besonders augenfalligen didaktischen Charakter. Sie wirkt in vielem unmodern oder gar archaisch vmd scheint auf Verbindungen der Dorfgeschichte mit der mittelalterlichen Literatur hinzuweisen; denn insbesondere in der mittelalterlichen Legenden-Literatur ist die 28 Mahnrede hhufig anzutreffen. 28 Vgl. liber weltere Zusammenhhnge der Dorfgeschichte mit der Lit. des MA: R. Gosche, "Idyll und Dorfgeschichte im Altertum und Mittelalter", Archiv fUr Literaturge- schichte. I,169ff. fi. Als Xonsequenz der Erzhhlhaltung 208 Mit dem Aufzeigen der Kontaktnahme und Mahnrede sowie mit der Feststellung, die Kontaktnahme sel ungemeln haufig, ist schon manches Uber die Brzahlhaltung Auerbachs im Lucifer stillschweigend vorweggenommen. Seine Dorfge schichte ist eine Er-Brz&hlung. Die Er-Erzfihlung von der Art des "allwissenden Zeugen" wird jedoch vielfach durch- brochen, da Auerbach engen Kontakt mit dem Leser erstrebt. Der Autor-Erzhhler gibt sich zuweilen vertraulich, meistens sucht er jedoch zu belehren und zu beeinflussen. Das Verhhltnis Autor-Leser gestaltet Auerbach also eng — oft auf Kosten der Homogenitat der Er-Erzahlung. Das Verhaltnis des Erzhhlers zu dem Gegenstand der Dorfge schichte— der andere Bereich des Komplexes BrzShlhaltung — scheint ebenfalls vorwiegend eng. Das besagt nicht, daB vornehmlich vergegenw&rtigt wird. Vielmehr werden die Gestalten innerlich abgehorcht— speziell der Held Luzian. Nicht das visuelle (oder imaginative) Vermdgen des Lesers, sondern eher das intellektuelle, und das Zu- hbren, werden angesprochen, wenn der allwissende Erzahler die Ergebnisse seines Gedankenlesens ausbreitet. Die Perspektlve ist Uber weite Strecken des Buches nach Innen verlegt. Die zahllosen Reflexionen Luzians und die lnneren Monologe sind Schwerpunkte dieser Art. Andere 209 finden sich in den Beschreibungen, zum Beispiel der des Amtmanns (3.153)- Bs scheint eine Eigenart von Auerbachs Stil, trotz dieser inneren Perspektive im ganzen wenig psychologisch vorzugehen: Erbrterungen und Abstraktionen dominieren. Die Aussagen im Modus innerer Perspektive bleiben zu konventionell, urn psychologisch zu werden (z.B. Luzians langer Monolog S.188f.). Von den Reprasentationsformen ist die VorauBdeutung bislang unberticksichtigt geblieben. Das hat gute OrUnde: die Vorausdeutung spielt namlich nicht nur als Reprfisen- tationsform eine Rolle, sondera auch als Moment im Lange- gefiige des Wortkunstwerks. Das wird deutlich, wo sie im Lucifer als omamentale ttberleitung zu neuen Abschnitten oder Kapiteln der Srzahlung eingesetzt wird (S.165); ebenso dort, wo sie zur Vorbereitung der Lbsung einer Erz&hlung dient. Viermal hintereinander eingesetzte Vordeutung auf Amerika ist zum Beispiel fast die einzige Vorbereitung des Lesers auf den AbschluB der Lucifer- Handlung vermittels der Auswanderung Luzians (237, 239, 246, 234). Auch die Repr&sentationsform der Voraus deutung ist im Lucifer des bfteren vertreten (ca. zehn- mal) • Aus dem GefUge der Reprasentationsformen und der Bigen ttimlichke it en der Brzhh1haltung im Lucifer leitet 210 sich folgendes Bild her: 1) Die Erzahlung 1st durchsetzt mit Reflexionen. Die Abart der vom Vorgang abgeldsten Erdrterung oder der Sentenz Uberwiegt dabei. Mehrere innere Monologe verstarken den reflektorischen Zug der Erzahlung. 2) Im Einsatz der Reprasentationsformen und in der Er- zahlhaltung drhngt sich eine didaktische Tendenz in den Vordergrund. Mahnreden und Kontaktnahmen mit dem Leser sind die offenbarsten Exponenten dieser Ten denz, die sich hier als Ideologic enthUllt. 3) Die Darstellung in der inneren Perspektive, die insge- samt Uberwiegt, ist zu konventionell, urn eine pBycho- logische Dimension fUr die Erzahlung zu erdffnen. Ebenso wie in Auerbachs Erzahlung finden sich auch in Hartmanns "Krieg” Reflexionen. Wie innere Monologe und EinwUrfe sind diese aber viel zurUckhaltender eingestreut. Trotz des grdfieren Umfangs der Hartmannschen Erzahlung zahlen wir im ttberschlag nur etwa zehn Reflexionen und EinwUrfe zusammen. Die Reflexionen gehdren dabei grdBten- teils noch der ersten von uns gekennzeichneten Art an, das heiJ3t, sie stehen in vergleichsweise naher Verbindung mit dem Geschehen (155» 114, 129 etc.). GegenUber Lucifer kommt dem reflektorischen Zug in Hartmanns Erzahlung folglich viel geringere Bedeutung zu. Was die ErzUhlhaltung anbetrifft, so bleibt im Gegen- satz zu Auerbachs Lucifer im "Krieg" im allgemeinen die Distanz gewahrt. Anreden oder Unterhaltungen mit dem Leser, wie Auerbach sie gem pflegt, sind auf ein Minimum 211 beschrhnkt; in einer rhetorischen Frage und in einem kurzen Nebensatz wendet sich Hartmann je einmal an den Leser, auBerdem noch einmal im Epilog (126, 168, 176). In der Haltung des Erzahlers zu seinem Gegenstand herrscht im groSen und ganzen der Blick von auBen vor. Die Per— spektive scheint die Wiedergabe der Vorg&nge in den Vordergrund zu rticken. Auch die Vorausdeutungen, die bei Auerbach so reich- lich vertreten waren, sind im "Krieg" sparsamer einge- flochten. Bei Auerbach dienten sie vor allem der Auf- lbsung gewisser Konflikte. Hartmann benutzt die Voraus- deutung auf eine Weise, die wechselseitig, der aus- sprechenden Person wie der Vorausdeutung, einen ominbsen Anflug und damit Gewichtigkeit verleiht. Magie und Aber- glaube— es sei an den irrationalen Motivkreis erinnert— sind mit den Vorausdeutungen verknlipft; sie werden zur Prophetie: hier sind der Alte vom Hammer und Lunetta die geeigneten "Vahrsager". Zum Beispiel befindet der sonder- bare alte Kauz eines Tages, es sei "ein Vetter, als ob jemand gehenkt werden sollte" (119)* Prompt einige Seiten danach besthtigt sich die Ahnung: Hynek-Cblestinus, der Brandstifter, wird aufgeknUpft. Ferner hat Lunetta, die "Peter Buresch bei diesen Worten ttngetlich ansah", den Obtschovern gegenilber seinen Tod prophezeit (49)» was sich ebenso bewahrheitet. 212 Aus der kurzen Beschreibung des Einsatzes der Re present atlonsformen und der AnsLlyse der Erzahlhaltung last sich ableiten, daS im "Krieg"— meist im Gegensatz zum Lucifer Auerbachs: 1) Als Polge des sparsamen Gebrauchs reflektorischer Formen Bericht, Beschreibung und Gesprach dominieren. Damit konzentriert sich die BrzUhlung ungeschmaierter auf das Geschehen. Hierzu steuert auch das tfber- wiegen der Uufleren Perspektive bei. 2) Die geringe Zahl der Kontaktnahmen mit dem Leser nicht vom Geschehen abzieht. Das Beibehalten der Distanz zwischen Autor bzw. Erzahler und Leser last schwerlich ein Breitmachen ideologischer Zlige zu. (Tendenzen werden zweimal im Vehikel der Satire mitgeteilt: Jesuiten 129, Freimaurer 149). C. In der Komposition der epischen LUngsstruktur Selbstversthndlich bringt die spezifische Handhabung der Reprasentationsformen und der Erz&hlhaltung bei beiden Autoren schwerwiegende Auswirkungen auf ihre Erzahlungen mit 3ich. Die Ubergreifenden Strukturen zeigen denn auch die Resultate. So stdren die bestandigen Kontaktnahmen mit dem Leser den PluS von Auerbachs Erzahlung und ver- ringem deren innere Bindung. Geschlossene Szenen sind im Lucifer viel seltener anzutreffen als in Hartmanns "Krieg". Der Paden spinnt sich nicht in sich selbst fort. Die Homogenitat bleibt schwerlich gewahrt, wenn der Er zahler allenthalben erst Uber einen Kontakt mit dem Leser die Verbindung zu den Gegenst&nden seiner Erzahlung 213 wiedergevlnnt. Hier fUhrt die Analyse auf strukturelle Mhngel. Und Ban kann wohl mit Recht von Mhngeln im Auf- bau einer BrzUhlung sprechen, venn der ErzKhler auf der elften Selte seiner Geschiohte den GroBteil der Exposition nacheuholen beginnt und dieses Beglnnen mit der folgenden Bemerkung einleitet: Vir sind gestern unter so seltsaaen UmstSnden vor dem Vetter hier In das Haus gefltichtet, daB vir kaum Zeit hatten, uns die Leute n&her zu betrachten. Vir mttssen uns damlt sputen, bevor vlelleicht eine unversehene ErsehUtterung Alles so von der Stelle rttckt, daB vir den vormaligen stillen Vandel der Menschen und Ver- hhltnisse kaum mehr herausflnden mBgen (S.142f.). Die Integration der Vorgeschichte virkt nur noch unebener, wenn Auerbach zvel Seiten spfcter noch einmal ansetzt, urn sich der Exposition nunmehr vollends zu entledigen. Diesaal geschieht es, kaum merkllch geschickter, nit den Vor ten: "Vir mttssen um einige Monate zurUckschreiten, um die Stiamung Luzians zu ergrUnden" (147). Hier erveist sich an drei handgreiflichen Beisplelen im kleinen, velche Vechselvirkung der hkufige Bins chub von Reflexionen, so wie von Kontaktnahmen, auszuttben ver- mag. Im grofien soil das an einem Schema der episohen LKngsstruktur der Brz&hlungen noch einmal klargemacht werden. Zur Vereinfachung und Veranschaulichung empfiehlt sioh die graphische Darstellung* Diese ist so angelegt, daB vor allem EinschtLbe und Integrationen, sowie das 214 Verh<nis der Kapitel- und der Zeitgliederungen ersicht- lich werden. Ferner 1st auf eine genauere chronometri- sche Bestandsaufnahae der Krz&hlungen Wert gelegt. Erl&ute^rungen zu den Darstellun^en^ rcJmische Zahlen arabische Ziffem A x Absatze In der graph!schen Dar- atellung der Zeitstruktur Kapitel oder Abschnltte Seitenzahlen Reflexionen u. EinwUrfe Knotenpunkte der Handlung Unterbrechungen des Zeitkontlnuums Brztthlzelt Lucifer 4 Std.- 135 S. "Der Krieg" 5 Std.- 160 S. + 13,5 S. (Mftrchen) erz&hlte Zeit 1/2 Jahr ca. 1 Monat sch* S t r u k t u i r ( lu.ci feg) a -, r*- I*1 p.. . i t ' w > rv <3 *a ti kj vj < 3 <3 o o <3 - ■-j 4 c <3 T i< d V 2 - ft •% a r o . l M < u - ^ £ * 215 < r » 1 4 -4* * * u * * s > i } f J ■ » E p isch e. S t r u k t u r <] .* N * 4 J * 1 j J . -I * ) rO f e j I* r £ i £ i h » r» * oa-* >- x t5 ' j3 3 t T 5 - x i ir - i 'I > * " r J * J < f'£ -s k •-r * * 1 I - I f , 1 r i x li 5 i* cc « * vs i S1 41 z 3 v j L - V-t , 4 ’ : 3 t ‘ . * 217 Die Schaubilder sprechen fttr sich selbst. Soweit noch einzelne Erl&uterungen ndtig sind, werden sie im Zu- sammenhang der folgenden AusfUhrungen gegeben. Es liegt auf der Hand, daB die Schemata die Ein- oder Mehrstrhngig- keit des ErzsLhlens nicht verzeichnen kdnnen. In beiden BrzUhlungen Bind Vorghnge zuweilen durch simultane Ver- knUpfung gleichgeschaltet. (Lucifer etwa: S.181, 187, 194, 201, 222). Hartmann benutzt sehr geschickt einige Male die r¨iche Degegnung von Personen, um einzelne HandlungsfSden zusammenlaufen zu lassen ("Krieg": 48, 84, 126). Ein kunstvolles NebengefUge aus Hartmanns Er zahlung, das ebenfalls aus der graphischen Darstellung nicht ersichtlich ist, soil nicht unerwahnt bleiben. Eingangs der Novelle versetzt ein Bericht Pepik Picards die Bauern in Bereitechaft, die Bewohnerschaft des Nachbardorfs mit Gewalt aus dem nahen Forst fernzu- halten (8). Liduschka hort den Bericht mit an und be- schlieSt, den Alten vom Hammer nach einem Ausweg aus den Verstriekungen zu fragen. Unbeabsichtigt bringt sie auf diese Weise die Kriegsmaschinerie in Gang: Uber den Alten veranlaBt sie indirekt Peter Buresch zum Eingreifen. In der Reihenfolge Pepik-Liduschka stehen hier zwei Charaktere gekoppelt am Anfang der epischen Kettenreak- tion. Sie werden wiederum eingesetzt, um diese 218 Kettenroaktion abklingen zu laaaen. Daa geschleht aogar in daraalban Reihenfolges Von Papik erfMhrt Liduaohka ▼on dar bevoratehendan RUckkehr Buraache. Deaaen Ankunft indaa bedeutet aina akute Bedrohung fttr daa Laban ihrea ala Geifiel festgehaltenen Brudara Zdenko. Sie verfhllt in ihraa Kunmer un Zdanko daa Vahnainn und sttndat in Ihrer Verstttrung don Wald an. Die Varniehtung daa Valdaa virkt aich bai Buraaoha Truppen in Denoraliaatlon und Fahnenfluoht aua; der " An fang von Bnde* let dealt gaaacht. Hier kahrt alao die Nacheinanderachaltung Plcard-Liduachka vieder; aia iat beida Mala von entacheidenden inhalt- lichen und atrukturallan Konaequenzen. An aval Knoten- punktan dar Hovelle arvalat aich hier dar Modua dar Viadarholung ala ein Strukturprinzip. Bin Vort zu dan apleehan Intagrationan, dia von dan Sohanata ladigllch verzeichnet, abar nicht charakteri- eiert werden. Bai Auarbaoh finden aich aaoha nelat kttraara Binlagen. Zvel davon aind auagadahntara An- apraohan daa Pfarrera, dia dirakt in Dienate dar Hand ling atahan und durchaua vorwtLrtatralbende Kraft calgan (S.156ff; I63f). Die raatliohan vier baatahan ehnt- liohat aua Lied am, die j a valla nit Stinnungen von Paraonan ttbaralnatinnan (8. 213* ein "ainaanaa Liabaa- lied**— Paula let der S&nger; 3. 2211 Bllbia Liabaaklaga 219 um Paul; ferner: 3. 139» 213)• Diese letzteren Einlagen veisen idyllischen Charakter auf. Die Einlagen im Luoifer sind allesamt derartig integriert, daB sie kaum Eigenwertigkeit besitzen. Davon abweichend haben zwei der drei Einlagen bei Hartmann durchaus Selbstandigkeit. Nur der Brief Mikas an die Jesuiten von Oborschicht (122) ist ohne die be- gleitende Handlung sinnlos. Die Erzahlung des gefangenen Brandstifters Hynek-CiSlestinus und das M&rchen vom Blanskyvald, beide wesentlich umfangreicher als die Einlagen bei Auerbach, kdnnten hingegen durchaus fUr sich selbst bestehen. Das gilt namentlich fiir das M&rchen, das ja schon im Genre Uber die sog. einfachen Forraen hinausw&chst. Beide Einlagen sind in den tfberleitungen achlackenlos mit der umrahmenden Handlung verbunden. Das M&rchen macht mit seiner Welt des Wunderbaren und Un- begrenzten den Eindruck eines romantischen Gegengevichts zu dem Realismus des Hauptteils der Erz&hlung. M&rchen und umschlieBende Erz&hlung sind durch die beiden ge- meinsame Welt des Waldes und zus&tzlich durch einige stoffliche und motivische Parallelen oder Kontrastierungen locker verknUpft. Leider ist hier nicht genUgend Raum, n&her auf diese Einzelheiten einzugehen. Nur sovlel: Erz&hlung mad M&rchen scheinen miteinander vertr&glich, 220 die Integration wirkt gevagt und ungewbhnlich, ist indes geglUckt, obwohl sie die realistische Darstellungsweise durchbricht, welche die Mehrzahl der Dorfgeschichten von Anfang bis Ende auszeichnet. Vor dem Aufweisen der grofien Linien bleibt in Ver- bindung mit den graphischen Darstellungen noch die Gliederung der beiden Erz&hlungen z u behandeln. Hartmann gliedert in Kapitel, die lediglich numeriert sind. Auer bach unterteilt demgegentiber in Abschnitte, welchen er jeweils eine ttberschrift voranstellt. Wie die chrono- metrischen Bestandsaufnahmen freilegen, stimmt die Gliederung nur zuweilen mit den Einschnitten der Zeit- struktur Uberein. Hartmanns Kapitel besitzen keine allzu grofle Bedeutung in sich selbst; allenfalls sind sie wich- tige Etappen auf dem Wege zu einem neuen Knotenpunkt. Der Kapitelaufbau ist dem Geschehen untergeordnet• Im Vergleich wirkt die Einteilung im Lucifer willkUrlicher — trotz einer recht gradlinig und einfach aufgebauten Handlung gibt es bei nur 135 Seiten 19 Kapitel. Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, dafl der Autor mit einem Seitenblick auf die soziologische Zusammensetzung und Psychologie seines Publikums gegliedert hat. Kurzat- miges Lesen lag vermutlich aeinem Leserkreis, besonders der l&ndlichen Bevblkerung. Jedenfalls geben die 221 Abschnitte schwerlich als Entappen des Geschehens sinn- volle Handlungseinheiten wieder. Sie acheinen gelegent- lich nicht einmal fest im HandlungsgefUge verzahnt: Kapitel XVI "Ich bin der ich bin" kbnnte zum Beispiel bis auf wenige Bemerkungen ganz fallengelassen werden, ohne das Geschehen im geringsten unverst&ndlich zu machen. Wiederum andere Abschnitte vermochten unabhangig von der Geschichte fUr sich allein zu stehen und doch sinnvoll zu sein— etwa "Verlassen und Verstoflen" oder "Bin K&mpfer in seinen Gedanken allein". Diese Abschnitte scheinen eigenwertiger zu sein als die Kapitel bei Hartmann und weitgehender in sich selbst zu nihen: die vorw&rts- drangende Energie ist geringer als in "Der Krieg um den Wald". Netzwerk und Doppelfaden (Die dramattache Schicht) Der n&mliche Eindruck ging nachhaltig von der Ge- geniiberstellung der beiden graphischen Schemata der epischen L&ngsstruktur aus. Im Lucifer bewirkt eine FUlle von Einwilrfen, Reflexionen und Monologen im Verein mit den Integrationen oftmaliges Elnhalten im Fortschritt der Fabel. Den gleichen Effekt hat das Einblenden von Ex- positionen (deren es allein drei gibt!). Zweifellos vermbgen Einschaltungen, als retardierende Momente 222 gebraucht, wirksam zu einer Spannungssteigerung beizu- tragen. Es gelingt manchem Dichter, mit solchen Mitteln erhbhte dramatische Durchschlagakraft zu erzeugen. Frei- lich hat das zur Voraussetzung, daG vorweg ein Engagement des Lesers provoziert vmrde: er muG hinreichendes Interesse am Fortlaufen eines oder mehrerer Herndlungsffiden haben. Vo solches Interesse noch nicht geweckt ist, kann alien— falls ein neuer, Anteilnahme heischender Faden aufge- nommen werden: eine auf der Stelle tretende Reflexion wird wahrscheinlich langweilen. In der Analyse der dramatischen Schicht beider Er- zfihlungen verdichten sich die Konsequenzen der bestfin- digen Reflexionen im Lucifer exemplarisch. Auerbachs Dorfgeschichte ist arm ein erregenden Momenten (agents). Tatsfichlich findet sich nur ein ausgesprochen erregendes Moment: Die Rivalitfit Luzian - Pfarrer. Als Nebenmoment kbnnte man eventuell ansprechen: Die UngewiGheit liber den Ausgang des liebesverhfiltnisses Babi-Paule. Dieses Nebenmoment wird jedoch erst relativ spfit eingefUhrt. Die Lbsung des erstgenamnten durchlaufenden Fadens ist zudem kaum befriedigend: vier Vorausdeutungen milssen dazu dienen, sie notdiirftig vorzubereiten und plausibel zu machen. Der Klimax kommt, mit den Handgreiflichkeiten zwischen dem Pfarrer und Luzian, verhfi.ltnismfi.Gig frlih 223 — noch vor dem letzten Drittel der ErzUhlung. Die Lbaung am SehluB wirkt dadurch epiaodiach-nebena&chlich. Der beseheidenen Zahl von erregenden Homenten eteht innerhalb der Brz&hlung elne Reibe von Bpiaoden gegen- Uber: a) Die Ratasitzung mit Zehntenverteilung b) Daa Verh<nis dee Doktora zu BUbl (mit eigener Vorgeachichte) c) Rollenkopfa Konflikt mit dem Zeloten und dem Bischof. Neben den reflexionaartigen Elementen tragen dieae nur locker angeachloaaenen Bpiaoden dazu bei, daa Tempo und die geringe vorvttrtatreibende Kraft zu hemmen, die ein einzelnea erregendea Moment und ein Nebenmoment allenfalla aufbringen. In Bartmanna "Krieg" findet aich demgegenUber schwer- lich mehr als eine Episode: Lunettaa T&ndeleien mit Pater Qulrinua im Jesuitenkloater. FUr dieae Episode kompen- siert ein reich entvickeltes Netzverk von erregenden Moment en i a) Die Ungevifiheit Uber den Beaits und daa Los dea Valdes. iniMT und LtSsung: Der Valdbrand. b) Die Frage: Srreieht Bureaoh allaeitige Revolution? c) Die Rival!taten Buresch-Mika und Bureach-Kinnich N subagent aN: Vird Zdenko gehUngt? Vird der Spion gefangen? Hbhepunkte: Zdenkoa Oefangennahme; Konfrontierung Mika-Buresch in Duschalk; Qef angennahme und Tod Hyneka. d) Die Ungevifiheit Uber den kuagang dea Krieges. e) Die UhgewlBheit Uber daa Eingreifen kaiaerlicher Truppen• 224 "subagents": Mikas Brief an die Regierung. Wird er geschrieben? Erreicht er seinen Bestimmungsort? Haben die Jesuiten Erfolg in Prag? Dieses Netzwerk ist vielfadig und vielseitlg verhstelt. Es besitzt mit dem Waldbrand elnen Klimax zu Beginn des letzten Teils der Erzhhlung, zudem einen Zentralklimax im Stile des "geschlirzten Knotens" direkt zum SchluB. Die Ldsung der Konflikte erfolgt durch das Eingreifen der Truppen, das H&ngen Bureschs, die Verschleppung aller Bauem und das Bettellos Kinnichs und Mikas. Niemand bleibt von der Schlagkraft des Schicksals verschont. Trotz der vorhandenen retardierenden Komente in Form der ervhhnten Episode und der Einlagen, insbesondere des Mhrchens, eilt die Erzahlung liber weite Strecken in un- gestlimem Tempo vorwarts. Das Geschehen dominiert; den- noch ist die Komposition komplex. Die unumghnglichen Werturteile A. Autor im Verborgenen und auf dem epischen Proszenlum 3ei vergleichender Lektlire drangt sich auf, dafl "Der Krieg" sich mehr durch Geschehen, Tempo und Spannung aus- zeichnet als Lucifer. Hartmanns Erzahlung spinnt sich fort in sich selbst, motiviert sich aus Vorhergehendem und Gegenvartigem und wird selten explizite gedeutet. In diesem Fehlen von interpretierenden Einwlirfen des Autors 225 scheint sich, vie J. P. Sartre In seiner achriftatelleri- 29 schen Ortebeetlaming Vaa 1st Literatur? bekundet, dea Diohtera Inneverden seiner Bodenloaigkeit in moderner Veit und Qaachichte auazudrUcken. Die geaioherte velt- anachauliche Position von elnst 1st selten gevorden; Spezialiaierung und Auff&cherung dea Viaaens und der ge- earnten Zivilisatlon stehen in Vechselbeziehung zu einem erheblichen Anvachaen der Einzelfragen, die sich der Dichter erat von Pall zu Pali* und oft zum eratennal, beia Schreiben beantvortet. Der Leaer vird aomit Zeuge einer Entscheidung; ihm vird mehr Prelheit zu eigener Auslegung belasaen; er gerttt jedoch aueh in daa Span- nungafeld einea hautnaheren und problematiacheren, in bildhafte Vorstellungen umgeaetzten Klkrungsprozessea. Andrerselta erhdht sich mit dem Pehlen von elnge- blendeten Erl&uterungen seltena dea Autors gleichzeitig die Illuaionavlrkungs der Leaer nimmt fortlaufend tell an Breignlasen und vird unvermlttelter featgehalten. Hierin liegt ein Vorzug, der beaondera beia heutigen Leaer Oder Erltiker unversehena in ein Werturteil ua- achlkgt. 29(Hamburg, I960), S.132-133. 226 In seiner wohlbekannten Abhandlung Uber den Homan, The Twentieth Century Novel. (New York, 1932), ermittelt J. W. Beach als eine der bezeichnenden Entwicklungslinien der Prosa innerhalb der letzten 200 Jahre das Verschwinden des Autors. Folgende EigentUmlichkeiten des traditionel- len Erz&hlens scheint die Mehrzahl modemer Epiker, be- sonders seit Henry James, zu scheuen: . . . the disposition to be edifying in a moral way . . . the fondness for talking the characters over with the reader, taking sides, and letting the reader know what attitude he should take. And . . . the scientific passion for explaining the character, making us under stand how the particular phenomenon before us illus trates the laws of human nature in general. (3.20) Nach der Durchsicht Lucifers kann man Beachs an- schlieBende Behauptung "These three tendencies are closely related and they are generally found together" nur be- krhftigen. Es wurde bereits gezeigt, wie Auerbach oft glossiert und belehrt, statt darzustellen; Empfindungen ausspricht, statt sie zu verkdrpem oder evokativ durch elnheitliche Tbnung einer Szene auszulbsen. Heutige Leser und Kritiker wUrden allein deshalb "Der Krieg um den Wald" hbher bewerten, denn der Stil entspricht ann&herader den Techniken der Romanciers des 20. Jahr- hunderts, durch deren Schule jeder Zeitgenosse bei seiner LektUre gegangen ist. Publikum und Kritiker erwarten schlackenlose Umsetzung von Stoff und Motiven in Figuren und Handlung; Intensitht der Szenen und Bilder; 227 Homogenitht der ttberleitungj Veranschaulichung der Charaktere, Stimmungen und Milieus aus der Darstellung heraus— nicht aber tbnende Hrklarungen des Erzhhlers dartlber.^ B. Predigt gegenUber Welterg&nzung Hartmanns Dorfgeschichte steht weiterhin den von Beach aufgezeigten neueren Kategorien insofern nhher, als sie trotz der Politisierung mancher Stoffelements und Motive insgesamt objektiver ausf&llt. Der Dichter be— handelt ein politisches Thema, was seine Novelle von den vornehmlich unpolitischen Werken der Epoche nach 1848 ab— hebt. Aber es existiert, namentlich infolge Bureschs ^ Auch ein anderer Romantypus als der des exit author. der handlungsarme, durch Reflexion gekennzeich- nete Roman im Stile Virginia Woolfes oder Rilkes(im Malte), ist durch diese Intensit&t der Darstellung und eine in die Psychologie projizierte Perspektive gekenn- zeichnet. Wenngleich hier der Autor-Erzhhler durch eine Hinterttlr wieder in die Literatur hineinschlttpft, indem er das Abhorchen seines eigenen Ich zum Thema macht, so bleibt doch ein Entwickeln aus der Sache heraus, hier aus dem Selbst heraus, gewahrt. Bine Dichotomie Erzhhler— Figuren, wie sie fiir den bei Auer bach pr&gnanten Erz&hlstil mit den zahlreichen EinwUrfen Voraussetzung 1st, existiert nicht. Diese EigentUm- lichkeit lHBt R. Grimm, "Romans des Ph¬yp", (Akzente, 9. Jg.-1962, H.5,463-479.) in seiner originellen neuen Typologie des Romans aufler acht. Statt der fUr die Epik angedeuteten Entwicklungs- linie scheint sich Ubrlgens im zeitgenbssischen Drama Gegenl&ufiges anzubahnen: Lhuft nicht das epische Theater auf einen Wieder-EinlaB des Autors hlnaus? 228 Verhhngnis, keine unbeirrte politische Linie. Es ist jenes Unerschlitterliche, wie es ideologischer Ausrichtung anhaftet, was im Grunde der Literatur fremd ist, da diese den Umgang mit dem UnfaBlichen imtemimmt. Un- w&gbarkeiten werden gerade in der Erschlitterung erfahren; Darstellung und behutsame artistische Ordnung ist hier allenfalls adhquat. Verschiedene Aspekte nrtissen zum Ausdruck gelangen. Es ist nicht so, daS Kunstwerke keinen Raum fUr Politik und Thesen h&tten. Brechts Mutter Courage und Lessings Nathan sind zwei von vielen Beispielen, die man Befiirwortem unpolitischer und anti-ideologischer Asthetik entgegenhalten kbnnte. Es kommt vor allem darauf an, dafi die Thesen recht integriert sind und nicht zu Banalitaten Uberspitzt werden. Die Dialektik der Welt ist zu bewahren. Whchst die politische tfberzeugung aus dem Charakter heraus, wie das bei Buresch der Ball ist, so wird sie dem Leser zumeist als innewohnende Leiden- schaft legitim und akzeptabel erscheinen. Ist die Ideo logic aber nur oktroyiert, nicht aus der Einheit des Kunstwerke gefordert, so wird der Eindruck auftreten, wie oft bei Luzian, als habe der Autor der Gestalt von auflen ein instruierendes oder propagandistisches Trans parent in die Hand gedrUckt, urn damit eine Demonstration 229 vorzuftihren. AuBerdem sind Neigungen zur Tendenz, die sich in "Der Krieg" vornehmlich um die Mitte der Brz&hlung be- aerkbar aachen , einmal ironisiert und vermbgen, zum anderen, bald zurttckzutreten. Soveit dies nicht Bchon durch die irrationals Stoff- und Motivschicht erfolgt ist, werden etwaige Tendenzen durch den Schlufl aufgehoben: die poetische Qerechtigkeit trifft den Revolutionhr Buresch am h&rtesten. Auch alls anderen, die sich an bestehenden Ordnungen vergangen haben, alls sen stlhnen. Dad sich der grundlegende Konflikt Uberhaupt erst ergab, weil diese Ordnungen zeitweilig fraglich geworden waren und niemand fUr ihre Durchsetzung sorgte, aacht das Schicksal nur noch unabweisbarer. Hit dieser Schicksalsgeladenheit Offnet sich der Hartaannsohen Novella gleichzeitig eine grttfiere Totali- tkt.^ Trotzdem ist die Diesseitsbetroffenheit Hartmanns tLberraschend. Auerbachs Hauptanliegen im Lucifer ist theologiach-philosophisoh (der Pantheiamua)• JBrstaunlich, ^Vgl. Hermann Broch, "Die aythische Brbschaft der Dichtung", Neue Rundschau, LVI-LVII (1945)» 45f.* ferner u.a., Valter Jens (veraohiedene Schriften); J. P. Sartre, Was 1st Lit.?. (Hbg., 1958), 3,37-39. 230 dafl dennoch "Der Krieg" von beiden Brzahlungen trans- parenter flir das Irrational© ist. Mit der Schicksalsge- ladenheit und gelegentlichem Einsatz magischer und manischer 3trukturelemente gelingt, was Auerbachs be- st&ndigen Reflexionen und Predigten infolge mangelnder Verwandlung des Themas in Bilder und Anschaulichkeit ver- sagt bleibt: Welterg&nzung jenseits der photographisch aufnehmbaren Wirklichkeit. Auerbach verstdfit mit der Plut von Belehrungen im Lucifer gegen eigene Erkenntnisse von den Grenzen des Bchriftstellertums, die er einst im 32 Zusammenhang mit einer Wttrdigung Hebels aussprach: . . . nur ein Dichter, der die Menschen, wie sie sind, und in ihnen die tiefere Seite zu fassen und zu ge- stalten vermag, nur ein Dichter ist ein Volksschrift- steller, nicht ein Prediger, ein Lehrer, ein abstrakter Philosoph.33 Letzter Ansatz zu Yergleich und Bewertung Mit alien Vorbehalten, die sich aus unserer histo- risch-soziologischen Position ergeben, machen wir uns an einen letzten Ansatz zu Vergleich und Bewertung. Wolfgang 32 Auch die meisten anderen uns bekannten Dorfge- schichten Auerbachs scheinen Simlich reflektorisch ttber- laden. Eine parallel durchgeflihrte Strukturanalyse des "Befehlerles" fDorfgeschichten.I.95f.) wirft z.B. ganz ahnliche Resultate ab. ■^Zit. in Oskar Walzel, Die Wirklichkeitsfreude der neueren Schweizer Dichtung. (Stuttgart, Cotta, 1908), S. 35. 231 Elaysere Konzeption von Figur-Raum-Geschehen soil dabei 34 das Beziehungssystem liefern. An Figuren finden sich im Lucifer vor: 1. der Sonderling Luzian 2. der Pfarrer (die klerikale Institution) 3. die beharrenden Dorfbewohner (Es wurde schon darauf hingewiesen, daB Luzian in seinen Grlibeleien in vielem unglaubhaft wirkt. Die philosophi- schen Spekulationen sind in dieser Art einem Bauem kaum gemhB.) Diesen Figuren stehen im Krieg gegentiber: 1. der Revolutionfir Buresch (als Held) 2. der Gegenspieler Mika 3. die Bauern von Duschnik-Obtschov (als Kollektiv) 4. die Nebenfiguren Liduschka u. Lunetta 5. die Jesuiten (mitsamt der klerikalen Institution) 6. die herrschende Regierung und die herrschenden Gesetzlichkeiten Offensichtlich sind die Figuren des Iriegs reichhaltiger ausgeformt. Zudem sind sie in einen schicksalsgeladeneren Raum hineingestellt. Dieser weitet sich in der Hartmannschen Erzhhlung etappenweise aus und verengt sich zum Schlufi wieder. Das Dorf bleibt allerdings, in tfbereinstimmung mit den VerhfiLltnissen der Dorfgeschichte, Zentralraum; hier fallen die eigentlichen Entscheidungen: Ausbruch des ^ Kunstwerk. S.198f, 370f. 232 Konflikts, dessen Verglimmen wegen der Waldeinascherung und Todesstrafe Bureschs. Die Stationen sind im Fort- gang: Dorf-Region-Nation-Welt und umgekehrt. Diese Bereiche werden beleuchtet in einer "tollgewordenen ZeitM als "vtJllige Recht- und Gesetzlosigkeit" (3) eingedrungen ist. Zu einer Wirklichkeit in der spezifischen Ver- fassung des Chaos gesellt sich eine irrationale Schicht (Wahnsinn, Magie, die Tierwelt, z.B. Auszug der FtLchse) und weitet den Raum zusatzlich aus. Der Raum im Lucifer ist weniger vollstSndig. Nicht nur ist er inhomogeners dem schonen Dorf steht die dumme Beharrlichkeit der Bewohner gegenUber— nur Luzian ist ausgenommen; nicht allein ist das Dorf dem harmonisch- pantheistischen Universum nicht ganz angemessen. Viel- mehr ist das pantheistische Universum auch nicht ver- gegenwartigt, sondern verbleibt vornehmlich im Dunst der Reflexionen: Auerbachs Erzahlung ermangelt der Anschauung und Illusion. Das Geschehen erschbpft sich im Lucifer nahezu im Konflikt Luzians mit dem Zeloten und in den Knotenpunkten dieses Konflikts, wenn beide wiederholt konfrontiert werden. Im"Krieg" belebt eine Kombination von zwei Hauptvorghngen und -absichten das Geschehen: 235 a) das BemUhen der Duschniker urn den Wald b) Bureschs Revolution Aus dem Verbinden und tJberschneiden dieser beiden Be- gebenheiten ergeben sich komplexe PUgungen und Ereignis- ketten. Die dramatische Schicht war im Lucifer relativ unentwickelt. Im "Krieg" ist sie dagegen reich entfaltet. Die Folge ist eine sehr enge Verschrhnkung der Schichten von Figur, Raum und Geschehen. Eine solche Verklammerung fehlt Auerbachs Erzhhlung. Die Verschrankung resultiert in einer starken Vorwhrtsrichtung der Hartmannschen Er- 35 zahlung, der "fUhrende Zug" durchdringt Figuren und Raum. Es trifft voll und ganz auf Hartmanns Dorfgeschichte zu, was W. Kayser Uber die Novelle an sich schreibt: Die Figuren kdnnen hier gar nicht eigenwertig sein: sie sind durchaus Teile der Geschehnisstruktur. Ebenso bleibt kein Raum fUr grofle Beschreibungen, Episoden und Bilder von der Welt. Die Novelle ist im Grunde ja nicht rein episch, sie verweilt nicht mit Liebe bei jedem Schritt, sondern nhhert sich mit ihrer Konzentrierung auf das Ereignis und ihrer zeitlichen Gespanntheit dem Dramatischen. Damit ist auch die Rolle des Erz&hlers eingeengt. Er kann nicht weit abschweifen. er mufi sachlich erzahlen . . . (Kunstwerk. 3.357.) Die Bemerkungen Kaysera sind im negativen Sinne ebenso aufschluBreich fUr Auerbachs Erzhhlung wie im positiven fUr Hartmanns "Krieg". Gerade das Episodische, •^GUnther MUller, Die Gestaltfrage in der Literatur- wies. und Goethes Morphologic. (Halle, 1944), besonders 3.44-54. 234 das Verweilen und Entfornen vom Ereignis, sowie das Nicht- sachliche-Erzahlen, rllcken ja im Lucifer in den Vorder- grund. Novellistische ZUge hat Auerbachs Srzhhlung also nur in geringem MaBe. Die Dorfgeschichte lhBt sich als Gattung zwischen Idyll, Novelle und historischem Roman ansetzen. Sie ist eine Art Zwittergattung, vornehmlich vom Stoff her de- finiert, die menschliche Verhhltnisse in bhuerlicher Um- welt behandelt. In Hartmanns Erzahlung sind die bhuer- lichen Verhhltnisse solange von ausschlaggebendem Belang, bis die revolutionhre Handlung einsetzt und damit die Einstellung auf das Politische Uber das Bhuerliche Vorrang gewinnt. Weder wird das Landleben als heiles Dasein vor- gefUhrt, noch stellt sich der Autor in seiner Perspektive schlichtweg auf Seiten des Dorfs. Das Bhuerliche wird nicht eindeutig propagiert, wie in der Mehrheit der Dorf- geschichten, vielmehr haufig als zwielichtig naiv hinge- stellt. Von Souvenir-Literatur, die mit ethnischen Klischees, wie eine Schwarzwalder Uhr, sentimental Re- miniszenzen an verbrachte Ferientage erweckt, trennt den "Krieg" eine Kluft. Die Umwelt ist zudem zur Totalitat vertieft. Der Held, selbst kein Bauer, wird in die Sphare der Ohnmacht letztlich hineingesenkt. Das dorfgeschichtliche Element 235 kann im "Krieg" also streckenweise UberflUgelt werden. Andrerseits illustriert Hartmanns Werk die Berechtigung von E. K. Benetts Urteils In the history of the development of the Novelle the discovery of the village and peasant life plays an important part in enlarging and modifying the subject matter . . . 36 Im Idyll Uberwiegt die formende Bedeutung des Rau- mes, das Geschehen ist untergeordnet. Im historischen Roman dominieren die Figuren, auch dem Geschehen kann einige Wichtigkeit zukommen. In der Novelle herrscht dagegen das Geschehen vor, der Raum wird eingegliedert (vgl. Kayser, S. 356f.). Venn wir die beiden Dorfge- schichten in ein solches Orientierungssystem einzugliedern h&tten, ware ”Der Krieg", vom Geschehen dominiert, dem novellistischen Erzahlstil zuzurechnen— trotz der Mhrcheneinlage. Lucifer dagegen reichte an die Idylle heran. Noch ein zus&tzliches Merkmal scheidet Auerbachs Erz&hlung von der Gattung der Novelle. In seiner Dorf- geschichte steht nicht eine Situation Oder ein einmaliger Vorfall, der vielumstrittene Heysesche "Falke" der No velle, im Zentrum. Eher dominiert die Entwicklung einer t C ^ A History of the German Novelle. (London, Cambridge U.P., 1^558), S.122. (iMeine Heraushebung). 236 Person: Luzians Wandlung zum Pantheisten und das Ver- festigen seiner tfberzeugung bis zum praktischen Eintreten dafUr. Es wfeLre ungebtihrlich, Auerbachs Lucifer als ein dorfgeschichtliches Kompendium fUr angehende Pantheisten abzutun; die reine Dorfgeschichte ist oft schwerfhlliger und belehrender als der h&ufig novellistisch anmutende YJ "Krieg”. Indes sch< sich am Vergleich der beiden Er- zhhlungen greifbar heraus, wie G-ehalt und Gestalt sich gegenseitig bedingen. In Auerbachs Dorfgeschichte Lucifer korrespondieren die zahlreichen Heflexionen mit einem einfachen und nur langsam voranschreitenden Geschehen, denn fUr die Bntfaltung der Handlung verbleibt inhaltlich weniger. Eiige des Traktats dringen in die Dorfgeschichte ein.^® DemgegenUber entsprechen in Hartmanns MKriegH der Ann&herung an novellistische Technik die zahlreichen Vor- fhlle. Das Geschehen dominiert, wenngleich der Aufbau wesentlich komplexer ist als die Struktur des Lucifera. Die enge Verklammerung von Figur, Raum und Geschehen im ■^Der Artikel "Dorfgesch." im Groflen Brockhaus be- tont fast als einziger, aber wohl mit gutem Grund. die Nfihe zum Erziehungsroman. (Grofler Brockhaus. 1955). 38 Vgl. zum Stil zeitgenbssische Dorfgeschichten, z.£. K. H. Waggerl, "Landstreicher", usw., in Du und Anna. Insel-BUcherei No. 204, (Frankfurt, o.J.). 237 entfalteten Netzwerk der dramatischen Schicht verschafft dem Geschehen den Vorrang. 7. TRAGIK NACHST MBLANCHOLIB: "Feigheit" Aufrlegeln d>r einhetmlschen Veit Die Spesialgattung der Dorfgeschichte nimmt in Hart manns Schaffen keinesvegs eine Konopolstellung ein— vie echon "Dur und Moll" sovie "Die Glocke" hlnlAnglich dartun. Zwar hat er in dieser Kategorie uit "Der Krieg" sowohl sich als Prosa-Schriftsteller an einem Wurf von nahezu Romanumfang bevtthrt als auch mit dem nlchtzielenden sozialen Engagement eine elgenttimliche Nuancierung #r- reioht. Doch greift er in seiner sp&teren Phase, nach 1860, nur noch selten zu dieser Form. Uhd auch die wenigen Ausnahmef&lle "Der Hetman" (1863-Werke. 7I,415f*)» "Eine EntfUhrung in BBhmen" (1866-Werke. VII, 374f.) und "Der site Richter" (1866-Werke. 7II,464f.) liegen schon auf der Grenze zu anderen Genres. Die Handlungen der eigentlichen Novellen verden meist auf Schauplhtzen auRerhalb BtJhmens angesiedelt. Das trlfft auch zu ftlr "Feighelt", eine 1862 ent- standene Novelle, aus der die folgenden Abschnitte entnommen sind:1 ^Werke. 71,364-414* Blofle Seitenangaben innerhalb dieses Eapitels besiehen sich stets auf diese Novelle. 238 239 a) — halb Moskau und die halbe Armee war von unvermeidli- chem Untergange bedroht. Der Strom der Fliichtenden war eben im Begriffe, Viktor zu erfassen und ihn auf demselben Vege fortzureiflen, auf dem er eben herange- kommen war, als er sich am Arme fest ergriffen fUhlte und eine wohlbekannte Stimme ihm ins Ohr rief: "Vik tor, dort in dem letzten Hause dieser StraBe, das eben jetzt von den Flammen ergriffen wird, liegt Helene allein, htilflos— retten Sie sie! Ich darf von den Pulverwagen nicht fort!" War es Traum? war es Wirklichkeit? Die Stimme war ganz die Stimme des alten Freundes; in diesen Worten: allein, hiilflos, retten Sie sie! zitterte die alte Liebe. Und Viktor sollte sie wieder aus den Flammen retten, wie damals in Paris, als sein elendes GlUck begann— er sollte sie wieder auf seinem Arme fort- tragen! Und Helene hier in Moskau in dieser flam- menden Hblle— Oder waren sie wirklich schon Beide in der Hblle?— war es seine ewige Strafe, sie ewig so aus den Flammen tragen zu mtissen, ewig an jene Nacht erinnert zu werden?— und Marigny sollte zu ihm immer, ewig mit dem Tone des Freundes sprechen?— Br lachte laut auf wie ein Wahnsinniger und sah sich um, ob er wirklich lebte oder ein abgeschiedener Verdammter war, Sein erster Blick fiel auf Marigny, der unablhssig bemUht war, das Chaos zu ordnen, die Pulverwagen aneinanderzureihen und sie anzutreiben, daS sie der immer nhherkommenden Flamme entflbhen. — Sonderbar!— beim Anblicke Marigny*s sah Viktor nichts mehr von dem ihn umgebenden Blend und fiihlte er nichts mehr von den Qualen der letzten zwei Jahre— er sah sich nur mit dem Freunde und mit Helenen wie ehemals in dem glticklichen Winkel am Kamin in Paris— und unmittelbar an diese Vorstellung reihte sich schnell der andere Gedanke: du solltst sie wiedersehen! Helene ist in deiner Nhhe! du sollst sie retten. Aber er hatte Marigny kaum gehbrt— wo? in welchem dieser brennenden Hauser lag Helene— allein, hhlflos! Wie durch eine Hallucination aber, oder als ob die gesprochenen Worte vor seinem Ohre kbrperlich schweben geblieben waren, hbrte er sie vermittelst einer gewaltigen Anstrengung der Erinnerung noch ein- mal: Dort in dem letzten Hause dieser StraBe, das eben jetzt von den Flammen ergriffen wird! (398-399) b) Er erlebte so manche Hallucinationen . . . Man fing an, den Eopf liber ihn zu schtitteln, als gliicklicherweise fUr seinen Ruf seine Armee an den 240 Feldzttgen von 1813 und zwar auf deutscher Seite theilnehmen durfte und seine Thaten die Bedenklich— keiten, die rege geworden, ganzlich in Vergessenheit brachten. Sich endllch f U r sein Yaterland schlagen zu dtlrfen, drhngte bei ihm Vieles in den Hintergruad; er durfte mithelfen bei der S U h n e jener 3 c hu Id, die ein groBer Theil Deutschlanda auf sich geladen hatte; es war ihm dabei, als arbeitete er zugleich mit an der Lc5sung des Problems von Schuld und Siihne — eines Problems, das ihn schon seit Jahren besch&f- tigte und das immer unheimllcher verworren wurde. Schlachten und Bewegung drkngten sich im Jahre 1813 und lieBen ~ i hn nicht zur Besinnung kommen, und so kam er mit den siegreichen Heeren in demselben Paris an, das er bei Besinnung nie betreten haben wUrde. Br kam daselbst als ein Mann an, von dem es hiefl, daB er die Begriffe Gefahr und Schreeken nicht kenne; er hatte an kelner Schlacht, an keinem Gefechte Theil genommen, ohne sich durch eine staunenswerthe Todesverachtung ausgezeichnet zu haben. Aber dieser Unerschrockene schlich zitternd jede Nacht urn das Haus, das Marigny und Helene bewohnt hatten . . , Viktor wagte es nicht, Jemand anzu- sprechen; nur einmal trat er in die Loge des Portiers. . . . Dieser erzahlte Viktor, daB der Oberst, wie ein kaiserliches Bulletin zur Zeit erzhhlt hatte, tampfer khmpfend an der Berezina gefalien sei, und daB Madame Marigny wahrscheinlich in der Berezina umgekommen. Man erzhhle zwar, daB der Oberst, von einer schweren Vunde genesen, irgendwo in RuBland noch lebe, aber das sei so eine der vielen Sagen, wie sie jetzt in Frankreich umgingen und die Familien trdsteten . . . (409-411). c) " . . . es ist der General Graf Holken, derselbe, der bei Waterloo seiner Feigheit wegen infam kassirt wurde." "1st es nicht so?" fragte ich, "er sollte mit seiner Kavallerie einen Angriff auafUhren, und in dem Augenblick, da ihm die feindllche Abtheilung entgegen kam, wandte er sein Pferd und ergriff die Flucht?" "Ja, so ist es!" bestSLtigte der Pastor, und fuhr fort: "Seine Schwadronen folgten ihm, brachten mehrere Infanterieregimenter in Unordnung, rissen einen Theil mit in die Flucht ..." (372). 241 Gegeniiber der Dorfgeschichte ist eine Weltbffnung eIngetreten. Moskau-Paris: das ist ein AufschlieBen Kontinentaleuropao. Moskauer Brand: das ist Anspielung auf ein gemeineurop&lsches Symbol. Die turbulenten ge- schichtlichen Bewegungen vun Napoleons Aufstieg und Fall treten assoziativ ins BewuBtsein; auch Darstellungsver- euche der Bildenden Kunst, welche die Wucht und die apokalyptische Lohe dieses ineinander Ubergehenden Kriegs- und Naturereignisses einzufangen versuchten. Das Kollek- tiv in Bewegung wird, wie im Krieg. wieder lebendlg. Inmitten dieser eviropazentrischen Szenerie begegnen sich zwei Mittelpunktsgestalten der Novelle. Der eine, Marigny, ordnend, so pflichtbedacht, daB er die Errettung des ihm n&chststehenden Menschen zuruckstellen muB. Der andere, Viktor Holken, richtungslos, treibend "im Strom der Fliichtenden". Zwei polare Geschbpfe. Holken wird im zweiten Absatz des Textes a) eingehender beleuchtet. Schon vorher hatte sich der Erzhhler der Er-Erzahlung ihm nahegertickt; die Begegnung mit dem franzbsischen Oberst wird gleichsam von Holkens Selte aufgenommen, indem sie haupts&chlich als wbrtliche Rede gestaltet ist, als eine Stimme, welche Holken wahmimmt. 242 Persbnlichkeitsver&nderung Mit dem zweiten Paragraphen schwenkt die Erz&hlung noch unmittelbarer auf Holken ein. Dessen Innerliche Reaktionen werden wiedergegeben. Kaum merklich finden Perspektivenwechsel vom Erz&hler zu Holkens eigener Sicht statt. FUr die bestUrmenden Bilder, die Intensit&t des Erlebens und den Andrang der GefUhle ist die intime Erz&hlweise der erlebten Rede hier oft das geeignetste Medium. Das Stilmittel ist aber zugleich der Seelenverfaseung des dargestellten Helden angepafit. Die Stimme des Freundes; die Stimme der Erinnerung an Erlebnisse in Paris; die Stimme des Gewissens ("in der Hblle?— . . . seine ewige Strafe . . . "); die Stimme der Liebe, die ihn zur Rettung der Geliebten mahnt: ein Stimmengewirr durch- tobt Holken und l&hmt seine Initiative. Seltsam abwesend von der Lebensnot um ihn her w&hnt er sich in der HiJlle, dann wieder versinkt er momentan g&nzlich ins Vorstellen glUckllcher Vergangenheit. "War es Traum? war es Wirk- lichkeit?": Holken befindet sich in einem Ausnahmezustand. Trotz der gef&hrlichen Lage um ihn herum, in welcher die Lebensinstinkte allseits aufbegehren, achtet er kaum auf die Wirklichkeit und verf&llt in Illusionen. "Br lachte 243 laut auf wie ein Wahnsinniger . . . und auch sonBt zeigt er Spuren einer sonderbaren Umdammerung. Allein, das klingt nur an. Jene Symptoms sind beim Qbenhinlesen kaum merklich. Doch ist auch die Anlage des Absatzes beredt. Durch Gedankenstriche aneinandergereihte Langs&tze, Ausrufe und Fragen: diese stilistischen ZUge tragen zum hastigen Tempo der Passage bei; sie betonen aber zugleich das Fragmentarische, Abweichende und Anomale. Der Krise der erregungsgeladenen Moskauer Szenerie ent- spricht die innere Bedrangnis Holkens. Andererseits ist flir seine beginnenden GemUtsstorungen nichts sprechender als die Umweltvergessenheit, mit der er in diesem Hexen- kessel momentan einem verstrichenen Idyll nachh&ngt. Hartmanns Biograph Wittner kommentierte in diesem Zusammenhang: In der Schilderung des Wechsels, der in Holkens Wesen durch seine russischen Schicksale eingetreten ist, hat der Dichter die Grenze des Pathologischen Uberschritten. . . . Freilich ist zuzugestehen, daB er solch "starke Tr&nke" brauchte, um die sonst schwer begreifliche Katastrophe auf einen fest fundierten Unterbau zu stellen (Leben. 11,453). Vittner macht seine AuBerung in kritischer Absicht, er betrachtet hier offenbar die novellistische Benutzvmg von Grenzzust&nden des Seelenlebens als ttbertreibung. Warum aber sollte sich der Gebrauch derartiger Stoffe 244 verbieten? Eine RUckschau auf die behandelten Novellen zeigt, daB Hartmann durchaus kein Tabu fiir das Motiv des Geisteskranken anerkennt. In "Die Glocke" begegnete Marie, dem "Krieg** waren Liduschka und der "tolle" Honsik beigesellt. Bedeutet diese Verwendung von Gestalten in Ausnabmezustanden Verstofi gegen Prinzipien der Wortkunst oder gegen guten Geschmack? Eine solche Meinung ist schwerlich vertretbar, denn ausgerechnet "... Shake speare und Goethe haben die meisten pathologischen 2 Figuren.'* Wir erinnern nur an Goethes Gretchen, Orest und Tasso. Fur den Dichter verlohnt die enorme Fallhbhe, die verftigbar wird, das Veranschaulichen der geistigen Veranderung eines Individuums von der gesunden zur psychotischen Verfa3sung. Welche Abarten pathologischer Zustande hat Hartmann verwandt? Ausgenommen Honsik, den Tolpatsch aus der Dorfgeschichte, handelt es sich um Psychosen. An Lidusch ka, Marie und Holken vollziehen sich krankhafte Persbn- lichkeitsverhnderungen auf Grund von Gemlitsbelastungen oder SeelenerschUtterungen. Umweltsimpulse treiben Liduschka in die Umnachtung: Leid um den Tod des ersten 2 P. J. Moebius, Das Pathologische bei Goethe. (Leip zig, 1898), zit. bei Gever. Dichter . . . . 3.15. 245 Bruders und Furcht vor dem vermeintlich bevorstehenden Verlust des zweiten. Schuldgefuhle losen bei Marie Schizophrenic aus. Holkens BeiruBtseinsstdrangen sind ebenfalls seelisch bedingt, wie sphter noch weiter er- lautert werden wird. In seiner Monographie Dichter dee W&hnainna. (Gbttin- gen, 1955)» untersucht H, Geyer die Eignung vahnhafter Motive hinsichtlich literarischer Wiedergabe. Er gelangt zu dem SchluB, lediglich "vbllig verblbdete Oder sonst absolut unzugangliche Greisteskranke" seien zum Veranschau- lichen ungeeignet (S.262). Er unterstreicht allerdings, daB . . . die psychogenen Psychosen sich naturgemaB am besten zu dichterischer Verwendung eignen, da sie nicht grands&tzlich auBerhalb logischer Ordnungs- prinzipien stehen. (S.22; vgl. S.258-259) Was diesen Typus seelisch verarsachter Erkrankungen, eben denselben, den Hartmann bevorzugt, vor anderen fttr die Dichtung qualifiziert, ist der Umstand, daJ3 der Autor ursprtlnglich gesunde Menschen umreiflt. Mit diesen vermag sich der Leser ohne Schwierigkeiten zu identifizieren. Weiterhin lhflt sich diese Erscheinungsform der Personlich- keitsverhnderang im allgemeinen mit hinreichender Moti- vierang ausstatten. 1st dem Autor von "FeigheitM fUr seinen Helden das Schaffen eines Airs von Plausibilitht gelungen, das letztlich die ausschlaggebende Hinschrhnkung fiir die Ver- wendung des Motivs des Geisteskranken vorstellt? Darstellungaweise und Begrlfflichkelt A. Problematik anstatt abstraktes Argument Anfangs des zitierten Abschnitts b) wird die allge- meine Verfassung Holkens strichhaft angedeutet. Die Hnt- wicklung ist so wait fortgeschritten, dai3 sich hfiufig Wahnbilder einstellen und bereits Befremden iiber Holkens Verhalten in seiner Umgebung wach wird. Infolge der Wiederbelebung der Feindseligkeiten vermag der Verstorte jedoch unterzutauchen in der allgemeinen Verworrenheit. Vechselseitig sind geschichtliche deutsche Situation und individuelle Lage des Offiziers als eine Spiegelung gemeint. Die Peripherie dieser Allegorie zwischen Holken und Deutschland liefert der Beginn der Novelle. Die allgemeine Vorbetrachtung stellt Deutschland als das Land des Unvollendeten, Zvietr&chtigen und Gegens&tzlichen hin geographischer und sozialpsychologischer Spiegel fttr Person und Geschick des Militars* Das gemeinsam Fragmen- tarische, Unvollkommene von Holkens Domizil und 247 Deutschlands Emblem, von Schlofi Holken und Kdlner Dom, dient als Zwischenglied der G-leichung (364-368). In den Inkrels der Allegorie f&llt Jene tfendung, die beim emeuten Rekrutieren des Verwirrten auf die "Ldsung von . . . Schuld und SUhne" (410) als deutsche mad Holkensche Befangenheit anspielt. Es gelingt Hartmann an dieser Stelle nicht zwingend, dem Leser eine symbol!sche Verschmelzung anzutragen. Der Zusammenhalt fUhrt nicht ttber den allegorischen Vergleich hinaus. Der Dichter ist sehr weit auf die rationale Seite der Sinnbildlichkeit geraten. Das vermochte Wittner zu der Hypothese zu verleiten, "Feigheit" sei eigentlich eine Problem-Novelle, d.h. ein bestimmter begrifflicher Zusammenhang, n&mlich Schuld und SUhne, werde darin abgehandelt. Der Biograph schwankt unschltissig zvischen dieser Behauptung und ihrer ZurUck- nahme (vgl. Leben.11.450.453.469). Einmal zitiert er zur Erh&rtung der Annahme eine— leider unbelegte— Bemerkung aus einem Briefe des Dichters. Demnach sollen jenem die Gestalten in "Feigheit" "ausschlieGlich als Tr&ger irgend einea mehr oder weniger verwickelten psychologischen Prozesses interessant . . . " gevesen sein (Leben.11.469). Ist dieses Zitat nicht mit demselben Recht darauf anwendbar, daB ein Entrollen eines PersiJnlichkeitsverfalls 248 im Vordergrund steht? Dabei hat man es doch ganz und gar mit einem psychologischen Prozefl zu tun. Immerhin lfcflt sich positiv entscheiden, dafl der seelischen Entwicklung des Helden ebensoviel Wert beigemessen wird, wie der Beleuchtung des Problems von Schuld und SUhne. Im Grunde urteilt Wittner deduktiv, von einer generellen Konzeption aus, der er an anderer Stelle seiner Biographie Ausdruck verliehen hat. Er huBert dort zur Prosa Hartmanns: Eine Wandlung seines novellistischen Schaffens hat sich schon in der nGlockeH vernehmlich angekUndigt. Hatten wir in seinem frUheren Novellen in erster Linie die Ausgestaltung eines persbnlichen Erlebnisses als causa movens gefunden, so wird ihm jetzt die Novelle das Kunstmittel zur Lbsung eines psychologischen Problems. . . . Bereits in der "Glocke" tritt daB mehr hervor, und die Wintersaat von 1859 steht ausschlieftlich unter diesem Zeichen. Der Dichter schreibt sich ein psycho- logisches Problem, das in seine Gedankenvelt dominierend eingetreten ist, von der Seele, indem er es novellistisch zu Ibsen versucht. (Leben,11,514) Hartmanns Biograph versucht hier eine Klassifizierung von Hartmanns Schbpfungen. Eine frUhere Phase soli stoffliche Anregungen aus eigenem Erleben verwerten, ab 1858-59 soil sich danach eine Inanspruchnahme durch psychologische Probleme bekunden. Es ist miBlich, da£ der Biograph bei seinem Periodisierungsversuch ausgerechnet "Die Glocke" als Beleg anfUhrt. Gerade diese Briefnovelle ist zu 249 vielseitig, zu sehr auf einem Symbolgeflecht basiert, um als Problem-Novelle in Betracht zu koramen. Wle sie in romantische, tragische und pathologische Bezirke ausgreift, offenbarte die Analyse. Wenn den Dichter in "Feigheit" vie in "Die Glocke" etvas gleichermaflen fasziniert, so ist es das wahnartige Motiv, nicht aber ein abstraktes Argument. F&lschlich scheint Wittner die Darstellung der Persdnlichkeitsveranderung fllr das Diskutieren eines psychologischen Problems gehalten zu haben. Noch aus einem weiteren Grunde lafit sich Vittners Periodisierung von Hartmanns Kunstaustibung gerade anhand der "Glocke" nicht bekraftigen: hatte sich nicht in "Der Krieg um den Wald", der Dorfgeschichte am Anfang des Prosaschaffens, die Behandlung desselben Motivs seelischer Ausnahmezust&nde gezeigt? Im Portr&t von "Miss Ellen" gab es gleichfalls frith fthnliche Substrate fWerke. IV,257ff.). tJbrigens zeigt sich an diesem, bis zuriick zu jener frUhen Dorfgeschichte verfolgbaren Motiv auch, vie wenig glUcklich ein anderweitiger Einteilungsversuch des Hart- mannschen Verks auagefalien ist. Latzke, der Bearbeiter des Bdhmen in Castles stammestUmlicher Literaturgeschichte, mbchte den "Krieg" noch einer ersten Phase zuordnen, der " . . . des stark heimatlich orientierten jungdeutschen Satirikers ..." (Dt.-Qsterr. Lit"gesch..111.493). 250 Veder das Einverleiben romantischer Elemente, vie es In der Integration des M&rchensgipfelt, noch das Territorials im "Krieg" scheinen besonders bezeichnend fUr jungdeut- schen Stllwillen. Das Prosawerk, das wir hier in Aus- zttgen betrachteten, wirkt schon vom Einsetzen an nicht so, als sei es unter jungdeutschen Gesichtspunkten er- wachsen. Die Abwesenheit elner politlschen Zlelrichtung in der untersuchten Dorfgeschichte entfernt den Prosa- Schriftsteller Hartmann ebenfalls vom Jungen Deutschland. Um auf Wittners Unterteilung zurUckzukommen: es bestehen noch veltere Grtinde, die sie unvahrscheinlich machen. Die Darstellungssltuatlon eines persbnlichen Erinnerns, eines memoirenhaften Beteiligtseins und eines Angesprochenseins pflanzt sich auch in Werke nach 1859, in jene von dem Biographen als psychologische und mehr sachlich, vom Problem her beetimmte, Epochs fort. Derartig viele sphtere Schrlften sind autobiographisch oder aus Bekanntschaft inspiriert, daB es nicht ver- vundert, wenn Wittner der eigenen Eintellung im Laufe •^Vgl. dazu in Werke u.a. "Bei Kunstreitern", VI,115ff. (Erste Keime dazu in "Prager M&rz- u. Apriltage", X,25). "Dr. Schvan", VT,l67f.; "Der Hetman", VI,415f.; "Der FlUchtling", VII,153f.; "Der alte Richter", VII,464f.; "Eine Mutter", VII,392f. 251 seiner Biographie andere, auch widersprechende, an die Selte stellt (Vgl. Leben.II.450.469.592). Bel der Vlelseitlgkelt der Hartmannschen Novellen- produktion lassen sich schwer einwandfreie Kategorisie- rungen vornehmen: die Stoffstreuung, die Mannigfaltigkeit der Behandlungen, und die Verschiedenartigkeit des Tem peraments von Novelle zu Novelle schelnen gerade Quali- taten von Hartmanns schriftstellerischer Bethtigung. Wittners Einteilung wirkt auch dadurch fragwtirdig, daB sich schon in den frUhen "Erzahlungen eines Unsthten" das DurchfUhren eines, von ihm daftir gehaltenen, abstrakten Arguments findet. Er hatte dort selbst die ersten Er- z&hlungen von Buch III als durch das gemeinsame "Problem 4 des Gewissens" verbunden angesehen. Die Pragung von Novellen als Gebilden, die in einer der Mehrzahl von 3chichten, aus denen sie sich aufbauen, sich als Auf- schlUsseln eines definitiven Problems verstehen lassen, zeigt sich mithin bereits auf einer frUhen Stufe im Prosaschaffen des BShmen. In diesem Sinne empfindet man auch Wittners Meinung, daB sich "'Feigheit* geradezu als die Novelle des bbsen ^Leben.II.214-216. Vgl. "Verbannt", "Das Nessuskleld" u. "Das Wort einer Frau", Werke. IV,399ff. 252 Geviaaena bezeichnan” lafit, ala Vorbeigehen am Sachrarhalt (Laban. 11,453)* Dia Parabnlichkeitaverhnderung Holkans let an aich abanao gewichtig behandelt. Ferner wird dan Vorgaachlohtan dar drai Mittelpunktsfiguren und dan Kriegal&uften arhablichaa Intaraaaa gewtthrt. Dia Novella let, glaich dar "Glocke", zu mannigfaltig, um aich in ihran Strukturen einem einzlgen Problem unterzuordnan. Ala problamatiach liefie sie aich dagegen bezeichnen, dann aie iat raich an Konflikten. Infolgedesaen achenkt die Binnenerz&hlung dar Umwelt relativ wenig Beachtung. Naturbaachraibung und Detail- wiedergabe von Artifakten aind in ihr, glaich dar "Glocka", aparaamar gahandhabt ala gemeinhin bei Hartmann. Dia raaliatiachan Merkmale dar Binnangeachichte erachbpfen aich nahazu in dar Geachichtllchkait und dar Dynamik daa hiatoriaohan Hintergrundea sowie in dar Klaraicht fUr aoziala Differenzierungen und Bvolutionen. Bingeftthrt warden Holkan, Harigny und Helene ala Exponentan aozialer, dan hiatoriaohan Vandal veranaohauliohender Sohichten. Holkan varkbrpart einan jungan Ariatokratan altar Schule, dar aioh auoh dan Gegebanhaitan dar gawaltaam lagitlmiartan napolaoniachan Gaaallachaft anzupaaaan weiB. Garada dia gamainaame aoziala Herkunft aua dar tlberkommenen Ober- achicht, die Eaigrationaerlebniaae und daa milieu- badingta Reasentiment gegen dia revolutionhren VorflLlle 255 schaffen einen Eigenbereich von Solidaritht und Aufge- schlossenheit zwischen Helene und Holken. Als Etapor- kcJmmling kraft der Revolution, der durch Napoleons Ein- greifen in die Offizierskaste arrivlerte, steht Marigny, selbst als Gatte Helenes, auBerhalb dieser Sphare. Derartig gliedemde Anordnungen sind im Rahmen der Novelle gelungen ineinander gefttgt. Das erfolgt auf Kosten detaillierter huBerer Vergegenvhrtigung; es han- delt sich aber nicht um blasse Schematisierung. Lediglich werden dem Leser h&ufig Motivationen und Stimmungen merk- licher gemacht als visuelle Umrisse. Konflikte und Ge- gens&tzlichkeiten rucken die Binnenerzahlung besonders nahe an das Drama heran. B. Dramatisches Handlungsschema Die enge Vervrandschaft zwischen Novelle und Drama scheint sich auch im Aufbau auszuweisen. Insgesamt setzt sich die Novelle aus sechs Kapiteln zusammen. Genau ein Eapitel nimmt die Rahmenerzhhlung in Anspruch, so daJ3 sich die eigentliche Handlung auf fUnf Kapitel aufteilt* 1863, also nach dem Entstehen von Hartmanns Novelle, erschien Gustav Freytags Technlk des Dramas. Whhrend der Text Hartmann schwerlich bei der vorausliegenden Konzeption seiner Novelle zugfinglich gewesen sein kann, 254 reflektiert Freytags AbriB doch allgemein verbreitete und Hartmann offenbar vertraute Konventionen der Epoche um 1860. (Gleichzeitig enthtillt Freytags Zusammenfaesung Verblndungslinien der deutschen poetiscben Realisten zur deutschen Klassik.) Nach Preytag verlhuft die fachgerechte Dramenhandlung in den folgenden Stufen Oder Akten: I-Exposition, II- Steigerung, III-H<5hepunkt mit Grltickswechsel, IV-Pallen der Handlung, V-Katastrophe. Preytags Versuch einer Regelsetzung reiht sich an eine lange Reihe historischer Vorghnger, deren Normen das kUnstlerische Genie immer wieder gespottet hat und die gerade die Dramatiker des 20. Jahrhunderts weniger denn je beachten. Aber hier stehen nicht Irrtum oder Richtigkeit von Freytags drama- tischer Doktrin zur Diskussion, sondem die Beziehungen der dadurch ausgesprochenen Konventionen zu Hartmanns Novelle. Mit geringfiigigen Abweichungen korrespondiert die Einteilung der Binnenerzahlung dem von Preytag gelie- ferten dramatischen Schema. Kapitel II bringt die Vor- geschichte Holkens, Marignys und Helenes und fUhrt diese 5 drei Zentralfiguren zusaramen. 15 "£B ist zu beachten, daB sich die Zahl der den Akten des Dramas vergleichbaren Kapitel durch die vorausgehende 255 FUr Akt II sieht Freytag die Steigerung vor. Beginnt lndes in MFeigheltH nicht schon in Kapitel II, dem Akt I des Drama-Ablaufs, das Verfangen Holkens und Helenes? Aber Freytag r&umte selbst eint "Von der steigenden Handlung wurde gevBhnllch die erste Stufe noch in den ersten Akt . . . genommen" (Gee. Werke. 2.Aufl., XIV,172). Analog dem Schema setzt Kapitel III der Novelle die Steigerung fort und fUhrt noch ein erregendee Moment ein: wird Marigny allein reisen? Der Mittelakt der Binnenerzahlung entspricht anna- hemd Freytags AbriB: die Vervicklung wird referiert, die fortgesetzte Beziehung zwischen Helene und Holken lauft durch die Verschuldung auf den Glttckswechsel zu. Der einschneidende Wandel manifestiex-t sich durch die Trennung, das erste Glied in der Kette der Verschlimmerungen, die schlieBlich zur Katastrophe hinlenken. Die Wiederbegeg- nung im brennenden Moskau illustriert schon, welche Verschlechterung in der allgemeinen Lebenslage und auch in den Beziehungen zwischen den Geliebten eingetreten ist. Kapitel V fUhrt mit dem Tode Helenes und Marignys, gleichlkufig zu Freytags Kompositionseinteilung, das Fal len der Handlung aus und zttgert die SUhne noch durch das retardierende Moment von Holkens Errettung hinaus. Hahmenerzfthlung stets um eins erhttht 256 Im SchluBkapitel findet, in Analogic zu Freytags Auf- bauschema, die Katastrophe statt. C. Antithetische Anordnungen Vie sich die Binnenerzahlung in eine dramatische Architektonik ordnet, so n&hern sich auch deren Ideenge- halt und Figuren dramatischen Fligungen an. Divergenz, GegenUberstellung und ZusammenstoB kennzeichnen Beschaffen- heit und Haltung der Beteiligten und Motive. Marigny, der Republikaner aus tfberzeugung, ist unversehens Mitlhufer erst eines opfervUtigen Revolutionstribunals und dann eines groBen Despoten, Napoleons, geworden (578; 384). Holken, der deutsche Major, k&mpft widerstrebend fUr die Fahne Napoleons, machdem sich sein Oberherr unter die Alliierten des franzbsischen Kaisers eingereiht hat (376). Verschiedene Herkunft und Erfahrung tragen Gegenshtz- lichkeit selbst noch in die Ehe Marignys hinein. In dieser latenten Unstimmigkeit in Marignys Verhfiltnis zu Helene verkbrpert sich der Keim zur Verstrickung Helenes und Holkens. Motivlich bildet das Darstellen ihrer Zuneigung eine Wiederaufnahme des Motivs der verfehlten c Liebenden. Das Motiv birgt per se dramatische Qualitaten; ^Eine gel&ufige Verwendung findet sich in Schillers Don Carlos, vo Kbnigin Elisabeth und Carlos ursprUnglich 257 das fUr einander Bestimmte, Wahlverwandte ist sich be- nommen: vie vom Zentrum eines Netzes laufen daher Maschen von Polarit&ten nach alien Richtungen, in denen die Handelnden sich fangen. Wie tragt sich das im Falle Holkens, der Zentralgestalt, zu? Im Widerstreit von Neigung zu Helene und sittlicher Verpflichtung gegeniiber dem Freund Uberwaltigt Holken und Helene die Exaltation der Rettung aus einem brennenden Ballsaal. Der Deutsche gerht noch tiefer in Verschuldung als ihm der Freund, zum spanischen Kriegsschauplatz abberufen, die Frau zur Flirsorge anbefiehlt und abreist. Doch bald treibt das Schuldgeftlhl die Geliebten zur Iren- nung. Fortan ist Holken zur Slihne seiner Schuld bereit. Aber ein Gestandnis verbietet sich fUr ihn zu Helenes Lebzeiten, da er sie gef&hrden vtirde. So pendelt der Offizier im Widerspruch zweier Daeeins- veisen: in der eigenen schuldhaft verfehlten Existenz sehnt or sich nach der Lebenseinstellung Marignys. Inso- fern ist der franzbsische Oberst durch die gesamte Binnenhandlung hindurch die Gegenfigur zu Holken, vas sich fUr einander bestimmt waren. Die Spannungen infolge der fortbestehenden Anziehung tragen letztlich zum Untergang des Helden bei. 258 ebenfalls in Holkens Untergang bewahrheitet. Insofern ist auch die entgegengesetzte Darstellung der beiden Geschbpfe im Teztausschnitt a), der Szene des Moskauer Brandes, zu verstehen. Hier bewahrt sich das Wesen Marignys als t&tiges, ordnendes, pflichtbewuStes Ele ment— dort zeigt sich Viktor als der Getriebene, Irrende, den Ungereimtheiten seiner Einbildungen Unterworfene. Aus dem Ziriespalt von SchuldgefUhl und Liebe ist Holken willig in den Feldzug geflUchtet. Hier taucht das Motiv des Lebensttberdrusses und der Suche nach dem Kriegstod auf, wie es aus Goethes Wahlverwandschaften bekannt ist (Eduard). Aber dialektisch schl> das Schicksal um; obwohl sich Holken unbewaffnet dem Freund stellt, f&llt nicht er, sondern Marigny. Ein befreiter Russe streckt den Franzosen nieder, schont aber den Deutschen. Traglsche Zuspitzung A. Begleitende Signals im Schicksal des Helden Das Stihneverlangen Holkens verleiht der Weltbegegnung in der Novelle eine Sonderform dramatischer Auffassung: den tragischen Aspekt. Die Tragik ist nicht einmal auf einen Helden beschr&nkt: auch an Helene vollzieht sich ein 259 tragisches Greschick. Denn es ist das innere Zerwttrfnis, welches sie seit dem Ehebruch mit Viktor drhngt, ihrem Mann nachzureisen; welches sie veranlaBt, ihm im letzten Augenblick doch immer wieder feige auszuweichen und welches ihr derart schliefllich auf dem Ruflland-Feldzug den Tod bereitet. Auch bei ihrer Stihne, wie bei Holkens, spielt Feigheit eine Rolle. Um den Titel der Novelle ghnzlich zu begreifen, darf man allerdings nicht auBer acht lassen, dafl es sich bei des Qffiziers Flucht ledig- lich auJ3erlich um Feigheit, eigentlich aber um eine gestbrte Persbnlichkeitsverfassung handelt. Wo laBt sich in der Novelle der Urgrund der Tragik identifizieren? Im Menschen selbst? Im Universum? Zweifellos wird die Welt als rissig aufgefaBt, das liegt ohnehin dem dramatischen Weltverstfindnis nahe. Das Motiv der verfehlten Liebenden hilft eine Welt in Diskrepanz begrlinden: das Zusammengehdrige, Vorherbestimmte scheint widersinnig geschieden. Aber das Individuum steuert durch seine Veranlagung zur Tragik bei. Verhehlen wir uns bei der Analyse nicht, da£ Holken nach dem Ableben der beiden anderen Figuren seine Schuld verdrhngen Oder in einem Neuanfang kompen- sieren ktJnnte— beim imagin&ren Beteiligtsein des ersten Lesens dUrfte das ohnehin entgehen! Aber Holken ist 260 mittendrin im 3plel um Schuld und SUhne: die Einbildungs- kraft des Autora erl&uht ihm kein Aueveichen oder Zurtlok, er mu£ zuende agieren. Schauplatz 1st die Voratellungs- welt; die Vahnleiatungen von Holkens Fhantaaie motivieren den ferneren Ablauf. Ob der Leaer folgt, dieae Frage hatten wir achon frUher aufgeworfen, aber noch offengelassen, h&ngt g&nz- lich ab von der Gabe dea Autora, daa Publikum durch vor* aichtige Signals zur ElnfUhlung in daa geatbrte Seelen- und GefUhlaleben der Gestalt anzuleiten* Sind doch daa Wortgeben und Benennen der Dinge und Abl&ufe, die vor- nehmate Aufgabe dea Dichtera, zugleich ein Pr&gen der Gedanken des Leaera. Desaen Fhantaaie und Freiheit aind zwar aufgerufen, doch atets nur in den beatimmten Grenzen der Aaaoziation oder dea "roten Fadens". Dem FluB der Ideen und Bmpfindungen des Publikums wird ein Bett vorgezeichnet. Bei Holkens innerem Zwiat von Pflicht, Liebe und SchuldgefUhl Uberraacht ea nicht, daB er aich gern in die Gefahren dea Rufilandfeldzugea atUrzt. Dieser Krieg verheiflt ihm Ablenkung und vlelleicht Tod (396). Auf- f&llig verUndert ist daa Verhalten gegen Napoleon, dem gegenUber er aich nicht mehr als Sbldner fUhlt, obwohl er fUr den Franzoaen und letzlich gegen das Interease 261 seines eigenen Vaterlandea auf Eroberung auszleht. TrUbe Vorahnungen und Todesverlangen Uberdecken solche Gedanken nunmehr vbllig. Der Einmarsch in Ruflland beschert dem Major und der Kriegsgeschichte neuartige, ungeahnte Taktiken. Dieser " . . . Krieg mit einem unsichtbaren, geisterhaften Feinde . . . ” mutet Holken wie eine auJ3ere Manifestation seines seelischen Ringens an und treibt seine innere Zerrttttung voran. Ganz zu Recht malt Hartmann die psychologische ZermUrbung dieses Heerzuges aus. Heutige Geschichtsforscher bestatigen, daB "die religibs nationale Erhebung RuBlands gegen die Invasion . . . mit der Mystik des Heiligen Krieges . . . M betrieben wurde und kenn- zeichnen die Fremdartigkeit der Kriegsftlhrung mit den Worten: Der Feldzug von 1812 ist . . . vor den beiden Welt- kriegen des 20. Jahrhunderts das klassische Beispiel fUr die Bedeutung der Weite des russiscben Raumes.? Die Textstelle vom Brand Moskaus wurde bereits aus- fUhrlicher behandelt. Deren Momentaufnahmen und impres- sionistische Wiedergaben subjektiv-sinnlicher Emotionen 7 Hans Herzfeld, Die Epoche der btlrgerlichea Rational- S tftaten. 2.Auflage, (Braunschweig, 1957), S.65-6£. Bd.t es Standardwerks Die Modeme Veit. 262 und Vorstellungen in der erlebten Rede vermitteln einen nachhaltigen Eindruck der weiteren Persdnlichkeitsver- Underung Holkens. Der strichhafte Bericht vom RUckzug der ttberreste der Groflen Armee zeigt ihn Hunger, Winter, und der psychologischen BUrde dauemd bevorstehender Oberfalle von seiten der Kosakenhorden ausgesetzt. Im Verein mit diesen tJberreizungen stehen die traumatischen Erfahrungen des letzten Beisammenseins mit Marigny und dessen Frau. Ehe Helene stirbt,erf&hrt Marigny von ihrer Verschuldung mit dem Freund. Eben als Holken von der Hand des Majors Tod und SUhne empfangen soil, sinkt der Franzose nieder— von einem eindringenden Russen erstochen. Nachdem der Leser derart zu einem einfUhlenden Ver- stehen angehalten ist, empfindet er die Verfassung plausibel, in der Holken anfangs des Textabschnltts b) auftritt. Die halluzinatorische Gesichtigkeit der Welt Holkens und sein Gebahren wirken auf den Leser weniger befremdend als auf Holkens Umgebung in der Erz&hlung. Wenn die Axiome in der Denkweise eines Paranoiden einmal akzeptiert sind, pr&sentieren sich die meisten seiner "verrUckten" Gedankenghnge als unerwartet logisch— Be- sucher pathologischer Seminare warden diese erschreckende Erfahrung nur best&tigen kbnnen. Abweichung und 263 eonderbare Zwiesp<igkeit, die sich in der zweiten HSlfte von Absatz b) aussprechen, Holkens Todesverachtung in kriegerischen Siiruationen und gleichzeitig seine ver- stbrte Zaghaftigkeit, als er sich dem frUheren Heim der Marignys n&hert, erstaunen daher nur venig. Es ist bemerkensvert, daB Marignys Tod ausgangs des erwahnten Zitats mit der nebulbsen Formulierung des Portiers geriichtweise in Frage gestellt wird. Das er- weist sich als bedeutungsvoll fUr das Auslaufen der No velle. Europa ist nach den Freiheitskriegen but eine kurze Ruhefrist vergiJnnt bis Napoleon aus der Verbannung zurllckkehrt. Auch Holken, diesmal als General, wird dadurch wieder ins Feld gerufen. Seine GewisBensntSte halten unvermindert an und er empfhngt deshalb willig einen riskanten Flankenposten gegenliber einer Artillerie- stellung, die es zu erstUrmen gilt. Ein Traumgebilde in der Nacht vor der Schlacht besthrkt ihn in der GewiBheit, an diesem heiklen Punkt der Front von Waterloo den er- sehnten Tod zu finden. Allein, das Schicksal nimmt, wie der Textausschnitt c) referiert, einen ganz andersartigen Lauf: die legendhre Existenz Marignys, vom Portier einge- flttstert, vergegenwartigt sich im Untergang Holkens. Zum Unterschied vom Wortlaut c) aus der Rahmenhand- lung wird die SchluBepisode von der Binnenerzhhluzxg 264 anschaulicher vorbereitet (412-414). Die Aufstellung vor der feindlichen Anhbhe wird beschrieben, die Formation der Kavallerie, die derzeit ein eindringlicheres Blld von Bewegung und 3chrecken dee Kriegs und des Fluchtgettimmels zu beschwbren vermochte als Infanterie oder als die ver- gleichsweise weniger entwickelten mechanisierten Ver- nichtungsmittel der Epoche. Der Schauplatz wird durch die Pulverschwaden der Artillerievorbereitung verdtistert, die Bich beiderseits Uber die Stellungen legen und die Sicht nehmen. B. Zuschnitt der Lbsung Als Holken vor der vordersten Linie seiner Reiterei in diese Pulverwolken hineintaucht, ahnt er nicht, daB seine Schuld gesichtig werden soils in der Erregung der Attacke, in seiner Todeserwartung, in seiner paranoiden tTberspannung vermeint er, in dem ersten der Feinde Marigny zu erblicken und versagt und flieht in panischem Schrek- ken. Holkens Scheitem bietet die Katastrophe der tragl- schen Handlung (Vgl. 374). Tod, als huBerste Artung des Untergangs, ist neben Transzendenz das zentrale Anliegen der tragischen tfeltbegegnung. Seit seiner Verschuldung ist Holken bereit, den Tod zu akzeptieren, er sucht -ibn 265 geradezu. Warum erduldet er ein anderes SUhnelos? Die Gestaltung der SUhne bezeugt abermals die AffinitfiLt der Novelle zu dramatischen FUgungsprinzipien. Die Theater- wissenschaft kennt das hlstrlonlsche Gesetz des lex tflllonia. das "Auge um Auge" der Bibel, oder, wie es sich in Handlung und Titel der Shakespearschen KomSdie exem- 8 plarisch ausdruckt, das Motiv des "Measure for Measure". Hat nicht auch Hartmann das Verhhngnis seines Helden in "Feigheit" nach diesem Grundsatz hergerichtet? Die auferlegte Strafe entspricht in Methode und Schveregrad dem verursachten Schaden oder Leid: an dem Wortlaut des SchluSsatzes der Novelle bestatigt sich unsere Auslegung (414). Da Holken sich einer Ehrverletzung an dem Franzo- sen schuldig gemacht hat, muB er selbst mit Khrverlust bUDen. Psychisch und sozial fhllt deshalb sein Leid avis, nicht physlsch: ein Weiterleben in Ehrlosigkeit, De- gradierung und Elnsamkeit ist ihm beschieden. Ruhm und Befbrderung zum General, die ihm vor der Katastrophe gev&hrt wurden, lassen als vorausgehende heroische Steige- rung sein Scheitem nur noch intensiver empfinden. Der Begriff der Tragik umfaBt neben Verhangnls dia- lektisch Transzendenz. Verleiht Hartmann dem Ungemach 8Vgl. Eric Bentley in "Springs of Pathos", last of seven Charles Eliot Norton Lectures given at Harvard University in 1960-61. 266 seines Helden ZUge, die eine Erquickung in der Misere, eine Behauptung in der Zerstbrung, einen Sinn in der Sinnlosig- keit erahnen lassen? Holkens Fall schafft vieder Gleich- nafi, vo es von seiner Verfehlung angetastet war. Dartiber hinaus existiert nur ein Qu&ntchen an Aufrichtung. Der dritte der Textausztige zu Anfang dieses Kapitels entstammt einem Gesprhch zvisohen den zvei Beteiligten der Rahmenhandlung. Von den Sprechem dort fungiert der Fastor als VerbindungBglied Holkens mit der Umgebung, durch seine Vermittlung kann der ZurUckgezogene noch spftrliche Wohlta- ten bevirken* Die Hahmenerzhhlung erfUllt mithin auch den Zveck der Schlichtung; indessen liegt darin kaum die Haupt- funktion, denn ausgangs der Novelle, wenn das tragische Verhhngnis eintritt, hat der Leser die Abmilderung meist aus den Augen verloren. Vielmehr unterstreicht die ein- fUhrende Handlung die tragische Deklassierung des Bin- siedlers. Isolation, Verlassenheit und Verzweiflung kennzeichnen vor allem die Lage des Exmilitttrs. Wieder, vie bei Ferdinand in "Dur und Moll" und bei Max in "die Glocke" (jedenfalls bis zu dessen gevaltsamen Aufraffen am Schlufl), behttlt die graue Welt die Oberhand. Holkens Abgeschnittensein und Bindungslosigkeit in der Welt sind vombglich gegenUber Ferdinands noch verschhrft. Betont nicht der Touristenbetrieb um Holkens Residenz, vovon der 267 Hausherr ebenso abgesperrt 1st wle von anderen Beziehun- gen, 8eine Kontaktarmut zusatzlich? Indem Hartmann den Helden der Binnenerzahlung nicht an der Rahmenhandlung beteiligt, gestaltet er den Ein- druck des Mltteilungsmangels noch flihlbarer. Holken let abseits, entrtickt. wahrend negativ dadurch seine de- primierende Vereinzelung hervorgehoben wird, ist andrer- seits der Abstand zwischen den Personen der Rahmenhandlung und dem Abgesonderten akzentuiert. Es handelt sich somit unter anderem auch um eine Feme des Respekts. WechselbezUge von Schaupiatzen und Erzahlhaltung Ebenso wie das Ranggefalle zwischen den Rollen der Rahmenhandlung und dem tragischen Helden ist die Ungleich- wertigkeit von Rahmengeschehen und traglscher Begebenheit der Binnenerzahlung herausgearbeitet. Zum tJberflufi bieten die beiden Handlungen auch eine Nebeneinanderschal- tung von TiJnungen. wahrend Leidenschaft, Schauder und Terror der tragischen Daseinsweise die Binnenerzahlung beherrschen, durchschwingen Nuancen von Mitleld, Melan cholic und Verzweiflung die Rahmenhandlung. Im Grunde prhsentieren sich mit den Schaupiatzen der Binnenerzahlung und des Rahmens zwei Velten. Hie europaische Weite und Mannigfaltigkeit, von Paris bis 268 Moskau— da kleinstaatlich-provinzielle deutsche Eingeeng- thelt. Betrachtliche zentripetale Kr&fte muBten aus der verschiedenartigen Konstitutlon der beiden Lebensrhume erwachsen. Ist nicht bereits beim Vergleich der elngangs zitier- ten Textabschnltte eine Abweichung im Ton wahrnehmbar? Vhhrend die beiden ersten Ausztige eine aus sich selbst entwickelte beunruhigte Prosa aufweisen, bietet der letzte, aus der Rahmenhandlung entnommene, eine arglosere, unproblematischeret naive Auffassung. (Eine weitere Lese aus der Rahmenerzhhlung, die hier dem Leser Uberlasaen werden mufl, wiirde die tJberzeugungskraft dieser Unter- scheidung, wonbtig, erharten.) Die provinziell bemessene Szenerie der Rahmenhandlung veranlaBt den Autor, auf einen analogen Erzhhlerstandpunkt und -horizont einzuschwenken. Das hat wiederum zur Kon- sequenz, daB er nicht auf das BevuBtsein der Mitteilung, auf den erhofften engen Eonnex mit dem Leser verzichten mag. Im Endeffekt, wenn auch kaum in derselben Brschei- nungsform, werden Neigungen ersichtlich, wie sie im letzten Kapitel bei Auerbach auftraten. Die Verquickung der Literatur mit Bildung, bei Auer bach am dldaktlschen Stll unverkennbar, liegt in der Tat 269 auch fUr Hartmann nicht zu fern. In "Dur und Moll" hatte Ferdinand zu verstehen gegeben, daJ3 die Kunst und der "Anblick des Schdnen" "der Vollendung nhher bringen"; persdnlich hatte er insbesondere die Tonkunst und seinen "Sittenlehrer" und "Erldser" Beethoven im Auge (Vgl. IV, 500-502). Auch fUr die Entfaltung Holkens gilt Ahnliches; . . . die groBe Epoche der deutschen Literatur . . . ging nicht spurlos an ihm voriiber; er sah die Welt schdner und von einem hdhern Standpunkt an als seine unmittelbaren Vorfahren und viele seiner zeitgendssi- schen Vorfahren und viele . . . Standesgenossen (375). Aneignung sittlicher Kraft und innerer Bildungswerte: das ist der Kern dieser Art des Kunsterlebens. Ein Brb- teil der deutschen Klassik und des Idealismus gipfelt in diesem Begreifen der Kunst und Literatur als Bildungs- macht. Allerdings wird die tJberlieferung nicht mehr unge- schmhlert hingenommen: hatten Holkens Hirngespinste sich erheben und ihn in die Zernichtung treiben kdnnen, wenn er nicht auf Grund "... seiner mystischen Studien zu dergleichen geneigt gewesen ..." und durch die £e- sch&ftigung mit den "romantisch-mystischen DichtemM in einen Zustand t&uschender Faszination versetzt worden wftre? (Vgl. 409-410; 412). Literatur als etwas Verdach- tiges: dieser Aspekt wurde ebenso in Max' Schmahung romantischen Weltbegreifens am Ende von "Die Glocke" hervorgekehrt (Werke. V,166-167). 270 Sichtlich beschrhnkt sich diese Reaktion gegen das Verstehen von Literatur und Kunst als gesittungsfbrdern- den Faktoren nicht auf romantische Kunst allein. Max wird eingang8 von "Die Glocke" urpldtzlich bUcherartide: fir bekennt, "daS man die BUcher nicht entbehren kbnne . . . . Das ist heute nicht mehr wahr ..." (V,129). Sein Beiseiteschieben erhellt, dafl hier eine Fragwiirdigkeit grands&tzlicherer Natur innegeworden ist. Ohnehin lafit die sonderbare Gebrochenheit, mit welcher der Angriff gegen die Romantik in "Die Glocke" (und ebenso in "Feig- heit") vorgetragen und mithin schon wieder halbwegs zu- rUckgenommen wirdt komplexere Zusammenh&nge erahnen. Hartmann scheint hier selbst noch in einem Klarungs- prozeG befindlich. Die herangezogenen Teile der Novellen muten an wie Fragmente der Auseinandersetzung. Der Widerstreit vollzieht sich dabei figUrlich: er fliefit in die Handlung der Kunstwerke ein, Personen werden zu Exponenten des Arguments, Dualismen zu zwei Gegenfiguren usw. Solche Projektionen und Umsetzungen von Ideen setzten sich, im Vergleich des letzten Kapitels, vom abstrakteren, mehr vordergrttndigen und stracks deklarie- renden Verfahren Auerbachs ab. In "Feigheit" verf&llt Hartmann jedoch selbst einige Male wieder in jene Methode 271 des Einschaltens des Autors, was zushtzlich auf die Un- festigkeit eines tJbergangsstadiums hinweist. Ausgerechnet in die Binnenerzahlung streut er diese EinwUrfe ein (386; 389-390; 396; 401; 404). Gerade dort sind sie indessen am wenigsten angebracht. Dreierlei Un- stimmigkeiten finden somit Eingang in die Rovelle. Erstens: Die beiden Textausztige a) und b) bo ten sich als eine beunruhigte, existenziell aufgewtihlte Prosa dar, die sich selbst vortrhgt. Dem tragischen Gegenstand scheint dieser Stil sachgerecht: die Teilhabe des Lesers an dem erschUtternden Vorgang wird durch die Einwtirfe nur gestort. Es ist gleichsam als sollte ein Theaterbesucher sich wahrend der Tragodie auf eine Unterhaltung mit dem Nachbam einlassen. Zweitens: In der Rahmenerz&hlung ist der Raum und der geistige Horizont eingeschrttnkt, provinziell eingerichtet. In den Einwiirfen meldet sich mit dem argloseren, naiveren Ton, welcher der Rahmenfigur entspricht, mitten in den Ablhufen eines problematischen, weitreichenden Daseins, das andere, einheimische, quasi-kleinbUrgerliche Milieu zu Wort. Der Erz&hler-Autor rtlckversichert den Leser am falschen Platz, mitten im imaginaren, unsicheren Abenteuer der Tragbdie, der Risikolosigkeit des eigenen 272 Standorts und des Vornandenselns der sattelfesten Verbin- dung mit dem Autor. Drlttens: Zwischen Rahmen- und Binnenerzahlung vollzieht sich ein ungerechtfertigter Ebenenvechsel. Die Modifikationen der Erzahlhaltung h&tten sich vielleicht ohne diese fernere Abwandlung minder stbrend bemerkbar gemacht. Zufolge der Rahmenhandlung ist der Vetter des Erz&hlers, ein Pastor, Quelle fUr die G-eschichte Holkens; der Erz&hler steht demnach nicht mit der Binnenhandlung c>der deren Reprasentanten in direktem Kontakt. Ungeachtet clieser Einleitung stellt er sich jedoch mit der Binnener- z&hlung auf eine Ebene— er tragt die Vorf&lle in der Art des allwissenden Zeugen vor. Bs erhoht den Eindruck der Ungereimtheit nur, wenn ausgangs von Kapitel II plbtzlich TagebUcher und Briefe der handelnden Figuren als zusfitz- liche Quellen erw&hnt werden (386) und sich der ErzfiJhler sp&ter iiber seine schriftstellerische Bet&tigung und Absicht huBert (389-390). Bine favorlsierte Struktur Bs ergab sich 1m Laufe der Untersuchung, dafl das Bestreben des Autors nach engerer Kontaktnahme mit dem Leser 1m allgemeinen mit einer belehrenden, die Welt fUr den Leser interpretierenden Einstellung des Schriftstellers 273 einherging. Dieser Zug dringt auch in der Rahmenhandlung durch. Zwar HuBert er sich dort nicht in weiteren Bin- wiirfen; doch pragt er sich in der Anlage des Rahmens selbst aus. Inhaltlich birgt der Rahmen eine Beglaubigung fUr Holkens charakterliche Integritht, ferner jenen allegorisch gedachten AbriB Uber das zerissene und Un- fertige des deutschen Naturells und Schauplatzes. Hart manns langjhhrige Bethtigung als Verfasser von Reisebildern scheint bei der Anlage der Elnfiihrung die Feder geleitet q zu haben. Zveifellos wahrt diese Einleitung nicht die Propor tioned die ihr als Umrahmung der Binnenerzfihlung zuge- messen sind. Ihre Kopflastigkeit verdankt die Novelle, auBer den erwahnten Verstdflen, vor allem einer Anh&aglich- keit an eine bestimmte Struktur, fttr die Bich im Werk Hartmanns mehrfach Beispiele finden lassen. Vgl. etwa die Gleichlhufigkeit der Einleitung mit "Bilder aus Dhnemark", Werke. 111,323* Diese Reisebe- schreibungen berichten auch von einem "einzigen Bevohner, der das gewaltige Friederichsberger SchloB (bei Kopen- hagen) . . . ganz allein inne hat" (306). ttberhaupt scheinen mehrere, Jedoch modifizierte, stoffliche Verbindungslinien nach Dftnemark zu deuten: ein Graf Hoick machte sich im 30 j&hrigen Krieg durch seine Beherztheit und seine "Holkensche Reiterei" einen Namen; Hoickenhavn, ein d&nischer SchloBbau, n&hert sich dem von Hartmann beschriebenen Geb&ude an (Vgl. SatmonHanw Konversations Lekslkon. Kobenhavn, 1921). 274 Wenn man zwischen den Fabeln der bislang betrachteten Novellen Vergleiche anstellt, fhllt auf, daJ3 mindestens zwei davon im Stil einer Entrhtselung angelegt sind. Ks mutet an, als sei das erzShlerische Interesse von einer Teilnahme erregenden Erscheinung geweckt worden und be- friedige sich durch das literarisch transponierte Ausmalen von deren Ursprung, Wandlung und Entwicklung. Aus dem Fh&nomen vis-a-vis werden von einem frUherliegenden Aus- gangspunkt die einzelnen Entwicklungsstadien bis zum momentanen Sosein rekonstruiert. In "Dur und Moll” trifft der Student der Rahmenhand- lung auf einen kranken und lebensmUden Musiker und ruht nicht, bis er dessen Vita kennt. Eine ahnliche Ausgangs- situation, obwohl wegen der BUndigkeit der Einleitung wenlger entfaltet, findet sich in "Die Glocke", wo zuerst der fertige Industriekapithn als Urheber der folgenden Briefe genannt wird und dann die "rhthselhafte Geschichte" seiner Hinwendung zur untemehmerischen Lebenshaltung entwickelt wird. In "Feigheit" scheut der Dozent der Rahmenhandlung keine MUhe, bis er nach hartnhckigem Be- harren endlich in die Geschichte des geheimnlsvollen SchloBbewohners Graf Holken elngeweiht wird. Die Bel- spiele kbnnten durch andere Novellen Hartmanns vermehrt 275 werden.10 In "Die AusgestoBenen" (Werke. VII,3-60), wahrt eine wlssenschaftliche Hilfekraft verstockt Schwelgen ttber Herkunft und perstJnliche Verh<nisse, bo dafi dor Dienstherr zunehmend erplcht wird, das Inkognito und das So-Werden seines Angestellten zu entrhtseln. Bel dleser Produktlonswelse entzttndet sich offenbar die Einbildungskraft des Sohriftstellers an elnem vorge- fundenen Henschen und schreltet dann auf schriftstelleri- Bchem Wage zur Erkenntnis des individuellen Charakters, der Ereigniase und der UmweltseinflUsse, In deren Zu- sammensplel sich das Gegentiber gerade so, wle angetroffen, entwlckelt haben dtirfte. Das 1st am sich ein psycholo- glsches Vorgehen— doch wenlger von der Thematlk her, ails von der Schaffenswelse. Mit "Dur und Moll” greift Hartaamn schon 1855 zu dleser Technlk* Dazu nag sich, wle In "Die Glocke" und "Feigheit", nit den Thena einer krankhaften Pers&nlichkeitsver&nderung, ein vornehmllch psychologischer Gegenstamd gesellen. Aber das wechselt; In "Die AusgestoBenen" und "Die Gipsfigur", sp&ter ver- Offentlichten Novellen, ist ea nicht der Fall* 10U.a.: "Der Hetman", Werke. VI,415-459; "Die Gips figur", Werke. VII,94-126? "Bine lndo-germanische Ge- schlchte". Werke* IV,298-325* "Gloria", Werke. IV, 325-362; "An der Spielbank", Werke. VI,216-252, usw. 276 ▲uBer dem psychologischen Verfahren scheint der Ent- rhtselung auch ein stark menschliches Engagement elgen. Der Schriftsteller mustert und akzeptiert nicht das Los einer Kreatur ftuBerlich morphologisch, er referiert nicht lediglich eine urs&chllche Ereignlskette. Stattdessen versucht er die Welt des Indivlduums nachzuempfinden, vie dieses sie an sich erfuhr. IM die Innenansicht des Ver- stehenden von Daseinaveise und Werden jener Welt, jenes individuellen BevuBtseins mtiht er sich. Darin schvingt ein hohes HaB von Teilnahme mit. In "Feigheit" ist die Struktur der Entrtttselung be- sonders lelcht erkennbar. Hartmann kann sich dort nicht genugtun, dem Leser einzusch&rfen, vie beschverllch es sich gestaltete, letztlich zu der Entr&tselung zu gelangen. Das ftlhrt zu einer Hypertrophic und trMgt zu der Kopf- lastigkeit des Rahmens bei. Hit mehrfachen Anl&ufen vird das Aufbrechen des Ge- heimnlsses in 3zene gesetzt. Der Rahmenerztthler berichtets Ich eollte glttcklicher sein als alls andem Fremden und Uber den Bevohner des Schlosses und sein Geheimnls mehr erfahren als, einen einzlgen Mann ausgenommen, lrgend Jemand in der Umgegend und in der Welt Uberhaupt. (368) Das Privileg des Erstthlers vird herausgestrichen; freilich mufi er sich sein Anrecht auf das Lbsen des Rhtsels erst noch mtlhsam erverben. Selbst Vervandschaft zu dem 277 "einzigen Mann", der das Geheimnis kennt, qualifiziert ihn noch nicht zum Vertrauten* Der Erz&hler f&hrt fort: Die Sache wurde mir immer r&thselhafter, eben so rhthselhaft als das Benehmen meines Vetters, . . . der mir deutlich zu verstehen gab. dafi er nicht weiter gefragt werden wollte (370). Portgesetztes Beharren und weitere persdnliche Ann&herung zu dem Verwandten bringen ihn schlieBlich doch der Be- friedigung seiner Neugierde n&her. Erst als . . . sich im Laufe mehrerer Monate ein sehr Inniges, freundschaftlich.es Verhaltnis zwischen \ms gebildet hatte, war es ihm (dem Vetter) mbglich, ruhig Uber den Grafen . . . mit mir zu sprechen. (372) Zuguterletzt verspricht der Vetter Aufkl&rung Uber den Bewohner des Schlosses, indes: "Dartiber gingen Jahre hin, ehe er Wort gehalten" (375). Erst nach dem Tode des Grafen, nach vielen Umwegen, kann die Entrhtselung, die Binnenerz&hlung, schliefilich einsetzen. Mit persdnlicher Teilnahme, Verwandschaftsvorrecht und langjahriger Wartefrist wird der Exklusivit&tsanspruch auf die Eatr&tselung hier von 1anger Hand vorbereitet. Zu dem Helden der Novelle, Graf Holken, besteht keine Annhherung, der Erzhhler begegnet ihm nicht persbnlich, hier herrscht Distanz. Und das ist allerdings eine Ver- hnderung im Vergleich zur frliheren, ganz hhnlich entrht- selnden Novelle "Dur und Moll", wo der Abgedankte, Ferdinand, persdnlich erscheint und in der intimeren Ich-Form der Erzahlung nach wenigen Besuchen "gleich an jenem Abende begann" (IV,371) zu erz&hlen, wie sein Zu- stand heraufbeschworen wurde. Das erhabene Moment in der traglschen BlnnenerzMhlung dUrfte hier eine Rolle spielen assoziativ wird man an die St&ndeklausel der traditionel- len Dramatik erinnert: Holken ist ja auch Aristckrat. Die Distanzierung hebt die Ehrfurcht vor den Helden der traglschen Handlung und die Wttrde jener Handlung hervor* Es ist bezeichnend fUr die Struktur der Entratselung dafi der Ausgang der Binnenerzahlung bereits im Rahmen be- kannt gemacht wird. Es handelt sich ja um eine Rekon- struktlon der Vergangenheit eines Menschen, die sein gegenw&rtiges Ergehen als Ausgangspunkt hat. Diese Struktur der Novelle bietet also eine Anlage vom Typus der Zielgeschichte mit vorweggenommener Pointe. Die Binnenerzhhlung strebt ganz auf die Katastrophe am Ende zu, und doch ist die Katastrophe schon eingangs bekannt. Daher der Eindruck einer Kreisl&ufigkeit, die trotz aller Bewegung der BinnenerzSLhlung in der Geeamtsicht eine Empfindung der Statik, der Unabanderlichkelt und, wegen der Unbarmherzigkeit des Geschlcks, der Diesseitsnot verursacht• Velt-Brghnzung ohne Gott Aus diesem beklemmten Dasein erldst kein Gott. Es 279 existiert nur eine polare Lebensftthrung, nach der man strebt oder die man verlor: das Idyll. Bin intellek- tuelles, zerebrales G-egenglUck kommt nicht vor. Das Idyll ist die Wunschwelt, die Hartmanns Held selbst im be&ngsti- genden Taumel des Moskauer Brandes vorgaukelt. Wie es in unaerer ersten Textprobe heifit: Holken " . . . sah sich nur mit dem Freunde und mit Helenen wie ehemals in dem glUcklichen Winkel am Kamin in Paris". Aber der Einbruch des Schicksals lbst die Idylle auf— hier, wie in "Bur und Moll" und "Die G-locke", wo die Liebenden entzweit werden. Im GlUck ist stets schon das Elend angelegt, wie das Ineinanderfalien von heiterem Rendezvous und Tod Maries auf der symbolisch-simultanen Ebene der "Glocke" unter dem Zeichen des Ave Maria-G-lfcSck- chens offenbarte. Beseligung ist im Keime bereits "elendes G-lllck", wie Holken in Text a) bekr&ftigt. Das idyllische Moment bei Hartmann unterscheidet sich hier- durch betrachtlich vom genremafligen, kleinbUrgerlichen Biedermeieridyll. Es bedarf k«nm weiterer Erlhuterung, dafl die Idylle zumeist konvergiert mit einer Liebesgeschichte. Tatshch- lich entbehren wenige von Hartmanns Prosaschriften einer Variante dieses Motive. Hebt sich eine Bntwicklungslinie ab von einer romantischen ttberschwenglichkeit zur in die 280 verhllllende Institution der Familie verlegten Zuneigung? Eine solche Linie vUrde Besthndigwerden und zunehmende Besinnung reflektieren, wie sie sich statistisch als dominants menschliche Lebenskurve bieten. Eher konnte man aus den Analysen den Eindruck mit- nehmen, daB zugleich beide Pole der Liebesauffassung ver- treten sind. In "Der Krieg" (1850) wird das Motiv ro- mantisch angefaBt, bleibt aber fast unintim und verfUgt auch insgesamt Uber wenig Gewicht in der Handlung. In den Ubrigen drei Novellen dagegen erweist sich Liebe als eine fundamentals Antriebskraft in der Hartmannschen Welter- fahrung und -deutung. Mehr noch in anderen als in den hier behandelten Novellen^ enthUllt sich die Schonheit, namentlich in der Vergegenwhrtigung der weiblichen Ge stalt, als einer der vielsagendsten Aspekte der Er- scheinungswelt. Past nahert sich der Novellist damit einem klassischen Vert. Aber es bleibt nicht bei einem LebensgefUhl: in einer Summe von Metamorphosen, bei- spielsweise der Zuneigung, dem MUtterlichen und der Familie, manifestiert sich die Liebe konkret. i:LVgl. "Gloria . . . ", Werke, III,325ff.; "Das Nessuskleid", Werke. III,412ff.; "Selvaggia", Werke. YI,123ff.; "Die Gipsfigur", Werke. VII,94ff. 281 Die scheue Achtung vor der Reinheit der Frau und deren sprBde Idealisierung. sowie, vor jeglicher Intimi- tat, die PrUfung in den btirgerlichen Allt&glichkeiten und Verpflichtungen zeugt, in "Dur und Moll" (1855), von einem Ann&hern an bUrgerliche Bheauffassungen. Aber in "Die Glocke" (1858) und in "Feigheit" (1865) wird die traditionelle Dichotomie von liebe und Wollust nicht aufrecht erhalten. Darf man Holkens Verhangnis und Max' selbstkritisches und krasses Re slime daraufhin auslegen, daJ3 ein Verhalten im Rahmen biirgerlicher Tabus einer LiebeserfUllung dienlicher ware? In "AusgestoBen" (Werke, VII,3ff.), zum Beispiel, erweist sich die bUrger liche Familie als Hort tatiger Liebe. Aber vdllig gewifi ist nur, daB die Liebe stets der tfbermacht des Schicksals unterstellt und meist ohne Be st and ist; wie vielen der Ubrigen Lebenswerte in Hartmanns Darstellungen wird ihr KrisenbewuBtsein beigesellt. Un- bestreitbar ist auBerdem, daB die Motivierung der Personen vorwiegend der Macht einer Zuneigung und dem Sehnen nach der Idylle entstammt. Der Held Hartmanns fixiert darin oft die Mitte der Welt. Diesem eigenmachtigen Typ liegt Religiositfit fern, ein Ausweg zu Gott wird nicht angeboten. Die Welt scheint ein Leerraum, wenn nach dem Verlust der Geliebten die ephemere Seligkeit Uberdauert ist. Sine Kehrtwendung ins Materielle wird einmal, in "Die Glocke", angesetzt. Die Gottferne in Hartmanns Werk geht einher mit einem Aussparen des Mythischen. Der Gebrauch mythischer Modelle Gestalten der Religionen und Kosmogonien, Mythisierung der Vergangenheit und der zeitgenbssischen Wirklichkeit, wie 12 z.B. des Kriegs bei den Expressionisten, ist vermieden. Selbst die Mfirchen des Dichters werden entzaubert, ironi- siert (vgl. Werke,V,257-289)— allenfalls wird das Mar- chenhafte in der Integration in "Der Krieg um den Wald" gewahrt. In tfbereinstlmmung mit den realistischen KunBt- gesinnungen der Zeit um 1850 enthh.lt sich der Prosa- Schriftsteller solcher Mittel. Vollst&ndig hat Hartmann aif eine Welt-Erghnzung jedoch nicht verzichtet. Hinsichtlich literarischer Techniken entfaltet sie sich durch eine, der Wirklich keit verbunden bleibende, Symbolkunst; "Die Glocke" illustrierte das eindrUcklich. Stofflich erfolgt sie durch zwar irrationale, doch handgreiflichere und all- t&glichere Slemente als den Mythos. In erster Linie ■^Das "Nessuskleid", (Werke, IV,412-444), ist die einzige Ausnahme. Aber auch das ist nur eine allegori- sche Anspielung auf den Titel. Das Mythische ist privatisiert und psychologisiert, daher unmythisch. 283 kommen zwecks Einbeziehung des Unfafllichen, der Drohung, die dem BevuBtsein gewartig, aber nicht im Sichtbaren lokalisierbar ist, der Sph&re jenseits der bloBen Aufien- welt, Grenzzustande des Seelenlebens in Frage, seltener Aberglaube. Die Grenzzust&nde sind vornehmlich als Per- sdnlichkeitsverhnderungen dargeboten. Vom Moment des Wandels rllhrt aber auch in den Ubrigen Novellen eine Welt- Erg&nzung her. Der unerwartete Zwj Baenfall durchkreuzt jeweils alle Vorhaben und Ordnungen: Buresch zerrinnt Armee und KriegsglUck nach Erfolgen unter den Hhnden; Ferdinand und dem Fabrikantensohn zerbrbckelt dae GlUck unter dem Zugriff der Krankheit. Zeugnisse einer Auseinandersetzung Wenn in "Feigheit" Holken alle erprobte Todesverach- tung vor dem gespenstischen Abbild des hintergangenen Freundes zergeht, tritt wiederum ein Held, abgeschnltten von religibsem Trost, in eine lastenden und enge Verlassen- heit ein. Hartmanns Erzahlen entbehrt in dieser Novelle, wie ebenso im "Krieg" Oder in "Bur und Moll" und Uberwie- gend in der "Glocke", der mildemden, versonnenen oder ironischen Tbne, die Hellhbrige in einem Gutteil der Werke Kellers, Stifters, Raabea oder Fontanes wahmehnen kbnnen. 284 Die Abvesenheit eines zuversichtlichen Untertons schelnt eine Bigenschaft der Hartmannschen Brz&hlprosa, die eine Besonderheit im Vergleich zum Werk der deutschen Realisten, vor allem der "poetischen Realisten" ausmacht. Nichtsdestoweniger ist der BiJhme in deren Umgebung be- heimatet. Er verfUgt am rechten Platze, wie etva in der italienisierenden Kurzgeschichte "Selvaggia" (Werke,VI, 132-158), ja auch. Uber ein derartiges Temperament, nur setzt er es eben nicht hfiufig ein. Vom Jungen Deutsch land ist sein Prosawerk ferner. Einige Literarhistoriker haben Verbindungen dorthin sehen wollen, vermutlich der vorm&rzlichen Gedichte des jungen Hartmann und der Reise- bilder halber. Hat man berUcksichtigt, daB die letzteren eher der Gleichheit des Emigrantenschicksals mit manchem der Jungdeutschen zu verdanken sind als einem jungdeut- schen Stilwillen? Die EigentUmlichkeiten der Prosa decken sich jedenfalls nicht mit den Charakteristiken des Schrifttums des Jungen Deutschland. Hartmanns Novellen zeichnen sich nicht durch Radikalit&t aus— nicht einmal "Der Krieg um den Wald" mit seinem politischen Thema war politisch zielend hergerichtet; die velt-erg&nzenden Mo tive drosselten die Tendenz ab. Nicht einmal in "Die Glocke", der freimUtigsten Fabel, geht der Dichter bis zum Verwerfen der Ehe. Stilistisch weicht die Schlicht- heit der narrativen FUhrung, die relativ seltene Stbrung 285 durch Einwtirfe und Reflexionen abgeldster Oder gesell- schaftskritischer Art vom Jungen Deutschland ah. Schliefl- llch verbiirgt die Ohacht der Form die Feme zu der Be- wegung von ehedem. Formstrenge, Zeitloses und Symbolkunst der "Glocke" etwa deuten In Rlchtung auf die poetischen Realisten. Glelohfalls die Nachbarschaft zu dramatlschen Konventionen, wle Freytag sie fixierte. Die gemelnsame aufkl&rerische Komponente und die Mythosferae wurden bereits erw&hnt. Nicht zuletzt gibt auch der Hang zum elnheimischen Be- reich und zur dementsprechenden, dem Leser nahen, Erztthl- haltung, wie -ihn Rahmen und Einbrliche In der Blnnenerzfih- lung in "Feigheit" bekunden, eine Probe von einer Orien- tierung nahe den Realisten. "Feigheit" erschien 1863* su einem Zeitpunkt, da mit Stifters Nachsommer (1857), Raabes Chronlk der Sperlings- gasee (1857) und Kellers Die Leute von Seldwyla (1856) noch das Regionale, Einheimische vorherrschte. (In den Jahren unmlttelbar nach 1857 existiert, den Literaturge- schlchten nach, ein kurloses Vakuum an Nennenswertem.) Auch hlstorischen BrzMhlungen dee deutschen Sprachgebiets hatte dleser Zug der klelnen Welt angehaftet. Alexis' Die Hosen des Herrn von Bredow (1846), H. Kurs' Der Son- nenwlrt (1853) und vor allem Scheffels mirir«h»T«<i (1853) 286 offenbaren solche Beschrftnkung. Der Blick der fahigsten Schriftsteller richtete aich im deutschsprachigen Gebiet auf die vertraute, meist lhnd- liche Welt— im Gegensatz zum Ausland, wo in RuBland und Frankreich ein urbaner, ein nationsbewuBter oder ein welt- offener Realismus mit verfeinertem sozialen GespUr ge- pflegt wurde. Erst in den spaten 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts erreichte Deutschland mit Fontane etwas Ahnliches. Ein Mehr an Einsicht in soziale Differenzierungen und gesellschaftliche Evolutionen als bei der Majoritht der poetischen Realisten scheint sich bei Hartmann, etwa in der Dorfgesohichte oder in dem in Wien statthabenden Teil ▼on "Dur und Moll" zu bekunden. Ein Mehr an Weltbffnung wird in der Binnenerzhhlung von "Feigheit" erstrebt. Die Novelle greift VorgeLnge auf, die von der Jahr- hundertwende bis nahezu in die eigene Epoche des Schrift- stellers hineinreichen. Er bemMchtigt sich Stoffelementen und Symbolen der gesamteuropMischen jttngeren Vergangenheit. Ausblicke auf das napoleonische Paris und den Moskauer Brand, auf spanische, russische und belgische Kriegs- schaupl&tze werden anhand des Lebensweges dreier Menschen geformt. Der Lebenslauf dieser Menschen schlieBt sich 287 durch die Offenheit zur europftischen Gesellschaft, Politik und Geographie in eine Spiegelung von der Art eines geraffteren Zeitromans auf. Das Rad der Geschichte dreht sich, soziale Evolutionen werden, besonders an Marignys und Helenes Geschick, sichtbar. DemgegenUber steht die Handlung lokalen AusmaBes, die Rahmenerz&hlung. Eine SphELre biirgerlicher Werte, des Lehrers und des Pastors, der geruhsamen Fremdenbesuche eines verfallenden, aufgabenlosen Schlosses. Der Hinter- grund ist unbewegt, das Rad der Geschichte wirkt in seinem Stillstand wie mit Spinnweben Uberzogen. Wie diese beiden Welten in ihrer Verfassung, streben ebenso die ihnen je entsprechenden Erzfihlhaltungen aus- einander. Hie die belehrende, auf Bildung zielende Hal- tung des Rahmens, evident in der generellen Vorbetrach- tung, desgleichen erkenntlich an der bloflen Existenz und an der Beschaffenheit des Rahmens: die Art, wie sich die Gestalten der Rahmenerz&hlung von Holkens Schicksal ange- sprochen fUhlen, reflektiert ja bereits die Interpretation des Schriftateliers; man vergleiche besonders die Reaktion des Pastors (374). Dort die sich Uber ihren GroGteil selbst vortragende, quasi-objektive Binnenerzfthlung. H&tten die gegenshtzlichen Naturen dieser Schaupl&tze und Erzhhlhaltungen wirkungsvoll gegeneinandergesetzt und 288 auageaplelt warden kdnnen? Vie Hartmann ale In "Feigheit" handhebt, haben ale eich mehrfach gegentiber der zum Ein- heitetiften beetellten Binblldungakraft dee Kttnstlers behauptet, Vertraut mit den Nachspielen aus der Geschichte der epiachen Gattung, erkennt der heutige Betrachter in dieaer Sachlage den Auadruck einer Auaeinandersetzung. Die Pro- ▼lnzialit&t bricht bei Hartmann bereita auf, aber ale er- laubt noch nicht viel mehr ala elnen Ausblick; die Erztthl- haltung iat von den direkten Autor-Leaer-Kontakten noch nicht g&nzlich abgekommen. Man ist noch auf dem Wege, die versachlichte Erztthl- weiae und die Dimenaionen der neuen geaellschaftlichen GroBrilune— Verlorenheit der Stadt, Veite oder aozialea Gefklle der aich aelbat gew&rtigen Nation und UnUber- brUckbarkelt dea Kontinents— vollenda zu vervirklichen. In Deutschland soli eine fortfUhrende Aufachliefiung dieaer Bereiche Fontane und den Naturalisten Uberlaaaen bleiben. Bei ihnen, und zwar namentlich bei den Natura listen mit ttberspitzter Sch&rfe, soil dann auoh auf eine angenesaene Brzfthlhaltung geaehen warden. Aus Holz* und Schlafa Pana Hamlet. (1889)» und aua G. Hauptmanns frUhen No re lien, Fae^hjiiy (1887) u.a*, iat bekannt, wle peinlich genau es demit nimmt, den Autor-Brzfthler aua den 289 Vorf&llen auszuachalten und nur das Geschehen selbst zu Wort kommen zu lassen. Sekundenstll und Objektivitftt der Literatur, Ibr Photographiecharakter, liegen dlesen deut- schen Protagonleten des exit author am Herzen. Ganz ist aber die Zeit um 1860 noch nicht reif fttr diese StilzUge: bei Hartmann schl> gelegentlich vieder die Sicht der kleinen Welt durch und die Solidarit&t mit dem deutschen Leserkreis, der ebenfalls die traditionelle Provinzialit&t noch nicht abgestreift hat oder, namentlich durch politische Reaktion, darauf verwiesen wurde. Ein fthnliches Widerstreiten wie hier in HFeigheitN lftBt sich Ubrigens auch zwischen Rahmen und Binnenerzhhlung in Gotthelfs Novelle "Die schwarze Spinne" verspllren. Immerhin ist in "Feigheit”, im Unterschied zu vlelen Werken der poetischen Realisten, bereits das BewuStseln eines Staats, ein GemelngefUhl einer Zusammengehbrigkeit der Deutschen, angekUndigt. DaB sich der Schriftatelier eines von einer weitreichenderen Schicksalsgemeinschaft bestimmten Themas annimmt, ist eingangs der Novella swischen den Zeilen zu lesen. In der Blnnenerz&hlung 1st dieses Binsempflnden tails beschworen, im Rahmen verbleibt es jedoch, vorwiegend angesichts der Rationalit&t und mangelnden Umsetzung, beim allegorischen VerknUpfen von deutschen und Holkenschem Charakter und Geschiok. Die 290 neue darzustellende Wirklichkeit und die objektive Er- zahlveise sind noch nicht geaamthaft auagemessen. Beiordn^njr vnn Anteilnahme und zwei komplement&ren Temperamenten Alle Schichten des Kunstwerks stehen in Wechselbezug. Und vahrend die Abschattierung des Temperaments zwischen Rahmen- und Binnenerz&hlung vielleicht zu einem wirkunga- vollen Kontrast hatte beitragen konnen, scheint gerade in ihr durch den aufgewiesenen Stilbruch eine weitere Mani festation der Auseinandersetzung entgegenzutreten. Zweifellos hat Hartmann die Gefiihlslage mit Bedacht variiert. Welchen Wert er auf die Binstimmung legt, ver- r&t sich bereits durch jene in seinen Novellen h&ufig wiederkehrende Struktur des "sprechenden Bauwerks", womit er einen Anfangsschritt auf dem Wege zur neueren evoka- tiven Beschreibung und Charakterisierung bewerkstelligt. Der ruinierte Mensch in der Rulne: Auch in "Feigheit" findet sich mit dem unfertigen, zerfallenden und zweckentfremdeten Schlofibau, in welchem Holken in Isola tion seine letzten Tage verbringt, ein derartig induzie- rendes Beispiel. GleichermaBen betont der Novellist auch in einer 291 theoretiachen AuBerung, "Die Stimmung iat as vor Allam, die den EUnatler und sein Eunatwerk ch&rakteriaieren (aic)".1^ Welcher Eindruck aber bleibt ala chairakteri- atiach nach der Lektttre der Novellen? Einesteila tun aich in den Schriften dea Dichtera Mas©rungan von Melancholie kund. Herbatlicha Bilder ver- gegenwiLrtigen aich: der einaam vortiberziehende Kranich aua "Dur und Moll"; zum Gel&ute der Ave Maria-Glocke fallende Blatter aua der "Glocke"; die ervtthnte Stereo type vom Blick der meist kranken Person aua dem Feneter. In "Dur und Moll" legt der Autor ea seinem Geschbpf in den Mund, daB "Melancholie Uber jedem erhabenen Ernste achwebt" und "... durch alle groflen Eunstverke • . • geht" (Werke. IV,501). Und in einem kritisch-biographi- achen Aufsatz erwtthnt er "jane melancholiache Stlmmung 14 • . . , die vir fast bei jedem Eunstwerke wUnachen". Wiener EJLnflufl, daa uuaikaliache Element, der "Moll"- Beatandteil der muaikalisoh benannten Novella; eine Vorstufe dea "Fin de aiecle"; mbglicherveiae ein achwachea Echo der Jugendverehrung fUr Lenau (vgl. Werke. 711,220) klingen an. Auch daa Heimweh dea Emigranten und 13 "Wanderungen durch Pariser Ateliers", Werke. X,299. ^"Wanderungen", 321. 292 vielleicht die franzdsische Mentalitht der Chateaubriand und de Musset scheinen im Hintergrund zu schweben. Anderseits ist das "Dur" des Novellentitels beredt ftir das h&rtere Komplement. Der Tod Bureschs in der Dorfgeschichte, das tragische Zufallekommen Maries und Holkens in "Die Glocke", bzw. "Feigheit" gestalten diesen Zug in der Hartmannschen Prosa. In diesem Ernst empfindet der Eingeweihte die Betroffenheit des Autors filr die Um- sthnde und Vorkommnisse des gesellschaftlichen und indi viduellen Lebens. Die Allegorie um Holkens und das deutsche Geschick in "Feigheit" erhellt, daS der Autor vom Unstem Uber dem deutschen Schicksal bewegt ist. Die Neigung zum Enga gement ist nicht mit Ideologie, unerschUtterlicher Ziel- richtung, gleichzusetzen: dafUr sprechen "Feigheit" wie auch "Der Krieg um den Wald", der gleichfalls politische Belange aufgreift. Der Ernst und daB LebensgefUhl der Trauer und Leidenssympathie mbgen erklhren, warum selbst diese relativ politischste der besprochenen Schriften des Hasses und einer gewichtigen krassen Tendenz entbehrt. Humanistische Sorge huGert sich auch in "Ausgestoflen", wo der Schriftsteller das Los einer Familie von 293 15 "unehrlichem" Stande zum Vorwurf nimmt. Auf breiterer Basis zeigt sich die JSrgriffenheit im Behandein von Mo- tiven um religibse und rassische Minderheiten.^ Neben dem Beklimmern um die Gemelnschaft SLuBert sich die Anteil- nahme am Individuum. Von der EntrSselungshandlung war bereits besonders die Rede. Schliefllich spricht sich im Ringen um Verst&ndnis eines rationell nicht faflbaren Loses, in der Darstellung der Verzweiflung, wie bei Ferdinand, oder der Persbnlichkeitsver&nderung, wie bei Marie, die Betroffenheit vom Menschlichen aus. Sowohl ein Portrat des zuletzt rezeptiven, geschei- terten Helden als auch ein iintwickeln der Persbnlichkeits- ver&nderung, wohnen der Novelle "Feigheit" inne. An der Figur des Dozenten in der Rahmenhandlung ist ablesbar, wie erst Sympathie und Mitgeftihl sich entfalten mlissen, bevor der Erz&hler der Entr&tselung von Holkens Geschick ■^Wittners Kritik dleser Novelle ist Ubrigens fak- tisch verfehlt (Leben.II.480): tats&chlich ist manuelle Hlnrichtung durch den Henker noch bis ins 20. Jh. hinein gebr&uchlich gewesen. Vgl. C. Hafner, "Hinrichtung" in Handwb. d. Krlmlnologie. hgs. A. Elster-H. Lingemann, S i n . , 1 9 ^ 3 * 1 , 6 ^ - 6 7 0 . ^Vgl. in Werke u.a.: "Grafin Sassari", VI,6lff., "Tell", IX,241f#T; Anti-Semitismus in "Bei Kunstreitem? VI,115ff.; "Modenesische Gesch.", VII,127ff. 294 teilhaftig verden kann. Es ist eben dieaer Zug, der zur Ausdehnung des Rahmens und damit zur Kopflastigkeit der Novelle beitr>. Feraer haben sich neben der Teilnahme auch die verwandten Wesenheiten des Hartmannschen Prosa- achaffena, Ernsthaftigkeit und Finsterkeit, nicht vollends mit ihrem Komplement, der Melancholie, vereinigen lassen. War mit den schattenhaften Nuancierungen die Einf&rbung der Binnenhandlung, wo der Autor wiederum zur tragischen Novelle vorstdfit und deshalb sch&rfere Konturen gebrau- chen muB, zur Einheit zu bringen? In "Feigheit" ist das schwerlich gelungen. So verbleibt Tragik nachst Melan cholie anstatt Einordnung in eine Ganzheit. Zum GlUck haben sich die widerstreitenden Tendenzen nicht zus&tzlich in sprachlichen Unebenheiten niederge- schlagen. tjber "Die Glocke" hatte Hartmann nach Paris schreiben kdnnen, dafi sie "fttr das Beste aus meiner 'so 17 schdn schreibenden* Feder erklart wird". In der Tat ist Hartmanns Sprache, venn man von der zeit- und lokal- bedingten Rechtschreibung absieht, novellistische Kalli- graphie. Sie ist schdn, weil sie funktionell, straff ist. Eben das meint auch G. Kinkel, wenn er die "scheinbar ganz kunstlose Art, wie die Erzdhlung fortschreitet . . ^Zit. bei Wittner, Leben, 11,506. 295 lobt und hinsufttgt* “diaaa Hatlirliohkait aacht aofort Hartaanna frtlhar Rasanaant basiaht sich indassen, vinn such Ton aalnaa hiatoriachan Ort dia grtfdaran 7 . HMM— i^nhUnga noch Tarachloaaan varan, vohl glalchsaltig auf dan apiachan St11 dar Konsentration auf dia Bralgnlaaa, auf daa Spraehanlasaan dar QogenstMnde, auf daa Entviokaln dar Brsdhlung aua alch aalbat har&ua. Trots dar in "Faig- halt" bal aingahandaraa Analjsieren alohtbaran Auaain- andaraatsung alt dam aohvarfMlligaran tradltlonallan Stll dar Kontaktnahaa mlt daa Lasar, saigt daa Vark aalnan Urhabar doch auf daa Vaga zu dar aodamaran Tachnlk. Dar hlatorlacba Stellanvert kann audardam nicht unberttcksich- tlgt blaibans In Dautaehland erprobt allanfalia dar diaa- iq baztiglioh untarachMtzta 0. Ludvig Ahnllohaa. 7 Flaubarta Madame Borarr. Inbagriff unpartailiohan und lntarrantiona- loaan BrsMhlana, era chain t 1857 und ataht in aalner atiliatlaehan Konaaquans garauaa Zalt allein. Da nur ▼arainsalta Bruchatlicke dia alnhalalaoha BrsMhlhaltung Mud am, koaat Hartmann praktlaoh daa Varfahran dar aicb aua aioh aalbat fortaplnnandan Handlung aahr naha* 19V«1. a«». 3ohrlft«n. (L*ip*i«, 1891), VI.43.67,80, 1251 1 Brda. apas. BlnnanarsMhlung. allaa ao vahracheinlioh" 18 n. oarwaiu , (Augsburg), 1875* S.56 18*M. Hartmann" 296 Auf diaaa Daratellungavaiae nitbegrttndet aioh dia Anziebungakraft aalnar Proaa. Dar Bbhne iat ja kein philosophiaeher Ronanoier, daasan Vark roraehnlioh vegan aeiner gadankliohan Konatruktionen intaraaaant wkre. Yorztiglioh iat er a in BrziLhler9 in daasan Qesantverk Pabal und Atnosph&re dominieren und, trot* dar Brgdnzung dar dargaatalltan Valt Uber daa Logisch-Wirklicha hinaua in dan Tier analyaiertan Warken, der Sinngehalt tlbervie- gand zugttnglich iat. Binen drittan Typua daa apiaohan Kttnatlers, dar aioh zur Oriantiarung in unaeren Zusannen- bang antvarfan liefie, dan Dichter, dar ttnvilgbarea in Wort und Porn fixiart, nMhert aioh Hartnann galagantlieh an. Ton dan batrachtatan Tier Hove lien reichte dia Synbol- kunat dar "Qlocke" an nkchatan an die letztere Kategorie. Zv&r arraioht dia Synbolnontage und -verfhgung in "Feigheit" nioht dia Diobta via in dar voraufgananntan Morelia, dar Pabal aalbat gilt dieanal daa Hauptintereaae. Dooh 1st dia Diktion9 vlelleioht nit Auanahna von Holkana Olttckatauael naoh Halanaa Brrattung aua dan brannandan Ballaaal (392) 9 geltSst, aohnallflttaaig und vortailhaft garatan. Was abar diaaa Movelle ungaacbtat dar aufgezeigten Makal vor alien lasansvart gestaltet9 1st die kraftvolla "story". Qestaltet aioh nioht nanantlioh dia 297 Blnnenertilhlung baim arstan Laaan su svingandar und eindringlicher Laktttra? Hoeh hauta haban dia Blinklichtar dar hiatorisohan Ssanarie Lauchtkraf t. 8s 1st a In Tar- dianst dar MotsIIs, dafi sla ait Bildarn dar Bpoeha das Hapolaonischsn Empires, dar Fraihaitskriaga und das Ragimas dar Hundart Taga xur WeltertJffnung tendiert. 8s garaioht Hartaann sua Gawinn, hiar in dar raffandan Forciarung dar Horellenform einen Bindruck Torwagsunahman Ton Braigniseen, dia Tolstoi waniga Jahra splitar, 1864*69* in EfrltlT UBril Friadan gest<et. Bxnaut bakundat Hartaann sioh als StoffaufspUrar Ton Format, dar ia BrgrUndan das Binhaiai- achan, dar Jugandarinnarungan* dar Raisabagagnungan und* via in "Faighait”* auch dar Historia, dia noTallistischa Elgnung alttart. In Hartaanns Sch&ffan aalbat reiht diasa tragisoha BraMhlung aina naua Fasatta sur Waehsalsaltigkalt aainar Bovallistik. Dar Staapal ainar Walt das Vidarstrabans und dar ZvisohanfRlla* dia aich nicht auf Raduktion in Kainungan, Doktrinan und Abstraktlonan ainlkflt, sondarn sur Tailnahaa duroh Darstallung aufruft, prKgt sioh auoh hiar aust Fttr Hartmann var das Das a in* dan bahandaltan HoTallan sufolga* Vandal, Pnragelmb81 gkait und Unga- vappnatsain. VI. ZEITTAFEL 1821 1827 1830 1832 1835 1837 1840 1842 1844/45 1845 1848 1849 1850 1851 15. Oktober. Moritz Hartmann In Duschnik (Bz. Przibram, Bbhmen) geboren. Jtidischer Abkunft. Mutter entstammt der Famllle elnes Rabbi. Vater, Selfmademan, Besltzer eines kleinen Eisenbearbeitungsbetriebs. Tod Beethovens Julirevolutionen Goethes Tod, Faust II. Balzac: Oberst Chabert. Elsenbahn in Deutschland Hartmann nach Prag, Freundschaft mit A. MeiGner Wien, Hofmeisterstellen, Freundschaft mit Therese Klaus Sommer. Raise nach Italien und Schweiz Entveichen nach Deutschland; VeriJffentlichung eines Gedichtbandes Ablaufen der Aufenthaltsgenehmigung: nach Paris u. BrUssel Delegierter im Frankfurter Parlament; Oktober: Deputierter der Frankfurter Linken zum Wiener Aufstand, knappes Entkommen Reimchronik des Pfaffen Maurizius (Satire auf 15451-------------- Emigration: Schweiz. Der Krieg urn den Wald Paris, England, Irland Frankreich: Provence u. Paris. Bekanntschaft mit Turgenjew. Spfiter tJbertragung Turgenjewscher Novellen 298 299 1853 1854/55 1855 1856 1857 1858 1858/59 1859 1860 1862 1863 1866 1867 1868 1864/69 1870/71 1871 1872 Tnwfrifflh ifflg foraratflgg rm tn s t Krinkrieg, Varlatsung. Lange BettlMgarigkait nach Bttckkehr lna Pariaar Xzll "Dur und Moll" antataht Keller* Die Leut* Ton Seldwyla Stifter: Nachsonnar. Plauberts Madan* Bovary ^ T fW ilw M r tn tlflffg Pafttittta "Dia Glooka" Italian, Korreapondent Genf, Heirat Bertha Rgdlgara, Llteraturrorla- aungen an dar Akadenie. Freund* Stuttgart. Radaktaur "Preya" •Palgheit" in Joralian 3 Bda. Turgenjeirt Vktar u. Stthn* Deutach-Setarr. Krlag 3 Bde. Geaundheitl. Konplikat1 onan Hartnanna Doatojevakls Sohuld u. SUhna Marxt Capital. Raaba* Abu Talfan Oktober* RUokkabr nach Wien. Publication latstar Voralla "Johannlaberg"• Dasanbars Krankheita- reraohlinaerung. Untltig auf ain Jahr. Tolatol* r.'iag u. Pried an Deutaoh-fransgaiacher Krlag Bafrlatatar Vladargavinn toliar TILtigkelt 13. Mai, Tod Hartnanna C. P. Mayer, arata VoTellen 1873/74 fttlHlfTtf 1 Warke aua dan HachlaB 300 1673/73 Mi«tsfleh«s Tfosaltg«alLfi« Jtetraehtna^a 1887 Fontanas Imngen, Virrungan vm 1890 Dt. Maturaliaaua VIL KRITI3CHE BIBLIOGRAFHIB (Auswahl, bezieht nur Verdffentlichungen ein, die sich direkt mit Hartmann befassen. Studien, die aus dem Zusammenhang wichtig wurden, sind im Text angemerkt.) A. Quellen Texte zitiert nach: Auerbach, Berthold. 3Hmmtiiche Schwarzw&lder Dorfgeschich- ten. Volksausgabe in 8 Bden. Bde. I-IV. Stuttgart, UoTta, 1871. Hartmann, Moritz. Qesammelte tferke. hgs. L. Bamberger-V. Vollmer. Bde. t-X. Stuttgart, Cotta, 1873-1874. Briefe "Briefe aus dem Vorm&rz", hg. Otto Wittner. Bibliothek deutscher Schriftsteller au3 BShmen. Bd. XXX. £rag, 1^11. (Zitiert als Wittner, Briefe.) Sammlung von Korrespondenzen Hartmanns aus den Jugendjahren bis 1848, aus dem NachlaS zusammengestellt. Bine kurzgefaflte Biographie Hartmanns ebenso wie der Briefpartner MeiBner, Lorm («Landesmann) und Betty Paoli, ist vorhanden. Einleitung und Register erganzen den Band. Hartmann, Moritz. Briefe, hg. R. Wolkan. Leipzig, 1921. Auswahl von BriefenHartmanns aus dem Zeitraum von 1848-1871 mit einer vorangehenden Einleitung. B. Auerbach, Heyse, Ftirstin Orloff, FUrstin Troubetzkoi, Varnhagen v. Ense und F. Vehl sind unter dem Emp- fangern. B. Sekundhrllteratur Hansgirg, C. V. "Moritz Hartmann", Mitteilungen des Vereins fUr Geschichte der Deutschen. 11,145-169. Unergiebiger biographischer AbriB mit dlirren 302 Beaerkungen tLber H's Sohriften. Hauptverke, vie Der *rl«« . • • aicht elnaal ervUhnt. Hauffen, Adolf. "Moritz Hartaanns Jugend", Deutsche Arbeit. Jg.Ill,H.7,601-606, April 1904. Beruart oberflkchlieh H's frtthen politisohea Stand- punkt, inabeeondere sein seitvelliges pro-tschechi- sohes Bintreten. Rezeneion von Vlttners Dies. Houben, H. H. Yerbotene Literatur. 2. Auflage. Dessau, 1925. 3.32§-357. Beleuohtet Konflikte H’a ait Zeasur und Obrigkeit; niaat sioh aueh einiger Aspekte der polit. Dlohtung an. Kinkel, Gottfried. "Moris Hartaann" (sic), m . (a s s s ! } ^ ^ 4 r m : Erste uafangreichere Behandlung Hartaanns nach dessen Tode, Grundlage fUr Marehands und vohl auch Vlttners BUoher. Kinkel glbt einleltend eine Besprechung der ia Yorjahr eraohienenen Works H*s. Br betrachtet ein glelchl&ufendee Bingehen auf H's Leben und Verk, bei dessen Sohaffensveise, ale vor- teilhafteste kritlsche Methods, hhlt slch aber kaua an das selbst aufgestellte Axioa, sondem fllhrt erst einen aeist rein biographlBChen Abrld durch. (An- gaben von Freund en und der Gat tin Hartnanna, sovle die eigene Bekanntaohaft helfen iha dabelf die Tage- bttcher H's stand en iha nicht tur Yerfttgung.) Der SchluBteil von Kinkels Artikel (8.5643-44/ bevertet dann Hartaanns Status als Yerfasser von Lyrik, Reise- blldern und Prosa. Als Kunsthistoriker aaeht K* vert voile Beobachtungen zua Stil und sur Blnbildungs- kraft Hartaanns. Kttmberger, Ferdinand. "Morits Hartaann", in "Literarl- sohe Hersenssachen”, Werke. 2. Auflage. 11,217-222. MOnohen, 1911. Kachrufj Vttrdigung dee Schriftstellers und Mensohen H. Latske, Rudolf. "BDhaen, BrsHhler", in Castle, Bduard, -lagl-Zeidler hg. Literatur- Vien, i5i5." ' Latskes Bespreohung 1st das jtingste kritlsche und ttberhaupt bUndigste Heferat ttber H. Bs sohlleSt einen blographisohen AbrlB ein. Binige Ungenaulg- kelten beeintrkohtigen den Artikel. Die hier be- sprochenen Kovellen selgen in ihrer Desillusionierung, 303 dafi •• alna Oatarstallung 1st, dan BrsMhlar H. un- quallfisiart als ainan "Optialst" su daklariaran C s . 4 9 3 ) . Das Urtall Ubar "Dar Xriag ua dan Wald" 1st fragvUrdig: rlslleicht hat sioh L. alt daa Baoh nioht hlnlMngllah Tsrtraut gaaaoht; jadanfalls dautat die Bntstallung dar Inhaltsangaba * . . . dia straltandan DtJrfar rarainlgt la Kaapf gagan dia galstllohan and valtllohan Obaran, gagan dia Baaatan und kalsarliohan Soldatan" (S.4 9 3 ) dias an. Tandanslbsas und Faulllatonlstlsohas, die Kitba- grttndar saitgandsslsohar Hartaannschar Popularltttt: Satire und polltisoha Icrrlk, Raiaablldar und dia Br- shhlungen fttr dia Zaitsohrlftan rom Faallianblatt- Typus, bastlaaan Tornehmlich dia Llnie das Artlkels. Man TaralBt a In Binhaltsn bal dan kUnstlerlsoh raix- Tollen lorallan und daran Herausstellen. VardianatToll 1st Indas die Saaalung dar Tltal und naaantllch dia stoffllohe AufsMhlung und aotiTlsoha Qruppierung. Itorobs 4i Tbrfangrelchste VarBffentilohung libar H. la 19. Jahr* bund art (fransBslsoh). Dia Mathodlk 1st biographiach und anthologlsohs M. basorgta romahalloh ttbarsatSian gan Ton Bplsodan aus Hartaanns Tagebttehern und Raisa- bariohtan und Terband dlasa ait alnar Blographie. Ss nangelt an krltlsoher Stallungnahaa, dia soYellea warden kaua erwhhnt. AuBerde* sttiren galagantlioh ttbertrleben patrlotlsoh * “ "Moris Hartaann", Haehruf fvahrseheinllch von 0. Ilnkal). Biogr. LabansabrlB und kurse Vttrdigung das Dlohters. ▼or, H*s tferk baapraohan su vollan; tatshohlloh ant* hMlt ar abar auier ainlgan fragvttrdlgen Verallge- aalnarungan und Phrasan unrerULBlloher Hatur nur alna Art Anthologla. Vittnsr. Otto. Merits und Vtrkf- 2 Bda. s.B. dar H'sohan Slcht Beunann, Villiaa. Msgara Blogra Cassal, 1854. a 1852. Tall II glbt 304 Titel Moritz Hartmanna fl-aa^mmelte Werke bei. Wir las sen diesen hier vbllig beiseite, 'da er nur irre- fUhren kann. W. hat H's Werke nie herausgegeben und scheint das auch nicht beabsichtigt zu haben. Irreleitend und UberflUssig 1st ebenfalls die Angabe "Teil I" und "Teil II" auf den Titelbiattern der Bande, da Teil-und Band-Nr. korrespondieren. Be- zugnahme auf diese Biographie erfolgt im Text als Wittner, Leben.) W. befrachtete seine Biographie mit einem ObermaB von polit. Geschichte. Bd. I behandelt die Biogra phie H's von der Kindheit bis 1850; der Titel "Der Vorm&rz u. die Revolution" ist ehsr zutreffend, da der Name Hartmann zuweilen vollig beiseite gedrangt wird. Vgl. Kap.VI,S.229-242, Kap.VII,3.257-262. Auf diesen Seiten, und in djr ersten Halfte von Kap.VIII, ca. 60 Seiten, ebenso in Bd. II "Bxil und Heimkehr", der die Biographie von 1850-1870 weiterfUhrt, z.B. in Kap.V, S.332-340., verlegt sich W. auf polit. Geschichte. Die historische Szenerie ist nicht mehr Rahmen fiir Zeichnung und Verstehen eines Individuums, sondern Selbstzweck. Statt sich auf die polit. Historic, auf H's Biographie als histor.-polit. Per son Oder auf dessen dichterisches Werk zu konzen- trieren, verfertigte W. mangels Auswahl ein zwei- bandiges UngetUm von mehr als 1100 Druckseiten. Das vermag nicht einmal einen Literarhistoriker zur Be- schaftigung mit einem Verkannten einzoiladen. Ein anderer Nachteil sind unvollsthndige Daten, jahrlose Monatsangaben u.s.w. Unzulangliche Dokumen- tation; ein Werk solcher Lange zielt nicht auf brei- ten Leserkreis und erfordert deshalb Kennzeichnung und Quellenangabe fUr Briefstellen und Zitate. Den- noch ist das biographische Material und der Fleifi, mit dem es hier zusammengetragen wurde, beachtlich. Beide Bde. enthalten Register. Arbeiten liber H. werden nicht an W. vorbeigehen ktJnnen. Allenfalls ist W's literarisches Urteil hie und da nicht stichfest. Z.B. vermag man "Herrn Mannvelts Woche" (Werke,I,248-251.) nicht mit W. als klassisch anzusehen. Der Biograph steht noch im Fahrwasser einer oft vom ethish-polit. Standpunkt geleiteten Literaturgeschichte. Die Besprechungen der Novellen erschbpfen sich vomehmlich in Wiedergabe der Fabeln und in Ausfiillen einiger inhaltlicher Ziige, die beim Geben der Fabel unberticksichtigt bleiben, sowie den Abdruck einzelner Textpassagen. 305 Wittner, Otto. Moritz Hartmanns Jugend. (Dias. Bern), Wien, 1903. Die ersten 3 Kapitel obiger Biographie. Die kurze Literaturangabe ist nur fttr H's frlihe Jahre interes- sant. 3ACHYERZEICHNI3 (Ergftnzung zum Inhaltaverzeichnis. Auswahl) Autor-Leser Kontakt, 206-207, 210, 224-227 Didaktiachea, 89, 268 Einfiihlbarkeit, 260 Ero rt erungen handlungsferne, begleitende 204-206 ErzfcLhlerkommentare handlungsferne, 205, 215- 217 Entraselung, 3 4 - 5 5 Frauengestalten, 192-195, 280 Greschichtlichkeit, 66-68, 286-287 Humanistischo Anteilnahme, 38, 80, 100 Idyll, 139-148, 151, 279 Isolation, 79, 265, 266 Junges Deutschland Divergenzen, 249-250, 284-285 Klein© Form, 8, 111 Kunst Bildungswert, 52-53 Zweifelhafter Wert, 268- 270 Leserkreis, 116 Dorfgesch, 156 Liebe u. Moralit&t, 33 (Anm.), 43, 44, 65, 89-90, 128 Lebenswert, 279-281 Mythosferne, 282 306 Periodisierung, 249-251 Politik, 2, 13, 144-145 Polit. Dichtg., 1-2, 179, 188-190, 194, 227-229, 289-290 Realismus, poet., 154-155 Nachbarschaft u. Beson- derheiten, 282, 284-286, 289 Religion u. S&kularisation 51-53, 79, 107-108 Romantik, 69-70 Figuren, 148-151, 172, 158 Suspekte R., 269-270 Sprache, 63-65, 294-295 Sprechende Bauwerke, 46- 47, 69, 290 Symbolgebrauch, 69-72, 139 Vahnmotiv, 23, 132-137
Asset Metadata
Creator
Moeller, Hans-Bernhard (author)
Core Title
Strukturstudien Und Werkdeutungen Zur Kunstprosa Moritz Hartmanns. (German Text)
Contributor
Digitized by ProQuest
(provenance)
Degree
Doctor of Philosophy
Degree Program
German
Publisher
University of Southern California
(original),
University of Southern California. Libraries
(digital)
Tag
Literature, Modern,OAI-PMH Harvest
Language
English
Advisor
Von Hofe, Harold (
committee chair
), Gillespie, Gerald (
committee member
), Spalek, John M. (
committee member
)
Permanent Link (DOI)
https://doi.org/10.25549/usctheses-c18-322256
Unique identifier
UC11358773
Identifier
6406242.pdf (filename),usctheses-c18-322256 (legacy record id)
Legacy Identifier
6406242.pdf
Dmrecord
322256
Document Type
Dissertation
Rights
Moeller, Hans-Bernhard
Type
texts
Source
University of Southern California
(contributing entity),
University of Southern California Dissertations and Theses
(collection)
Access Conditions
The author retains rights to his/her dissertation, thesis or other graduate work according to U.S. copyright law. Electronic access is being provided by the USC Libraries in agreement with the au...
Repository Name
University of Southern California Digital Library
Repository Location
USC Digital Library, University of Southern California, University Park Campus, Los Angeles, California 90089, USA
Tags
Literature, Modern
Linked assets
University of Southern California Dissertations and Theses